Coronavirus-Mutante «Was in Brasilien passiert, bleibt nicht in Brasilien»

tafi/dpa/AFP

24.3.2021

Brasilien wird von der zweiten Corona-Welle besonders hart getroffen: Arbeiter auf einem Friedhof in der Hauptstadt Brasilia. 
Brasilien wird von der zweiten Corona-Welle besonders hart getroffen: Arbeiter auf einem Friedhof in der Hauptstadt Brasilia. 
Bild: EPA/Joedson Alves

Neue Varianten des Coronavirus sind auf dem Vormarsch – und auch die Schweiz kann sich nicht abschirmen. Besonders die Mutante P.1 aus Brasilien beunruhigt die Wissenschaft. 

Es mag merkwürdig klingen, aber: An die britische Coronavirus-Variante haben wir uns längst gewöhnt. Oder gewöhnen müssen. In der Schweiz ist die Mutation B.1.1.7 seit dem ersten nachgewiesenen Fall im Dezember 2020 dominant geworden und hat den ursprünglichen Wildtyp des Virus verdrängt.

Mittlerweile bereitet eine andere Mutante den Forschenden grössere Sorge. In den Fokus rückt immer mehr die brasilianische Virusvariante mit der Kennzeichnung P.1. Diese soll – der Name sagt es – ihren Ursprung im grössten Land Südamerikas haben, das am Dienstag als erstes Land über 3000 Corona-Tote an einem Tag zu beklagen hatte. Inzwischen tritt P1 vereinzelt in fast allen Ländern Europas auf. In der Schweiz gibt es bislang sechs entdeckte Fälle.

Auch auf Mallorca sind bereits zwei Fälle einer brasilianischen Virusvariante nachgewiesen worden. Das hat in Deutschland zuletzt die Diskussion über die Fahrlässigkeit von Kurzferien auf der Balearen-Insel angeheizt.



So warnte der deutsche Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Wochenende auf Twitter, P.1 sei «die grösste Gefahr bisher». Die örtlichen Behörden bestreiten allerdings laut der deutschsprachigen «Mallorca-Zeitung», dass es sich bei den beiden Fällen um die gefürchteten P.1-Mutanten handle. 

P.1 löste brutale zweite Corona-Welle in Manaus aus

P.1 gilt bei vielen Wissenschaftlern als Hauptursache dafür, dass die brasilianische Amazonas-Metropole Manaus Anfang Jahr unter der zweiten Corona-Welle kollabierte. Dabei war man davon ausgegangen, dass die Stadt gut gerüstet sei. Bei Antikörper-Tests im vergangenen Sommer hatte sich herausgestellt, dass mehr als 60 Prozent der Bevölkerung bereits mit dem Coronavirus infiziert waren und als immun galten. Vor einer erneuten Infektion waren sie dennoch nicht geschützt.

Ein brasilianisch-britisches Forscherteam ist davon überzeugt, dass die Virusvariante P.1 für die hohe Anzahl von Re-Infektionen verantwortlich ist. Über die Studie hat unter anderem die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet. Das Autorenteam geht davon aus, dass P.1 um das 1,4- bis 2,2-fache einfacher zu übertragen ist. Ausserdem würden Antikörper schlechter an das Virus andocken, um es zu neutralisieren.

Die US-Zeitung «The Washington Post» sieht darin potenzielle Gefahren im Kampf gegen Corona auf der ganzen Welt: «Obwohl die Schlussfolgerungen noch vorläufig sind, sind die Implikationen gravierend: Es ist möglich, dass das Virus Impfstoffe und natürliche Immunsysteme herausfordern könnte. (...) Was in Brasilien passiert, bleibt nicht in Brasilien. (...) Das ist ein Problem für alle.»

Diese Virusvarianten stehen im Fokus der Wissenschaft

Die relevanten Mutanten unterscheiden sich vom ursprünglichen Covid-19-Erreger unter anderem in der Mutation N501Y. Diese gibt eine Veränderung an der rezeptorbindenden Domäne des Spike-Proteins von Sars-Cov-2 an. Sprich: Das Virus dockt leichter an die menschliche Wirtszelle an.

Die brasilianische Variante P.1 weist 17 Mutationen auf, darunter N501Y und eine weitere Mutation an der rezeptorbindenden Domäne des Spike-Proteins, die auch die südafrikanische Virusvariante auszeichnet.

So wirksam sind Impfstoffe gegen die Mutanten

Die Impfstoffe von Biontech und Astrazeneca wirken einer Studie zufolge besser gegen die in Brasilien entdeckte Virusvariante als zunächst angenommen. Bei der brasilianischen Variante P.1 erzielten die Impfstoffe eine ähnliche Wirkung wie bei der britischen Variante, wie aus der noch nicht von Fachleuten begutachteten Studie hervorgeht, die die Universität Oxford am Donnerstag veröffentlichte.

«Die Ergebnisse legen nahe, dass P.1 möglicherweise weniger resistent gegen die durch Impfstoffe ausgelöste Immunantwort ist als B.1.351, und ähnlich wie bei B.1.1.7», sagte der Studienautor Gavin Screaton. Die letzteren Kürzel bezeichnen die in Südafrika und Grossbritannien entdeckten Varianten. Zunächst war man davon ausgegangen, dass die Variante aus Brasilien besonders starke Probleme verursachen könnte, wenn sie sich der Wirkung von Impfstoffen entzieht.



Gleichzeitig zeigt die Studie, dass die durch Impfstoffe produzierten Antikörper die Viren aller drei Corona-Varianten generell weniger effizient neutralisieren als die der Ursprungsform von Sars-Cov-2. Bei der Variante aus Brasilien gilt dies nach den neuen Erkenntnissen in einem ähnlichen Masse wie bei der in Grossbritannien entdeckten Variante B.1.1.7.

Impfstoff-Hersteller sollten sich nach Ansicht der Oxford-Wissenschaftler bei der Weiterentwicklung ihrer Präparate insbesondere darauf konzentrieren, dass sie wirksamer gegen die südafrikanische Variante B.1.351 werden. Bei dieser entziehen sich die untersuchten Impfstoffe am stärksten der immunisierenden Wirkung.

Was sind eigentlich Mutationen und was Mutanten?

Bei der ständigen Vermehrung von Viren treten immer wieder spontan Veränderungen am Erbgut auf. Bei Sars-CoV-2 wurden bereits Hunderttausende solcher Mutationen nachgewiesen. Sie können darin bestehen, dass Basenpaare im Erbgut verdoppelt werden oder entfallen oder ihre Position verändern.



Mutationen können wirkungslos bleiben oder die Ausbreitung des Virus beeinflussen. Wenn eine Mutation etwa dazu führt, dass das Virus leichter übertragbar ist, verschafft sie ihm einen Vorteil. Die mutierte Variante verdrängt dann nach und nach andere Varianten.

Während der Begriff Mutation den Vorgang einer dauerhaften Erbgut-Veränderung beschreibt, wird das Ergebnis, also das mutierte Virus, als Mutante bezeichnet.