In der zweiten Saisonhälfte verkaufte sich der SC Bern zwar wacker, blieb aber im Meisterrennen letztlich chancenlos. Diese Durststrecke dürfte länger dauern.
Was der SCB seit Mitte Dezember unter Interimstrainer Mario Kogler trotz insgesamt fünf Quarantänen leistete, ist bemerkenswert. Die Berner holten sich den Cupsieg, arbeiteten sich von Rang 12 auf Position 9 hoch, schafften es via Pre-Playoffs noch in die Playoffs und konnten in den Viertelfinals Meisterschaftsfavorit EV Zug immerhin zwei Niederlagen beibringen.
Aber eine andere Tatsache ist auch, dass der stolze SCB nun zum zweiten Mal in Folge die Top 8 verpasst hat und nicht mehr der Businessklasse der Liga angehört. Die neue Realität der Mutzen heisst Mittelmass. Und die Aussichten, dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern könnte, sind nicht rosig.
Der Meistertitel 2018 war Gift
Im Nachhinein gesehen war der letzte Meistertitel 2018 Gift. Denn dieser konnte noch kaschieren, dass der SCB auf dem Transfermarkt schon länger nicht eben glücklich agierte und Jahr für Jahr durch Abgänge und Rücktritte von Spielern wie Martin Plüss, David Jobin, Leonardo Genoni, Simon Bodenmann, Mark Arcobello und Gaëtan Haas immer mehr an Substanz und Siegermentalität verlor. Doch letzte Saison flog es erstmals auf und in dieser Saison zeigte sich mit aller Deutlichkeit, dass dieser Absturz weit mehr als nur ein Betriebsunfall war.
Und der Substanzverlust wird auch im Hinblick auf die nächste Saison voranschreiten. Der Abgang von Tom Karhunen wird den SCB trotz Talent und Zukunftshoffnung Philipp Wüthrich auf der Goalie-Position zumindest kurzfristig schwächen. Zudem gehen mit André Heim, Inti Pestoni und Miro Zryd auch noch weitere Spieler, die beim Saisonfinale eine überzeugende Rolle spielten. Ersetzt worden sind sie bislang nicht, vielmehr sollen junge Spieler wie der Junioren-Internationale Ronny Dähler eingebaut werden.
Die Reaktion der Fans als grosses Fragezeichen
Somit ist klar, dass die Berner bescheidenere Brötchen werden backen müssen. Den SCB erwartet in der kommenden Saison erneut ein pickelharter Strickampf, aus dem Titelrennen dürfte er sich vielleicht für längere Zeit verabschiedet haben. Und die grosse Frage ist, ob das Publikum mit dieser neuen Realität umgehen kann und trotzdem wieder so zahlreich wie zuvor ins Stadion zurückkehren wird, wenn es denn wieder darf. Oder ob nicht nur die Pandemie, sondern auch die neue SCB-Realität ihre Spuren hinterlassen wird.
Dafür, dass der SCB mittelfristig auch an der Spitze wieder konkurrenzfähig sein kann, hat CEO Marc Lüthi mit Raeto Raffainer als neuen Direktor den bestmöglichen Mann auf dem Markt geholt. Er wird dem SCB eine Struktur verabreichen, die bis in das hinterste und letzte Detail durchdacht sein wird und eine Rückkehr zum Erfolg verspricht. Wenn man ihn in diesem nicht immer ganz einfach zu verstehenden SCB-Konstrukt denn auch wirklich lässt. Dasselbe hat er zuvor nach einer sportlichen Zwischendepression auch bereits bei der Nati und dem HC Davos geschafft.
Doch zaubern kann auch Raffainer nicht. Die Fehler der letzten Jahre lassen sich nicht im Eiltempo korrigieren. Im Minimum zwei, vielleicht aber auch drei, vier oder gar fünf Jahre wird es schon dauern. Denn meistererprobte SCB-Schlachtrösser wie Beat Gerber (37), Thomas Rüfenacht (36), Eric Blum (34) und Simon Moser (32) werden auch nicht jünger und werden im Rahmen des Umbruchs auch schon bald ersetzt werden müssen. Ist Raffainers erste Wahl als SCB-Trainer Johan Lundeskog ein Volltreffer, kann dies auf den ganzen Prozess zumindest eine gewisse beschleunigende Wirkung haben und zudem für Aufbruchstimmung sorgen.