Das Fairphone 4 verspricht Grosses: Es soll das erste Smartphone sein, durch das kein zusätzlicher Elektronikmüll entsteht. Doch welche Kompromisse muss man bei so einem Gerät eingehen?
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18.10.2021, 00:00
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Das neue Fairphone 4 unterscheidet sich schon beim Auspacken von allen anderen Smartphones. Es wird im Versandkarton durch kompostierbares Polstermaterial vor Transportschäden geschützt. Ausser dem modular aufgebauten Smartphone und dem beiliegenden Schraubendreher ist eigentlich alles für den Kompost geeignet.
Schon vor der ersten Inbetriebnahme kommt man in Bastelstimmung. Eine SIM-Karte wird nicht wie anderswo auf einem kleinen Schlitten seitlich ins Gehäuse geschoben. Vielmehr muss man den Rückendeckel abnehmen und den Akku entfernen – und gelangt dann im Innern an den SIM-Kartenschacht. Das klingt kompliziert, ist aber schnell erledigt. Neben der physischen Nano-SIM-Karte wird auch eine E-SIM unterstützt.
Bauform erfordert Kompromisse
Das Gehäuse des Fairphone 4 mit seinem stabilen Aluminium-Rahmen liegt gut in der Hand. Mit 10,5 Millimeter fällt es etwas dicker aus als andere aktuelle Smartphones – der niederländische Hersteller will sich nicht dem Schlankheitswahn der Branche unterwerfen.
Um das Gehäuse nicht noch dicker machen zu müssen, ist man ohnehin schon Kompromisse eingegangen. Unter anderem fiel die Buchse für Klinkenstecker weg. Dafür ist das Gerät nun gegen Spritzwasser geschützt – trotz abnehmbarer Rückseite.
Auch bei der Batterie stiess das Fairphone-Team an räumliche Grenzen und musste sich auf einen Akku mit 3905 Milliamperestunden (mAh) beschränken. Im Test kam es bei einer moderaten Nutzung gut durch einen Tag. Vielnutzer können sich für 30 Euro (35 Franken) einen Zweitakku zulegen und bei Bedarf wechseln. In 30 Minuten kann man einen leeren Akku zu 50 Prozent wieder aufladen.
Mittelklassetechnik mit Vor- und Nachteilen
Das Display des Fairphone 4 hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Zum einen muss man keine Angst mehr haben, dass der Bildschirm leicht verkratzt – das Display ist nun durch widerstandsfähiges Spezialglas geschützt. Andererseits wirkt das Bild nicht so brillant wie bei Geräten der Spitzenklasse. Beim Scrollen von Webseiten bewegten sich die Inhalte auf dem LCD mit einer Bildschirmwiederholfrequenz von 60 Hertz nicht so flüssig wie auf modernen OLED-Bildschirmen.
Trotzdem hat man nicht das Gefühl, schon zum Marktstart ein Stück veraltete Technik in der Hand zu haben. Der verwendete Qualcomm-Chip Snapdragon 750G macht das Fairphone 4 fit für die fünfte Mobilfunkgeneration (5G). Alle gängigen Anwendungen laufen flüssig. Als mobile Gaming-Konsole ist das Gerät mit dieser Ausstattung aber weniger geeignet.
Verbesserte Kamera mit Kinderkrankheiten
Beim vierten Fairphone gibt es eine Kamera mit zwei Objektiven. Die Hauptkamera mit einem Weitwinkel hat optische Bildstabilisierung, einen Laser-Autofokus und 48 Megapixel Auflösung. Dazu kommt eine Ultraweitkamera mit Makrofunktion. Zoom gibt es nur digital. Im Praxistest gerieten die Bilder nicht so brillant, wie erwartet. Fairphone verspricht noch für den Oktober ein Kamera-Update für bessere Bildqualität.
Neueste Technik steht beim Fairphone 4 aber ohnehin nicht so sehr im Vordergrund. Das Unternehmen kann mit seinen Bemühungen glänzen, möglichst umweltschonend zu produzieren. Die Niederländer haben sich auf 14 Schlüsselmaterialien fokussiert, die alle aus nachhaltigen und fairen Quellen stammen müssen, um im Telefon verbaut zu werden. Die Spanne reicht von Gold über Aluminium, fairem Wolfram aus Ruanda, recyceltem Zinn und seltenen Erden bis zu recycelten Kunststoffen.
