Hommage vor letztem Spiel des ZSC Zwischen Bierdusche, Hanfgeruch und Meistertitel – bye, bye Hallenstadion

Von Marcel Allemann

29.4.2022

Der ZSC steht nach 72 Jahren vor der Derniere im Hallenstadion.
Der ZSC steht nach 72 Jahren vor der Derniere im Hallenstadion.
Bild: Keystone

Am Freitagabend spielen die ZSC Lions letztmals im Hallenstadion. Nach 72 Jahren Abschied nehmen heisst es für die Spieler, für die Fans und auch für mich. Das Hallenstadion und seine besondere Faszination. Eine Hommage.

Von Marcel Allemann

29.4.2022

Es war eine Mischung zwischen Schock und Begeisterung. Damals im Jahr 1991, als ich erstmals im Hallenstadion ein Eishockeyspiel besuchte. Zürcher SC gegen EHC Chur lautete die bescheidene Affiche. Ich war damals ein Journalisten-Rookie des Bündner Tagblatts und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Playoff-Final, Stand in der Serie (Best-of-Seven)

  • Zug – ZSC Lions 2:3 (2:3, 1:2, 1:2, 4:1, 4:1)

Nicht zwingend wegen des Gebotenen auf dem Eis, an das Resultat kann ich mich nicht mehr erinnern. Dafür an diese Rauchschwaden, die da in der Luft hingen, sodass einem Durchblick auf die gegenüberliegende Seite fehlte. Nicht nur vom Tabak, der damals in einer Sportstätte noch konsumiert  werden durfte – auch der Geschmack von Hanf stieg einem regelmässig in die Nase. Vielleicht liegt es ja auch genau daran, dass ich mich nicht mehr an das Resultat erinnern kann.

Die Journalisten-Plätze befanden sich damals, im alten Hallenstadion,  unmittelbar vor dem legendären dritten Rang, der mit den Hardcore-ZSC-Fans jeweils bebte. Das war für ein Landei wie mich aus Graubünden eine enorm imposante, aber irgendwie auch bedrohlich wirkende Kulisse. Nein, schief angucken wollte ich von denen keinen.

Wenn aus dem dritten Rang alles geflogen kam

Schlecht war es für uns, wenn der dritte Rang mit einem Schiri-Entscheid nicht einverstanden war. Dann hiess es in Deckung zu gehen, denn da kamen alle möglichen und unmöglichen Gegenstände geflogen. Nur fanden sie zumeist den Weg bis zum Eis nicht und machten bei uns Halt.

Ich erinnere mich, als wenn es gestern gewesen wäre, wie meinem Kollegen von Radio Grischa eine Bierbüchse von hinten auf den Kopf flog, er sich umdrehte, den natürlich nicht identifizierenden Übeltäter mitten in der Live-Berichterstattung massiv beschimpfte und anschliessend seine Übertragung fortsetzte. Als wäre nichts geschehen. Ja, so war das damals. Im alten Hallenstadion.

Chur stieg dann nach zwei Jahren wieder ab und fortan hiess es für mich,  in der NLB beispielsweise wieder nach Bülach, ins so beschauliche, aber eben auch langweilige Eisstadion Hirslen zu reisen. Anstatt in diese für mich so grosse Hockey-Welt nach Zürich im Hallenstadion. Bis ich dann 1994 nach Zürich zügelte und das Hallenstadion so richtig kennenlernte. Durch Konzerte, das Sechstagerennen, aber natürlich vor allem durch Spiele des ZSC.

Im Lauf der Jahre wurde ich von meinem Arbeitgeber Blick immer öfters an die ZSC-Matches ins Hallenstadion geschickt. Die Faszination des Tempels, wie vor allem das alte Hallenstadion genannt wurde, blieb die gleiche. Sie wurde nun einfach alltäglicher.

Als 59:50 zur magischen Marke wurde

Ich war dann auch an diesem unvergesslichen 1. April 2000 vor Ort, als der ZSC, aus dem inzwischen die ZSC Lions geworden waren, erstmals seit 39 Jahren wieder Schweizer Meister wurde. Und 59:50 zur magischen Marke wurde, die anschliessend sogar auf T-Shirts und Caps zum Verkaufsschlager avancierte.

