KommentarReifs Tipp an die WM-Teilnehmer: «Die kindliche Freude am Fussball so richtig ausleben»
Ein Kommentar von Marcel Reif
13.6.2018
Unser Experte Marcel Reif liebt den Fussball – und die Schweiz. Aber warum, fragt er sich, haben wir so hohe Erwartungen an die Nati? Ein Plädoyer für mehr Bescheidenheit und Spass.
Ich wohne jetzt seit über 20 Jahren in der Schweiz, seit fünf Jahren habe ich die Schweizer Staatsbürgerschaft. Ich mag die Schweizer wirklich. Nur eines wundert mich immer wieder: die hohen Ansprüche, die meine Mitbürger an ihre Nationalmannschaft stellen. Wer aber zu hohe Erwartungen hat, wird schnell enttäuscht.
Lasst uns doch ein bisschen bescheidener sein. Die Schweiz hat 8 Millionen Einwohner. In Brasilien, um ein Beispiel zu nennen, leben über 200 Millionen Menschen. Und dementsprechend ist eine bedeutend höhere Zahl an Talenten zu finden. Wir sollten einfach froh sein, dass wir bei der Weltmeisterschaft dabei sind – grosse Fussballnationen wie die Niederlande oder Italien sind es nicht.
Wir sollten den Sommer in Russland geniessen. Der WM-Spielplan bietet dafür doch beste Voraussetzungen.
Bei unserem ersten Spiel am 17. Juni gegen Brasilien haben wir nichts zu verlieren. Vielleicht schafft es die Nati, der Seleção die Lust am Fussball zu nehmen oder sie auf unser Niveau herunterzuziehen, wie Jürgen Klopp sagen würde. Aber wahrscheinlich ist das nicht. Für uns beginnt die WM erst am 22. Juni gegen Serbien so richtig. Ein starker Gegner. Jugoslawien war eine grosse Fussballnation. Und dieses Erbe tritt Serbien an.
Mir gefällt die Mischung aus erfahrenen Spielern wie Nemanja Matic von Manchester United oder Aleksandar Kolarov von AS Rom und vielen jungen Talenten, die 2015 die U-20-Weltmeisterschaft gewonnen haben. Aber ich glaube, die Schweiz ist mindestens ebenbürtig. Bleibt noch das letzte Spiel gegen Costa Rica.
Gut, die haben mit Keylor Navas den Goalie des Champions-League-Dauersiegers Real Madrid im Kasten und waren bei der vergangenen WM im Viertelfinale. Trotzdem sollte das kein Problem sein. Ich bin kein Fan von Fussball-Tippspielen, aber ich glaube: Die Schweiz schafft es ins Achtelfinale. Da könnten wir übrigens auf Deutschland treffen, das Land, in dem ich ab meinem achten Lebensjahr aufgewachsen bin und jahrzehntelang gewohnt habe. Ich würde trotzdem der Schweiz die Daumen drücken. Und ganz einfach Spass haben. Denn darum geht es doch bei der WM: dass wir diese kindliche Freude am schönen Spiel mal so richtig ausleben.