Lange Garantie mit Fragezeichen
Fünf Jahre Garantie gibt es auf das Fairphone 4. Nur der Akku ist als Verschleissmaterial davon nicht abgedeckt. Doch er kann dank des modularen Aufbaus ausgetauscht werden, ebenso das Display, die beiden Kameras, der USB-C-Anschluss sowie Lautsprecher und Hörmuschel. Ein neues Display kostet etwa 80 Euro (90 Franken) , und man kann es ohne Hilfe einer Werkstatt selbst austauschen. Bei einem Spitzen-Smartphone werden für einen Displaytausch gerne mal 300 Franken und mehr verlangt.
Die Fairphone-Garantie umfasst auch die Software: Updates auf die Android-Versionen 12 und 13 werden fest zugesagt, der Umstieg auf die Versionen 14 und 15 immerhin in Aussicht gestellt. Ob ein Update auf die überüberübernächste Android-Version aber tatsächlich gelingen wird, hängt auch massgeblich von Google ab. Es ist derzeit schwer einzuschätzen, welche Mindestanforderungen an die Hardware für Android 15 in Zukunft gelten werden.
Umfangreiches Recyclingprogramm
Der Anbieter preist das Fairphone 4 als «das erste Elektronikmüll neutrale 5G-Mobiltelefon der Welt» an. Das ist mit einem konkreten Versprechen verbunden: Für jedes verkaufte Gerät soll je ein Mobiltelefon – oder die gleiche Menge an Elektronikmüll – verantwortungsbewusst recycelt werden, sagt Firmenchefin Eva Gouwens.
Es wird für Fairphone eine Herkulesaufgabe sein, dieses Versprechen tatsächlich einzulösen. Das hat unter anderen damit zu tun, dass sich auch die Menschen in Deutschland so ungern von ihren alten Geräten trennen, obwohl sie längst nur noch in einer Schublade liegen.
Das Konzept hat seinen Preis
Daher wird Fairphone alternativ auch alte Geräte generalüberholen, damit sie wiederverwendet werden können. Geräte, die für das Recycling-Programm verwendet werden, sollen aus europäischen Rücknahmeaktionen von Fairphone stammen oder aus Ländern ohne offizielle Recycling-Infrastruktur. Sie würden von dort aus zum umweltgerechten Aufbereitung nach Europa gebracht.
Der grosse Aufwand bei der Vermeidung von Elektroschrott und bei der Beschaffung von fair gewonnenen Rohstoffen schlagen sich im Preis des Fairphone 4 nieder, ebenso das umfassende Recyclingprogramm. Der Einstiegspreis liegt bei 479 Euro (515 Franken). Dafür bekommt man die Version mit 6 Gigabyte (GB) RAM und 128 GB internem Speicher.
Die Variante mit 8 GB RAM und 256 GB internem Speicher kostet 539 Euro (580 Franken). Das Fairphone 4 lässt sich direkt beim Hersteller zum Versand in die Schweiz bestellen. Hinzu kommen allerdings dann noch Zollgebühren. Zum Vergleich: Andere Smartphones mit dem Snapdragon-Chip 750G wie das OnePlus Nord CE 5G sind schon für 300 Franken zu haben.
Fazit: Teurer ja, aber vorbildliches Konzept
Das Fairphone 4 ist teurer als die Konkurrenz in der Mittelklasse, doch dieser Preisunterschied erscheint angemessen. Denn dafür erhält man ein Gerät, das man jahrelang nutzen kann. Mit der Unterstützung von 5G und E-SIM ist das Fairphone 4 zukunftssicher, auch weil es über überdurchschnittlich lange Zeit mit aktueller Software versorgt werden wird. Die faire Gewinnung der benötigten Ressourcen, die leichte Reparierbarkeit und das umfassende Recyclingversprechen sind vorbildlich und setzen einen neuen Standard.