Italien hat sich in der «Todesgruppe» durchgesetzt und sich so für das Final-Turnier der Nations League qualifiziert. Im torreichen Klassiker zwischen England und Deutschland gab es derweil viel zu entdecken.
Musiala als X-Faktor
Wie schon im Hinspiel wirbelte Jamal Musiala bei den Gästen in der Offensive. Erst im Februar 2021 entschied sich der Bayern-Profi für die deutsche Nationalmannschaft – und damit gegen England. Denn in London durchlief Musiala weite Teile seiner fussballerischen Ausbildung und bekam dort schon früh den Stempel als Supertalent aufgedrückt.
In der ersten Halbzeit legte ihn noch Declan Rice im Zentrum an die Kette. Nach der Pause zündete der Youngster dann über die rechte Seite mit seinen Sololäufen. Wenn der 19-Jährige zu Dribblings ansetzt, gerät so manche Abwehr ins Wackeln. Besonders wenn dort ein Harry Maguire agiert, der ihn im Strafraum nur mit einem Foul stoppen konnte. Der Angriff zum 2:0 begann zudem mit Musialas Balleroberung. «Wenn er so spielt wie heute, muss er bei Bayern München und in der Nationalmannschaft gesetzt sein», resümierte Uli Hoeness.
Abwehrspieler als Risikofaktoren
Die Führung bekam das DFB-Team also von den Gastgebern in Person von Harry Maguire serviert. Der Verteidiger, der einst für 87 Millionen Euro zu Rekordmeister Manchester United gewechselt war, leistete sich einen schlimmen Fehlpass auf Musiala und trat dem Münchner anschliessend beim Klärungsversuch auch noch gegen das Schienbein.
Auch das zweite Gegentor der Three Lions ging auf das Konto des teuersten Abwehrspielers der Welt. Der 29-jährige Captain verlor den Ball in der gegnerischen Platzhälfte und musste dann dem Kunstschuss von Havertz machtlos zusehen.
Während der Ruf von Maguire schon länger ramponiert ist, gehörte sein Antipode Nico Schlotterbeck zu den Senkrechtstartern im DFB-Team. Doch der Neo-Dortmunder erlebte ein bitteres Wembley-Debüt. In der 25. Minute wurde er von Raheem Sterling versetzt, Goalie Marc-André Ter Stegen rettete in extremis. Beim 2:2 rutschte er beim Dribbling von Saka aus – und den Elfer zum 2:3 verschuldete der 22-Jährige mit einem ungestümen Einsatz gegen Klubkollege Jude Bellingham höchstpersönlich.
Es war schon der dritte Penalty, den sich Schlotterbeck in seinen fünf Einsätzen für die deutsche Nationalmannschaft ankreiden musste. Auch Bundestrainer Hansi Flick wird sich überlegen müssen, ob Schlotterbeck bei der WM zum Risikofaktor wird.
Sturmmisere
Deutschland hat seit Längerem ein Problem im Sturm. Während sonst praktisch alle Positionen doppelt besetzt sind, sucht Hansi Flick noch die Lösung für den Mann ganz vorne. Der Wolfsburger Lukas Nmecha hat seine internationale Tauglichkeit noch nicht unter Beweis stellen können (7 Einsätze/0 Tore). Serge Gnabry, Leroy Sané und Jonas Hofmann kommen am liebsten über die Flügel.
So startete Allzweckwaffe Kai Havertz gegen die Engländer. Doch in der Spitze kam der Chelsea-Profi nicht zur Geltung. In der zweiten Halbzeit rückte dann der eingewechselte Timo Werner nach vorne, als Spielmacher zeigte sich Havertz gleich viel produktiver. Mit einem Traumtor zum 2:0 und dem Abstauber zum 3:3 gelang ihm sogar sein erster Doppelpack im DFB-Trikot. Kurzum: Am liebsten kommt Havertz aus der Tiefe.
Das grösste Sorgenkind bleibt Timo Werner. Gleich bei zwei Grosschancen hätte der Leipziger Rückkehrer etwas für sein nicht gerade übersteigertes Selbstvertrauen tun können. Noch zwei Monate bleiben dem 26-Jährigen, um seinen Torriecher zu finden und die Stänkerer verstummen zu lassen.
Southgates goldenes Händchen
Gareth Southgate steht auf der Insel in der Kritik, die Revolverblätter haben sich in den letzten Monaten wegen der ausbleibenden Resultate auf ihn eingeschossen. Der 52-Jährige zeigt sich ungeachtet der Schlagzeilen zumindest nach aussen gelassen und blickt stets optimistisch nach vorne. Doch nach 66 Minuten dürfte auch Southgate ins Grübeln gekommen sein, ob sein Arbeitsdasein unter einem glücklichen Stern steht. So wechselte er beim Stand von 0:1 Bukayo Saka und Mason Mount für Phil Foden und Raheem Sterling ein – eine Minute später stand es 0:2.
