Ein angeschlagener Roger Federer muss im Halbfinal der Australian Open Novak Djokovic den Sieg überlassen. Auch wenn diese Niederlage absehbar war – der Schweizer muss den Rivalen aus seinem Kopf bringen.
«Netter Empfang, netter Abschied – und dazwischen war es zum Vergessen, weil du weisst, du hast eine dreiprozentige Chance zu gewinnen.» So fasste Roger Federer an der Pressekonferenz seinen Auftritt am Donnerstag zusammen.
Die unheilvolle Ausgangslage des 38-Jährigen war seinen Problemen mit den Adduktoren geschuldet. Schon beim Match gegen Tennys Sandgren musste er eine medizinische Auszeit nehmen, auch gestern nach dem verlorenem Startsatz gegen Djokovic liess er sich in den Katakomben behandeln.
Wer den Baselbieter seit seinem Profidebüt am 7. Juli 1998 regelmässig verfolgte, konnte aber entspannt auf das 50. Duell der beiden Ausnahmekönner blicken. Schliesslich hat Federer stolze 1513 Matches auf der Tour bestritten, davon 421 Grand-Slam-Partien, ohne ein einziges Mal ein Spiel aufzugeben. Insgesamt nur vier Mal in seiner langen Karriere musste Federer überhaupt bei einem Turnier aus gesundheitlichen Gründen Forfait geben. Sein serbischer Rivale findet die richtigen Worte zu diesen Fakten: «Grosser Respekt.»
Leider musste Federer dieses Jahr in Melbourne über zwölf Stunden auf dem Platz stehen, um sich unter die letzten vier zu spielen.
Die Verletzlichkeit nimmt zu
Solche Zusatzschleifen war man in der Vergangenheit vom «Akkordarbeiter» Federer nicht gewohnt. Und sein Körper wohl ebenso nicht, auch wenn er gemäss eigener Aussage eine gute Vorbereitung machte. Doch Trainingsstunden können leider keine Matchpraxis ersetzen. Federer zeigte sich dementsprechend auch nicht überrascht über das Ausscheiden: «Ich habe das Maximum herausgeholt.»
Der vierfache Familienvater liess durchschimmern, dass er aufgrund der Umstände wohl auch nächstes Jahr das gleiche Programm vor den Australian Open absolvieren wird. «Ich habe in meiner Karriere genügend bewiesen, dass ich nicht viel Spielpraxis brauche», so der Baselbieter. In der Tat kann er den Schalter wohl so schnell umlegen wie kein anderer Spieler – doch auch Federer kann seine Gegner nicht (mehr) wie früher schon vor dem Spiel mit seiner Aura erdrücken.
Dass ihn mit John Millman (ATP 47) und Tennys Sandgren (ATP 100) zwei Spieler ausserhalb seiner Gewichtsklasse nicht nur forderten, sondern an den Rand einer Niederlage brachten, war für alle Fans des Maestros schwer mitanzusehen. Zwar ist der Tennissport unberechenbar, bei den Männern sorgten aber die «Big Three» in den vergangenen Jahren für eine eintönige Phase. Doch in jüngster Vergangenheit ist Novak Djokovic enteilt und alleine auf der Jagd nach Rekorden, auch wenn Nadal immer noch der Topfavorit in Roland Garros ist.
Der Schweizer redete nach dem Spiel gegen Sandgren von Dämonen, welche einem Tennisprofi während eines Spiels immer wieder durch den Kopf gehen würden. Diese negativen Gedanken gehen auch einem Novak Djokovic durch den Kopf. Doch dieser konnte sie beim Spielstand von 1:4 und 0:40 im ersten Satz vertreiben und aufdrehen, während Roger Federer sein Level nicht halten konnte. Dies obwohl er «Nichts zu verlieren hatte», wie Federer erklärte. Als der erste Startsatz für ihn greifbar war, meldete sich der Dämon «Djoker», der seit der bitteren Wimbledon-Niederlage sicher nicht kleiner geworden ist. Die letzten sechs Duelle an Grand-Slam-Turnieren gingen allesamt an den Serben.
Natürlich sieht es Federer richtig, wenn er sagt, dass es auch nach einem Gewinn des Startsatzes sehr schwierig geworden wäre. Die Bedingungen in Melbourne sind tatsächlich ideal für den aktuellen Weltranglistenzweiten, den Rekordsieger (7 Titel) des Turniers.
Mut steht Federer gut
Nichtsdestotrotz spürt man immer noch: Eine offensive Spielweise von Federer kann auch einem Djokovic in Bestform mehr als nur weh tun. In seinem fortgeschrittenen Tennisalter tut jede verpasste Gelegenheit doppelt weh, zumal im Wissen, dass die Stolpersteine nicht weniger werden. Umso bedauerlicher, meldete sich beim Rekord-Slam-Sieger der Körper. Er konnte dem Dominator nicht lange Paroli bieten.
Der Schweizer muss seine Zeit, welche ihm noch auf der Tour bleibt, so angehen wie in den ersten Games gegen Djokovic. Mit dieser Unbeschwertheit und Attitüde kann Federer auch in seinem fortgeschrittenen Alter einen Brocken wie Djokovic aus dem Weg räumen und immer noch Majors gewinnen. Auch wenn die Öffentlichkeit sich seiner «Vergänglichkeit» mehr denn je bewusst sein und jede Minute auf dem Platz geniessen sollte.
Schlussendlich muss er niemandem mehr etwas beweisen. Doch wie süss wäre ein Triumph in Wimbledon, wo er die höchsten Gewinnchancen hat. «Ich glaube an einen weiteren Grand-Slam-Sieg», zeigte sich Federer auch am Donnerstag an der Pressekonferenz selbstbewusst. Der erste Schritt, um die Dämonen 2020 zu vertreiben, hat er schon gemacht.