Jannik Sinner ist auf der ATP-Tour der Spieler der Stunde. Der junge, am Sonntag in Miami siegreiche Italiener bringt alles mit, um in den nächsten Jahren prägend zu sein.
Novak Djokovic hat in diesen Tagen auch etwas zu feiern: Seine am Ostermontag begonnene 419. Woche an der Spitze der Weltrangliste wird am nächsten Sonntag mit einer neuen Bestmarke enden. Mit seinen fast 37 Jahren wird der Serbe dann Roger Federer als älteste Nummer 1 der Welt ablösen.
Die Frage, wie oft Djokovic darüber hinaus noch das ATP-Ranking anführen wird, ist derweil interessanter geworden. In Miami, wo Djokovic sich eine Auszeit gönnte, setzte Jannik Sinner ein weiteres Ausrufezeichen in seiner schon beeindruckenden Saison.
«Er wird in den nächsten Wochen am meisten Titel gewinnen», sagte Daniil Medwedew über Sinner. «Er ist im Moment der beste Spieler der Welt», doppelte Grigor Dimitrov nach. Medwedew kassierte im Halbfinal von Miami in 70 Minuten ein 1:6, 2:6, und Dimitrov war im Final genauso chancenlos gegen den zeitweise fast fehlerfrei agierenden Sinner.
22 der 23 Matches hat Sinner in diesem Jahr gewonnen, in Miami holte er sich als erste Italiener einen zweiten ATP-1000-Titel nach jenem in Toronto im letzten Jahr, und seit Montag hat er als Nummer 2 im ATP-Ranking die Rolle des ersten Verfolgers von Djokovic übernommen. Gut 1000 Punkte trennen ihn vom Grand-Slam-Rekordsieger. Anfang Jahr betrug der Rückstand fast 4000 Punkte.
«Alles ist also in Ordnung»
Auch wenn der erfahrene Dimitrov, der nach dem Final gefragt wurde, ob Sinner ihn an die Allerbesten der Tennis-Geschichte erinnere, den Italiener (noch) nicht in die höchste aller Kategorien loben wollte, so umgibt den neuen Weltranglistenzweiten schon eine bemerkenswerte Aura. In seiner sechsten Saison auf der ATP-Tour wirkt er nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz abgeklärt.
«Ich habe noch viel zu lernen», versicherte Sinner kurz nach seinem Finalsieg beim Turnier in Florida. «Ich hatte einen wirklichen guten Start in die Saison, viel besser als ich es mir erträumt hatte. Aber ich bleibe im Moment. Was erreicht wurde, ist geschafft. Jedes Turnier ist einen neue Möglichkeit. So sehe ich die Dinge.»
Der 22-Jährige spricht über das Tennis genauso ruhig und reflektiert wie über seine Familie, die ihr eigenes Leben führt und deshalb selten an den Turnieren dabei ist. «Mein Vater war in Indian Wells. Aber meine Eltern reisen ansonsten nicht viel», erzählt Sinner und relativiert die Bedeutung der Distanz zu seinen Eltern, die im Südtirol eine Ferienunterkunft leiten: «Ich bin glücklich. Und wenn meine Eltern das wissen, sind sie es auch. Also ist alles in Ordnung.»
Tennis ist in guten Händen
Sinner hat weder Zeit noch das Bedürfnis innezuhalten. Schon in seinem ersten Statement nach dem Titel in Miami war der Blick wieder nach vorne gerichtet Richtung Sandsaison, die «normalerweise schwierig ist für mich». Am Donnerstag beginnt er mit dem Training auf der neuen Unterlage, und ab Sonntag steht schon das nächste ATP-1000-Turnier in Monte-Carlo auf dem Programm.
Darren Cahill, einer der beiden Coaches von Sinner, hebt hervor, wie gut sein Schützling mit dem Leben auf der Tour umgeht. «Er geniesst jeden Moment. Gleichzeitig hat er beide Füsse fest auf dem Boden. Er schätzt sein Leben. Er ist ein normaler 22-jähriger Junge. Man kann viel von ihm lernen, wie auch von Carlos (Alcaraz). Ich denke, die beiden sind sich in sehr, sehr vielen Bereichen ähnlich.» Das Tennis sei in guten Händen.
Cahill weiss, wovon er spricht. Der 59-jährige Australier war vor gut 20 Jahren der Coach von Andre Agassi, als dieser seine Führungsposition etappenweise an die nächste, von Roger Federer geprägten Generation abgeben musste. Sinner und Alcaraz, die in diesem Jahr die wichtigsten Turniere für sich entschieden haben, stehen diesmal bereit, um das Zepter endgültig zu übernehmen.
Vorfreude auf die nächsten Wochen
Die kommenden Wochen auf europäischem Sand und Rasen versprechen dem Optimisten einen grossen Showdown zwischen den Generationen. Djokovic wird sich nach dem für ihn enttäuschenden Saisonstart im Training wieder aufgepeppt haben, Rafael Nadal könnte, wenn der Körper mitspielt, auf seiner Lieblingsunterlage nochmals zum Schlussfurioso ansetzen und anderen wie Medwedew, Alexander Zverev, Holger Rune oder Casper Ruud ist ebenfalls ein Coup zuzutrauen.
Ausruhen gehe nicht, betont Cahill. Jeder arbeite daran, Fortschritte zu erzielen. «Novak (Djokovic) versucht auch mit 36 Jahren, noch besser zu werden, Medwedew wird Anpassung machen, und Carlos (Alcaraz) arbeitet an seinem Aufschlag.» Und Sinner? « Er spielt momentan super. Aber er kann noch besser werden.»