Doch seine Joker stachen und brachten die erhoffte Wende. Für das 2:2 waren die beiden Einwechselspieler in einer wunderschönen Co-Produktion gleich selbst verantwortlich. Mount und Saka sind wohl hauptverantwortlich dafür, dass Southgate nach Spielende seinen Kontrahenten Flick so herzlich umarmte.
Goalies mit Hochs und Tiefs
Mit Manuel Neuer (Corona) und Jordan Pickford (verletzt) fehlten die etatmässigen Stammgoalies im Wembley. Ihre Ersatzleute stellten sich unterschiedlich an. Während Marc-André ter Stegen mit mehreren starken Paraden seine Klasse demonstrierte, sah das Bild 100 Meter weiter entfernt anders aus. Bei jedem Rückpass schien der Fuss von Nick Pope zu zittern. Und das englische Happy End zerstörte der Newcastle-Torwart mit einem unnötigen Abpraller bei einem Gnabry-Schuss. Spätestens jetzt ist klar: Die Chancen, dass Pickford an der WM im Tor stehen wird, sind hoch. Und ter Stegen bleibt eine erstklassige Alternative zu Neuer.
Ebenfalls das Prädikat «Weltklasse» verdiente sich Gigi Donnarumma in Budapest. Der PSG-Schlussmann rettete mehrfach glänzend, unter anderem gegen den FCB-Angreifer Adam Szalai in dessen letztem Länderspiel für Ungarn. Ungarns italienischer Coach Marco Rossi erläuterte: «Selbst wenn wir Chancen hatten, wurden wir vom besten Torhüter der Welt daran gehindert.»
Speziell gutgetan dürfte dem 23-Jährigen sein Auftritt am letzten Freitag in Mailand gegen England. Im San Siro erntete der EM-Held noch im Vorjahr Buhrufe und Pfiffe, weil Donnarumma seinen Stammklub Milan im Unfrieden verliess. Gegen die Three Lions zeigte sich dann das Publikum weitgehend versöhnlich – und Donnarumma danach dankbar. Eine gute Grundlage für seine Leistung gegen Ungarn.
Eher unglücklich war der Auftritt von Peter Gulasci. Einen zu kurz geratenen Rückpass eines Verteidigers konnte der 32-Jährige nicht vor dem heran preschenden Ex-FCZler Willy Gnonto wegspedieren, den herrenlosen Ball versenkte Giacomo Raspadori zur Führung für die Gäste. Schon zuvor hatte der bei Leipzig sonst so souveräne Goalie viel Glück, als ihm einen Flankenball von Bryan Cristante durch die Finger glitt – Mitspieler Attila Szalai konnte den Ball auf der Linie gerade noch klären.
Raspagol ist der neue Willy
In der Verteidigung setzt Mancini (noch) auf Routine, im Angriff ist hingegen Jugend Trumpf. Im 3-5-2-System durften vorne Raspadori und Gnonto ran. «Wir hatten heute Abend zwei junge Spieler in der Offensive. Wenn diese Jungs ihre Qualität beibehalten und sich in den nächsten zwei Jahren verbessern, können sie verheerend werden», hielt Italien-Coach Roberto Mancini fest.
Die Leistungen der beiden Hoffnungsträger fielen aber unterschiedlich aus. Gnonto erhielt bei der «Gazzetta dello Sport» mit «6» die schlechteste Note aller Italiener, nur seine Beteiligung am ersten Tor habe ihn vor einer noch niedrigeren Bewertung bewahrt, heisst es im Bericht. Ansonsten gelte: «Schlecht mit dem Ball und nie in Position.»
Während der ausgelaugt wirkende 18-Jährige seine Form aus den ersten Länderspielen sucht, scheint bei Sturmpartner Raspadori momentan alles aufzugehen. Wie gegen England brachte der 22-Jährige sein Team auf die Siegesstrasse. Inzwischen steht der 28-Millionen-Einkauf von Napoli schon bei fünf Treffern in 15 Spielen für die Squadra Azzurra. Fazit: Raspagol hat in der Gunst der Kritiker Willy überholt.
Dimarco als Geheimwaffe
Ebenfalls ein ziemlich frisches Gesicht bei den Azzurri ist Federico Dimarco. Der aus dem Inter-Nachwuchs stammende Offensivverteidiger fühlte sich im 3-5-2-System offensichtlich pudelwohl und wirbelte im linken Couloir rauf und runter. «Dimarco hat seine Sache wirklich gut gemacht, er hat angegriffen, verteidigt und kann den Ball sehr gut flanken», lobte ihn Mancini.
Ein Tor gelang dem 24-Jährigen auch noch. Bei Inter, wo er seit 2021 wieder unter Vertrag steht, verdonnert er den deutschen Nationalspieler Robin Gosens auf die Ersatzbank. In der Schweiz hinterliess Dimarco dagegen weniger Spuren. Als 19-Jähriger spielte er in der Saison 2017/18 bei Sion, nach einem durchzogenen Jahr (9 Pflichtspiele) verliess Dimarco das Wallis in Richtung Heimat. Ein richtiger Entscheid.