Ein halbes Jahr nach der inzwischen aufgehobenen provisorischen Dopingsperre spricht Mathias Flückiger erstmals öffentlich. Der Mountainbiker darf wieder Rennen fahren, ist aber nicht freigesprochen.
Der Konferenzraum im Untergeschoss des House of Switzerland in Ittigen bei Bern ist nicht zufällig gewählt. «Fairplay» heisst er, und genau das wünscht sich der mutmasslich vorschnell zum Doper erklärte Mathias Flückiger, der zur Medienkonferenz geladen hat. Der Oberaargauer sieht sich als zu Unrecht Verurteilter, mit seinem Beraterteam will er aufzeigen, weshalb es sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus juristischer Sicht nie zum «Dopingfall Flückiger» hätte kommen dürfen.
Es ist das erste Mal, dass sich der in den letzten Jahren ebenbürtige Kontrahent von Nino Schurter seit dem positiven Dopingtest öffentlich erklärt – das erste Mal, seitdem der Schweizer Radsportverband am 18. August 2022, am Tag vor dem EM-Rennen, bekannt gegeben hat, dass bei einer Dopingkontrolle Flückigers vom 5. Juni die verbotene Substanz Zeranol nachgewiesen wurde und sich Flückiger aus Angst vor Anschuldigungen über eine längere Zeit nicht mehr in die Öffentlichkeit getraut hat.
Einmal, rund drei Wochen nach Bekanntwerden des Falls, hatte sich Flückiger zuvor in einem Communiqué seines Kommunikationsverantwortlichen geäussert und seine Unschuld beteuert. Seither hat er sich formiert, um sich vom Vorwurf des Dopers zu befreien. Neben ihm nehmen an diesem Donnerstagmorgen in Ittigen Dr. phil. nat. Matthias Kamber und Dr. Thilo Pachmann Platz, der eine bis vor fünf Jahren Direktor von Antidoping Schweiz und jetzt unter anderem wissenschaftlicher Berater Flückigers, der andere Anwalt und Experte in Sportrecht.
Kleine Menge, fehlerhafte Prozedur?
Sowohl für Kamber als auch für Pachmann ist klar, dass Flückiger aufgrund der geringen festgestellten Menge und wegen Verfahrensfehlern fälschlicherweise vorverurteilt wurde. Beide kritisieren den Ablauf seit dem fatalen Dopingtest am 5. Juni am Rande der Schweizer Meisterschaften in Leysin. Fakt ist, dass es sich bei der geringen festgestellten Menge der verbotenen Substanz Zeranol – 0,3 Nanogramm pro Milliliter bei einem Schwellenwert von 5 Nanogramm pro Milliliter – um ein «Atypical Finding» und nicht ein «Abnormal Finding» handelt.
«Ein 'Atypical Finding' heisst nicht, dass es eine positive Dopingprobe ist», betont Kamber. Bei so einer geringen Menge der nachgewiesenen verbotenen Substanz sollte man vorsichtig sein, zumal es sich bei Zeranol nicht um ein typisches Anabolikum handle, das in der Vergangenheit zum Dopingmissbrauch verwendet worden sei. Kamber ist von Flückigers Unschuld überzeugt, er sagt: «Ich will niemanden vertreten, der gedopt hat. Ich will jene schützen, die unschuldig sind.»
Anwalt Pachmann verweist auf «glasklare Verfahrensfehler» der Swiss Sport Integrity (SSI). Nach dem 'Atypical Finding' hätte der Athlet zwingend informiert und angehört werden müssen, so jedenfalls interpretiert Pachmann die Satzung im Protokoll der Welt-Antidopingagentur WADA, das englische Wort «shall», das sowohl «sollen» als auch «zu etwas verpflichtet sein» heissen kann.
In Flückigers Fall erfolgte zwischen dem Dopingtest am 5. Juni und der Bekanntgabe am 18. August keine Kontaktaufnahme und Anhörung. Ausserdem seien die Umstände des Tests – etwa die frei zugängliche Örtlichkeit der Probe-Entnahme und der Transport durch die Zuschauermenge – fragwürdig gewesen. «Was im Sommer passiert ist, war mit Sicherheit falsch. Eigentlich dürfte die Öffentlichkeit bis heute nichts von diesem Fall wissen. Die SSI muss Grösse zeigen und den Fehler eingestehen», sagt Pachmann.
Reines Gewissen und Starterlaubnis
Sechs Monate dauert Flückigers Kampf gegen den Stempel des Betrügers, der ihm inmitten seiner sportlich erfolgreichsten Zeit den Boden unter den Füssen weggerissen hat, wie er schildert: «Am 18. August 2022 stand ich eine Stufe vor dem Abgrund. Alle meine Werte, nach denen ich mein ganzes Leben gelebt habe, wurden von einer auf die andere Sekunde infrage gestellt. Man hat mir einfach nicht mehr geglaubt. Ich hatte immer ein reines Gewissen, aber die Leute haben mir nicht mehr geglaubt. Das waren die schlimmsten fünf Monate meines Lebens, mit Abstand.»
Dank der Unterstützung seines Umfeld, insbesondere von Freundin Lisa, die ihren Job als Lehrerin kündigte, hat Flückiger inzwischen aus dem Loch herausgefunden. Auch gibt es wieder Hoffnung auf einen Freispruch: Am 17. Dezember wurde die provisorische Sperre von der Disziplinarkommission des Schweizer Sports (DK) aufgehoben. Das ist zwar noch kein Freispruch, aber ein erster Schritt in die erhoffte Richtung. Die DK anerkannte Verfahrensfehler und räumte ein, dass die provisorische Sperre aufgrund des «Atypical Finding», dem Zeranol-Wert deutlich unter dem festgelegten Schwellenwert, nicht hätte ausgesprochen werden dürfen. Der Ball liegt nun wieder bei der Swiss Sport Integrity, die Flückiger am 10. Februar schliesslich angehört hat.
Flückiger seinerseits befindet sich, wenngleich er später doch schuldig gesprochen werden könnte, auf dem Weg zurück und darf wieder fahren. Am letzten Wochenende bestritt er im spanischen Banyoles zum ersten Mal wieder ein Rennen (6. Rang). Das nächste steht am 19. März mit dem Swiss Cup in Gränichen auf dem Programm.
Bis Flückiger Klarheit haben wird, dürfte noch einige Zeit vergehen. «Jetzt sind wir wieder auf Feld 1», sagt Pachmann. Sollte Flückiger wieder gesperrt werden, stünde der weitere Rechtsweg über die B-Probe bevor. Bezahlen muss Flückiger die Kosten für seine Verteidigung vorerst selber. Seine Sponsoren seien loyal, sagt der Athlet. Geld fliesst aber keines, solange so vieles im Unklaren ist.