Denn 59 Minuten und 50 Sekunden waren damals im sechsten Finalspiel gegen Lugano gespielt, als Adrien Plavsic das Meistertor zum 4:3 gelang. Es war ein irreguläres Tor, dem heute die Gültigkeit durch die Coaches Challenge verwehrt bleiben würde. Denn Christian Weber hatte vor Plavsics Schuss Lugano-Goalie Cristobal Huet den Stock aus der Hand geschlagen und dadurch bei diesem für die entscheidende Irritation gesorgt.

Doch damals gab es noch keine Coaches Challenge und auch keinen Video-Room für den Schiedsrichter. In dieser Zeit der Rauschschwaden und des Hanfgeruchs im alten Hallenstadion. Dafür flogen als Folge von Plavsics Schuss, Webers Foul und Huets Irritation reihenweise Bierbecher in die Luft und es setzte eine kollektive Gerstensaft-Dusche ab. Natürlich auch für uns auf den Medienplätzen – vor dem dritten Rang. 

Es gab kein Halten mehr, die ersten Fans stürmten bereits unmittelbar nach dem Tor das Eis. Sodass es zur grossen Herausforderung wurde, die noch verbleibenden zehn Sekunden irgendwie fertig zu spielen. Ehe dies dann doch irgendwie noch geschafft wurde, der Titel offiziell Tatsache war und das Hallenstadion eines seiner grössten, aber auch chaotischsten Feste aller Zeiten erlebte.

Nach dem ersten Meistertitel nach 39 Jahren gab es am 1. April 2000 kein Halten mehr, das Eis wurde zur Festbühne.
Nach dem ersten Meistertitel nach 39 Jahren gab es am 1. April 2000 kein Halten mehr, das Eis wurde zur Festbühne.
Bild: Keystone

Das kitschige Ende mit dem zehnten Meistertitel?

Nach einer Saison im Exil zogen die ZSC Lions 2006 dann im neuen Hallenstadion ein. Das wurde höchste Zeit, denn die alte Halle war nicht mehr wirklich zeitgemäss. Doch mit dem Aus ging auch ein Mythos verloren. Eine Stätte, die für viele Fans in den vielen schlechten ZSC-Jahren vor der Jahrtausendwende auch der unheimliche und schöne Ort des gemeinsamen Leidens war.

Im neuen Hallenstadion war dann natürlich alles moderner und cleaner. Rauchschwaden bekam man nur noch zu sehen, wenn man sich in einer Drittelspause in einem der Fumoirs verirrte. Und der Geruch von Hanf stieg einem höchstens noch ab und an vor den Pforten des Stadions in die Nase.

Auch mussten wir auf den Journalistenplätzen nicht mehr in Deckung gehen, weil wir nicht mehr vor den Hardcore-Fans sitzen, sondern in einer gesitteteren Umgebung. Und sich höchstens mal ein Papierflieger auf unsere Tische verirrt.

Meisterfeier durch den entscheidenden Sieg im heimischen Hallenstadion gab es nur noch eine weitere – 2008 gegen Servette. Die restlichen vier Titel erspielten sich die ZSC Lions im Laufe dieser Zeit durch Siege in der Fremde. Und natürlich wäre es fast schon kitschig, wenn die Zürcher ausgerechnet an diesem Freitag, bei ihrem allerletzten Spiel im Hallenstadion, anlässlich des sechsten Finalspiels gegen Zug, ihren insgesamt zehnten Titel der Vereinsgeschichte feiern würden.

Im neuen Hallenstadion ist es moderner und es geht gesitteter zu und her als früher im alten Hallenstadion.
Im neuen Hallenstadion ist es moderner und es geht gesitteter zu und her als früher im alten Hallenstadion.
Bild: Keystone

Es wäre das ganz besondere Happy End für die Beziehung zwischen dem Hallenstadion, dem ZSC und seinen Fans. Seit 1950 war es die Spielstätte des «Zett Ess Cee», als dieser vom Dolder im Stadtkreis Hottingen nach Oerlikon zog. Nun zieht es ihn in sein eigenes Stadion nach Altstetten weiter.

Auch wenn die neue Swiss Life Arena eine grandiose Sache wird – der heutige Abend wird auch von Wehmut begleitet sein. Unabhängig davon, ob die ZSC Lions gewinnen oder verlieren. Das wird auch bei mir so sein. Vor allem das alte Hallenstadion, mit seiner ganz besonderen Faszination,  werde ich nie vergessen.