Federers Tränen Federers Tränen: Die Schweiz zwischen Mitgefühl und Ablehnung

wer

20.12.2019

Roger Federer wird es nie allen recht machen können.
Roger Federer wird es nie allen recht machen können.
Bild: Keystone

Roger Federer ist nicht nur ein herausragender Sportler, sondern auch ein wirtschaftlich denkender Unternehmer und sensibler Zeitgenosse. Eine Kombination, die nicht allen behagt. 

Die Spielabsage von Bogota wegen politischer und sozialer Unruhen in Kolumbien setzte Roger Federer im Rahmen seiner Südamerika-Tour sichtlich zu. Als er tausenden Fans im Stadion erklären musste, dass er und Alexander Zverev nicht gegeneinander spielen würden und sich die Leute in Sicherheit zu begeben hätten, brach für den Baselbieter eine Welt zusammen. In den Katakomben flossen Tränen.



«ESPN» zeigte die Szenen in der Dokumentation «Roger Federer: Everywhere is Home» am Dienstag. Seither wird darüber diskutiert – und ganz viel kritisiert. Auszüge aus den Kommentarspalten:

User-Reaktionen auf «Watson», «Blick» und «20 Minuten»

«Ich dachte zuerst, dass er, konfrontiert mit den krassen sozialen Unterschieden (er 10 Millionen in der Woche – andere haben gar nichts), plötzlich zu tiefer Reflexion und Trauer gelangt ist. Aber nein. Er weint weil er nicht spielen darf. Und fliegt per Privatjet davon.»

«Die Unruhen in Kolumbien richten sich gegen eine korrupte Machtelite um Duque, die mit Rentenreformen und Arbeitsmarkt-Liberalisierungen noch mehr Kohle scheffeln wollen. Die gleiche Elite die sich die Tickets für den Federer-Show-Match leisten können. Und die gleichen, die mit ihren gepanzerten SUVs von der Stadion-Garage direkt in ihren ruhigen Vorort kutschiert werden. So viel zu seinen Argumenten für den Abbruch. Federer der Tanzbär der Sponsoren und Konzerne. Die sagen wann getanzt wird und wann nicht! Paar Elefantentränen verdrücken für Kamera und weiter geht’s mit dem Privatjet. OK cool.»

«Wer meint, er spielt hier Tränen vor, der hat echt eine wahnsinnig schlechte Menschenkenntnis. Hat man in den letzten zwei Jahrzehnten Roger Federer beobachtet, hätte man bemerkt, dass er ein hochsensibler und grundauf ehrlich ehrlicher Mensch ist. Er spielt sowas nicht ... er hat das auch nicht nötig, weshalb auch. Im Gegensatz vielen anderen Clowns muss er keine Rolle spielen, er ist sich selber.»

«10 Mio. in einer Woche mit ein paar Spielminuten verdienen, ist nicht mehr nur einfach schräg, sondern schlicht und ergreifend pervers.»


«Das zeigt deutlich was für ein toller, aufrichtiger und guter Mensch mit viel Gefühl Roger Federer ist. Ich wünsche ihm und seiner Familie ganz ruhige und schöne Festtage toll das es Sie gibt.»

«Ein Mensch mit sehr viel Herz, man sollte sich blöde Kommentare ersparen und Respekt zeigen für diesen Jahrhundertsportler.»

«Da heult einer, weil er in einem krisengeschüttelten Land nicht spielen darf und ihn eine Tour durch weitere solche, nach wie vor sehr arme Länder, bei der es nur ums Geld geht, an den Rand eines Nervenzusammenbruchs geführt hat. Und wenn man sich nun über diese Tränen, die geradezu inflationär auftreten, im Ansatz lustig macht, dann ist man in den Augen seiner Fans, die ihn am liebsten zum Bundespräsidenten machen würden, neidisch. Stimmt. Das ist mir aber völlig egal.»

«Ich bin Federer Fan, schon seit vielen Jahren. Er ist echt der Grösste. Aber diese Heulerei ständig nervt.»


«Ich habe nichts gegen weinende Männer und auch Frauen ... ganz im Gegenteil ... Aber ich frage mich langsam schon, wie Roger mit einem echten Schicksalsschlag umgehen würde ... Ok, auch andere Sportler weinen, und das ist auch verständlich ... aber irgendwie finde ich das hier etwas übertrieben / irgendwie kommt es mir gekünstelt vor. Nadal z.B. kamen die Tränen beim Davis Cup während einer Rede seines Kollegen Bautista-Agut, der gerade seinen Vater verloren hat ... das hat mich ehrlichgesagt dann doch mehr berührt ... Aber ok, man soll nicht urteilen über die Gefühle anderer Menschen.»

«Ganz ehrlich ich kann’s nicht mehr sehen. Grundsätzlich fand ich Federer immer sympathisch. Aber er heult wenn er gewinnt, wenn er verliert und auch sonst bei jedem zweiten Interview. Es ist langsam genug. Emotionen sind schön und gut aber man kann’s auch übertreiben.»

«Ich kann nachvollziehen, dass es einem Herzensmenschen zusetzen kann, wenn er eine Halle voller Menschen eine enttäuschende Nachricht überbringen muss. Die meisten von uns sind schon am hadern und hirnen, wenn ein paar Geschäftskollegen mal enttäuscht sind von einem ... wie es sich anfühlt, ein paar tausende Menschen, die Geld ausgegeben haben um ihn zu sehen, zu informieren, dass sie jetzt wieder nach Hause gehen können. So schwierig kann es doch nicht zu verstehen sein, dass einem das zusetzt.»


Kein Grund zur Aufregung

Ist die Kritik an Roger Federer nun also gerechtfertigt? War es falsch, in Krisenregionen Südamerikas Show-Matches anzusetzen und eine Millionen-Gage dafür zu kassieren?

Man muss akzeptieren, dass Federer mit seiner Tour nicht nur Sympathien gewonnen, sondern hierzulande eben auch welche verloren hat. Das hat nichts mit Neid zu tun, wie stets vorgeworfen wird, sobald etwas in Frage gestellt wird, was in Zusammenhang mit dem «nationalen Heiligtum» Roger Federer steht. Man darf es falsch finden, dass zu diesem Zeitpunkt und für diesen Preis Spiele in Regionen stattfinden, wo sich mehrheitlich nur Gutbetuchte ein Ticket leisten können.

Federer reine Geldgier und vorgespielte Gefühle zu unterstellen, ist indes völlig haltlos. Er ist Tennis- und kein Schauspieler oder skrupelloser Geschäftsmann, das hat sich im Lauf seiner Karriere zigfach gezeigt. Zusehends ist er aber auch Unternehmer – mit grossem sozialen Gewissen – aber eben auch mit Anspruch auf finanzielle Optimierung.

Auch wenn man Federer zurecht zugesteht, die Bodenhaftung in Anbetracht seines ausserordentlichen Erfolgs nie verloren zu haben, so ist am Ende eben auch Tatsache, dass sich die Welt, in der er lebt, dem Durchschnittsbürger unmöglich erschliessen kann. Rational betrachtet ist die Absage eines Tennisspiels völlig belanglos. Emotional aber bedeutete sie Federer in diesem Moment alles. Deshalb waren die Tränen ehrlich, legitim und letztlich überhaupt kein Grund zur Aufregung. 




Die Federer-Doku (inoffiziell) auf Youtube

Teil 1 // Teil 2 // Teil 3

Zurück zur StartseiteZurück zum Sport