Ramon Zenhäusern will im Slalom schrittweise wieder den Anschluss an die Allerbesten schaffen. Die durch eine Schulterverletzung stark geprägte vergangene Saison soll einmalig bleiben.
Ein Sturz im Training vor 13 Monaten in Kabdalis in Schweden stand am Ursprung eines mehrheitlich frustrierenden Winters. Die vorerst verharmloste Schulterverletzung rückte ins Zentrum. Sie schränkte Zenhäusern auf den Rennpisten ein und beeinflusste dessen Leistungen. In der Weltcup-Startliste fiel er vom 4. auf den 25. Platz zurück.
Im Gespräch mit dem Zwei-Meter-Mann wenige Tage vor dem ersten Weltcup-Slalom des Winters in Val d'Isère drehte sich selbstverständlich vieles um die Verletzung. Weitere Themen waren das erforderliche Risiko, um im Stangenwald erfolgreich bestehen zu können, und Zenhäuserns neuer Servicemann, der Franzose Philippe Petitjean.
Ramon Zenhäusern, es heisst, dass in einer neuen Saison alles wieder bei null beginnt. Wo steht diese Null bei Ihnen?
«Bei der Startnummer 25. Es ist eine etwas andere Ausgangslage als in den Jahren zuvor.»
Das zeigt, dass es in der vergangenen Saison zum ersten Mal seit einigen Wintern in die falsche Richtung gegangen ist.
«Ja, das war das erste Mal so. Ich denke, das gehört in einer Sportler-Karriere dazu. Es kann nicht immer aufwärts gehen. Es gab im letzten Winter ein paar Sachen, die zusammengekommen sind, angefangen mit der Schulter, dann der Rücken über Weihnachten und zum Schluss auch noch Corona. Jetzt freue ich mich umso mehr, dass ich körperlich wieder fit bin.»
Was heisst fit? Ist die langwierige Geschichte mit der rechten Schulter ausgestanden?
«Im letzten Winter spürte ich die Schulter bei jeder Aktivität – beim Anziehen einer Jacke etwa oder selbst beim Schlafen wurde ich an die Verletzung erinnert. Für mich ist das jetzt aber abgeschlossen.»
Das bedeutet wieder volle Bewegungsfreiheit?
«Ja, doch, und auch von der Kraft her bin ich beinahe wieder auf dem Stand von vorher. Es war eine langwierige Sache. Ich hatte das Ganze etwas unterschätzt.»
Sie haben es unterschätzt – und die Ärzte auch?
«Die Ärzte haben das von der medizinischen Seite beurteilt. Aus ihrer Sicht bestand keine Gefahr, dass da noch mehr hätte kaputt gehen können. Ich dachte, dass ich ja nicht mit der Schulter Ski fahren muss. Aber die Verletzung behinderte, wenn auch unbewusst, mein ganzes System für den Slalom. Ich stellte meinen Körper unter einen Schutzmechanismus.»
Hat Sie dieses Unterbewusstsein auch eingebremst, gehemmt?
«Definitiv. Das war Skifahren mit Schutzfunktion. Slalomfahren muss man sich wie einen Seiltanz vorstellen. Über die rechte Schulter konnte ich nicht mehr richtig ausbalancieren, weil ich immer Angst hatte, mich wieder zu verletzen.»
War im letzten Winter eine Pause kein Thema gewesen für Sie?
«Im Nachhinein würde ich es anders machen. Ich würde dem Körper ein paar Wochen Ruhe gönnen. Die Verletzung erlitt ich im November, es folgten Abklärungen und die Bestätigung, dass medizinisch kein Risiko bestand. Ich stand vier, fünf Tage später schon wieder auf den Ski, obwohl es mich ab und zu in der Schulter ‹gezwickt› hat.»
Im Frühling folgten weitere Abklärungen. Eine Operation stand nicht im Raum?
«Da war die Verletzung schon viereinhalb Monate her. Ich wollte mir die Chance geben, dass der Körper die Verletzung selber heilt. Jetzt bin ich zuversichtlich, dass eine Operation nicht nötig sein wird.»
Vom Mentalen her gibts auch keine Probleme? Gedanken an die Verletzung können Sie während dem Fahren verdrängen?
«Ich denke schon, ja.»
Das ist umso wichtiger, wenn man sieht, was da im Slalom abgeht.
«Ja, es wäre schwierig, auf diesem Niveau mitzuhalten, wenn du nicht zu hundert Prozent bereit bist.»
Sie waren bisher ein Fahrer, der nicht immer das absolute Risiko gesucht hat. Mittlerweile wird im Slalom «auf Teufel komm raus» gefahren. Werden Sie jetzt beinahe dazu gezwungen, auch mit dieser Taktik zu starten? Wenn ja, mussten Sie das Training entsprechend anpassen?
«Dass wir immer Vollgas geben müssen, stimmt natürlich. Im Training habe ich mich trotzdem vorab auf die Technik konzentriert und bin lange, bis etwa vor drei Wochen, keine Zeitläufe gefahren.»
Trotzdem fühlen Sie sich bereit, am Sonntag mit vollem Risiko zu fahren?
«Ja. Das habe ich in den letzten Wochen schon ab und zu simuliert. Allerdings glaube ich nicht, dass ich so viel Erfolg gehabt hätte, wenn ich keine Risiken eingegangen wäre.»
Ich habe mich vielleicht ein bisschen extrem ausgedrückt.
«Genau. Aber ich weiss schon, was Sie ansprechen wollen.»
Ich wollte nur sagen, dass es Fahrer gibt, die das Risiko mehr suchen als Sie. Müssen Sie selber umdenken, um vorne mithalten zu können?
«Schwierig zu sagen. Grundsätzlich schon. Ich denke, das kommt von selbst. Aber die Ausgangslage ist für mich als Nummer 25 der Weltcup-Startliste eine andere als vorher. Es wäre deshalb im Moment vermessen zu sagen, dass ich starte, um das Rennen zu gewinnen.»
Die primären Ziele sind also vorerst anders gelagert?
«Ich nehme Schritt für Schritt. Im Slalom kann es sehr schnell gehen. Da ist alles so nahe beieinander, da kann schon ein einziges gutes Ergebnis reichen, um in der Startliste wieder deutlich nach vorne zu kommen. Nach einer guten Vorbereitung bin ich auf jeden Fall bereit.»
Mit Philippe Petitjean haben Sie einen neuen Servicemann mit immenser Erfahrung an Ihrer Seite. Er präparierte unter anderem die Ski von Franck Piccard bei dessen Olympiasieg 1988 im Super-G. Zuletzt gehörte er zum Team von Henrik Kristoffersen. Petitjean ist also ein Erfolgsgarant.
(Lacht). «Es kann also nur gut kommen.»
Wenn wir schon beim Ausblick sind: Was spricht dafür, dass es für Sie keinen Winter wie den letzten geben wird?
«Weil ich körperlich wieder fit bin. Momentan.»