Das Schweizer Nationalteam trainierte am Dienstag ein erstes Mal in Baku. Hinterher vermeldeten die Spieler: Hotel gut, Essen gut, Trainingsplatz gut. Ist das der Auftakt zu einem Märchen wie aus «Tausendundeine Nacht»?
Als das Schweizer Nationalteam 1996 zu ihrem ersten Spiel nach Aserbaidschan reiste, zeigte der Nationaltrainer Rolf Fringer den Spielern einen Videofilm über Baku, um sie auf eine fremde und schockierende Welt vorzubereiten. Es waren Bilder einer düsteren Millionenstadt, mit löchrigen Strassen, verarmt gekleideten Leuten und einem heruntergekommenen Stadion.
Ein Vierteljahrhundert später präsentiert sich den Schweizer Fussballern ein anderes Bild. Die Strassen etwa haben keine Schlaglöcher mehr. Wer sich vom Flughafen der Innenstadt nähert, schwenkt irgendwann auf die Boulevards ein, die am letzten Wochenende Bühne für den Formel-1-Grand-Prix waren – nigelnagelneu. Und wer das Zentrum in Richtung Olympiastadion verlässt, dorthin also, wo die Schweiz am Samstag mit dem Spiel gegen Wales in die EM startet, tut dies auf einer brandneuen, achtspurigen Autobahn.
Die Rolle von SOCAR
Gesäumt sind alle diese Strassen von glamourösen Hochhäusern, die von einem Baku als «Dubai des Kaspischen Meers» erzählen – und von unzähligen Tankstellen, deren Besitzer viel damit zu tun hat, weshalb die Schweizer Fussballer ihre EM-Kampagne hier lancieren: SOCAR. Die «State Oil Company of Azerbaijan Republic» war lange Zeit einer der potentesten Sponsoren der UEFA.
Der Konzern machte es möglich, dass 2019 der Final der Europa League in Baku stattfand, und er soll auch dafür gesorgt haben, dass Baku den Zuschlag als Spielort der «Euro 2020» erhielt. Es wird über eine ausserordentliche (Sponsoring-)Zahlung von 90 Millionen Euro an die UEFA gemunkelt.
Seit wenigen Wochen ist SOCAR allerdings von der Liste der UEFA-Sponsoren verschwunden. Über die Gründe wird geschwiegen. Für die UEFA ist das in Sachen Image zumindest nicht schlecht. Denn sie hatte wegen der Zusammenarbeit mit SOCAR massiv in der Kritik gestanden, weil der Energiekonzern aus Aserbaidschan während des Krieges gegen Armenien auf den sozialen Medien Kriegspropaganda betrieben hatte.
Am Spielort Baku hielt die UEFA gleichwohl fest. Und so bereiten sich die Schweizer nun also seit Dienstag hier auf das Turnier vor. Als Herberge hat sich der SFV das schicke «Bilgah Beach Resort» an der Nordküste der Halbinsel ausgesucht, auf der die 2-Millionen-Metropole Baku liegt. Das Zentrum ist hier weit weg – doch wen kümmert dies in Zeiten von Corona. Die Spieler müssen während des Turniers in einer Blase leben und dürfen sich nur in der Hotelanlage, im Bus, auf dem Trainingsgelände oder im Stadion aufhalten. Kontakte zur «Aussenwelt» sind von der UEFA untersagt.
In der Blase am Strand
Ausflüge in die schmucke Altstadt, die UNESCO-Weltkulturerbe ist, oder an die mondäne Shopping- und Flaniermeile Nizami sind nicht möglich. «Wir bleiben in der Hotelanlage. Wir spielen Karten oder Playstation oder wir plaudern», verrät Haris Seferovic. Und Ruben Vargas meldet: «Hotel gut, Essen gut, Trainingsplätze gut.» Das Trainingsgelände «Dalga-Arena» ist nur 10 Minuten vom Hotel entfernt. Nach dem Training vom Dienstagabend bei angenehmen 22 Grad gibt es hier zwei weitere Einheiten, ehe am Freitag das Abschlusstraining im Olympiastadion mit seinen über 60'000 Plätzen ansteht.
Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri & Co. sind nicht die ersten Stars, welche in der schmucken «Dalga-Arena» auflaufen. Vor vier Jahren fanden hier Spiele der U17-EM-Endrunde statt – unter anderem mit dem Niederländer Mathijs de Ligt oder dem Deutschen Kai Havertz. Diese beiden nahmen in der «Dalga-Arena» Anlauf zu einer Karriere, die sich vier Jahre später vielversprechend angelassen hat.
Die Schweizer wollen in diesem Kleinstadion einen vielversprechenden Start in die EM vorbereiten. «Mit drei Punkten zum zweiten Spiel nach Italien zu reisen wäre angenehm», so Seferovic. Er und seine Kollegen legen den Fokus auf das Duell gegen Wales. Für einen Film über Baku bleibt da keine Zeit. Auch wenn dieser 2021 durchaus kein Horrorstreifen mehr ist, sondern eher Träume wie aus «Tausendundeine Nacht» verkauft.