«Geld als Spielzeug» Das steckt hinter der Wettsucht der Fussball-Stars

Von Luca Betschart

21.10.2023

Nicolo Fagioli wird aufgrund illegaler Sportwetten für mehr als ein halbes Jahr gesperrt.
Nicolo Fagioli wird aufgrund illegaler Sportwetten für mehr als ein halbes Jahr gesperrt.
Bild: Imago

Der italienische Fussball wird in diesen Wochen von einem Wettskandal erschüttert. Doch was bringt gutbezahlte Top-Stars dazu, ihr Glück mit Geldspielen herauszufordern? blue News geht der Frage auf den Grund. 

Von Luca Betschart

21.10.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nach dem Wettskandal in Italien stellt sich die Frage, wieso gut bezahlte Fussballer ihr Glück mit Geldspielen herausfordern. 
  • Im Gespräch mit blue News streicht Cédric Stortz, Projektleiter beim Fachverband Sucht, mögliche fördernde Faktoren heraus. 
  • Dazu gehört gemäss Stortz auch die bei Fussball-Klubs omnipräsente Werbung für Sportwetten und deren Anbieter.

Ein neuer Wettskandal beschäftigt seit Tagen Italiens Fussball. Mehreren Jungstars der Nationalmannschaft wird vorgeworfen, illegale Wetten auf Fussballspiele abgeschlossen zu haben. Kurz vor dem Spiel in der EM-Qualifikation gegen England wird ein erstes Urteil verkündet: Der erst 22-jährige Nicolo Fagioli von Juventus Turin wird nach einer Vereinbarung mit den Anklägern des Sportgerichts für sieben Monate gesperrt.

Fagioli gilt bislang als zentrale Figur des Skandals. Mit Sandro Tonali (23) und Nicolò Zaniolo (24), beide in der englischen Premier League unter Vertrag, sind allerdings zwei weiterer Nati-Stars darin verwickelt – wobei befürchtet wird, dass die Verfehlungen des Trios nur die Spitze des Eisbergs sind.

Der einstige Promi-Fotograf Francesco Corona, der es mit dem Gesetz selbst nicht immer so genau nimmt, machte die Affäre publik. Er hat angekündigt, weitere Namen von involvierten Fussballern zu nennen. Der Skandal könnte ähnliche Ausmasse annehmen wie die italienischen Wettskandale in den Jahren 1980, 2006 und 2012.

«Werbung wirkt immer»

Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf: Was bringt gutbezahlte Top-Fussballer dazu, ihr Glück mit Geldspielen herauszufordern? Glücksspiel ist in Italien zwar grundsätzlich erlaubt, auf illegalen Online-Plattformen aber nicht. Spieler dürfen auch nicht in Sportarten wetten, in denen sie selbst aktiv sind.

Im Gespräch mit blue News nennt Cédric Stortz, Projektleiter beim Fachverband Sucht, diverse Gründe für die Suchtspielproblematik bei Profi-Fussballern. «Zum einen sind Sportwetten gesellschaftlich offenbar absolut akzeptiert», sagt Stortz. «In der Serie A haben wir 20 Teams, neun Teams haben einen Wettanbieter als Sponsor, drei weitere Teams haben ein Casino als Sponsor. Das ist viel.» Entsprechend sei das Thema bei den betroffenen Spielern omnipräsent. «Werbung wirkt immer, auch bei den Fussballern. Insbesondere, wenn man den Namen der Wettfirma auf dem Trikot hat», macht Stortz klar. 

Kommt hinzu, dass die Profi-Fussballer vergleichsweise viel Freizeit vorfinden und womöglich eine Beschäftigung suchen. Dabei gehören die Stars oft zu der Alterskateogrie, die am meisten Suchtbetroffene aufweist. «Betroffen sind vermehrt Männer zwischen 18 und 30 Jahren. Fussballer gehören während ihrer Aktivzeit zu einer gefährdeten, vulnerablen Gruppe, die eher darauf tendieren, Sportwetten und andere Geldspiele zu machen.»

Prädestiniert für eine Spielsucht?

Stortz kann sich vorstellen, dass es im Fall von wettenden Profi-Fussballern nicht in erster Linie um finanzielle Gewinne geht. «Grundsätzliches Motiv ist, Geld zu gewinnen. Im Fall der Fussballer wirkt das Geld aber womöglich als Spielzeug.» Bei den Profi-Sportlern stehe vermehrt das angepeilte Erfolgserlebnis im Vordergrund. «Das garantiert einen gewissen Nervenkitzel», erklärt Stortz. «Die Erwartung auf einen Gewinn und den damit verbundenen Dopaminausschuss treibt einem an, es wiederzumachen. Auf diese Freude arbeitet man hin.» Zudem habe «das Verbotene immer einen Reiz», insbesondere, wenn man das Verbot umgehen kann.

Sandro Tonali hat über seinen Anwalt bestätigt, gegen eine Wettsucht anzukämpfen.
Sandro Tonali hat über seinen Anwalt bestätigt, gegen eine Wettsucht anzukämpfen.
Bild: Imago

Ein weiterer potenzieller Faktor ist, dass spielsüchtige Fussballer die nötige Hilfe nicht oder nicht rechtzeitig erhalten – etwa nachdem sie ihren Arbeitgeber und damit den Wohnort wechseln. «Da fehlt vielleicht das soziale Umfeld, das rechtzeitig helfen kann», so Stortz. Denkbar wäre das beispielsweise bei Sandro Tonali, der erst im Sommer seine Heimat in Italien verliess und nach England wechselte.

Die zahlreichen Risikofaktoren, denen die Star-Fussballer ausgesetzt sind, erhöhen die Gefahr, an einer Sportwetten-Sucht zu erkranken. Es bleibt abzuwarten, wie viele Spieler in Italien diesen Gefahren zuletzt zum Opfer gefallen sind.