Viele US-Staaten verbieten Abtreibungen Mens-Apps können Frauen ans Messer liefern

Von Dirk Jacquemien

27.6.2022

Eine Aktivistin hält Wahnwache vor dem Obersten Gericht in Washington, USA: Dieses hat das Recht auf Abtreibung auf Bundesebene abgeschafft.
Eine Aktivistin hält Wahnwache vor dem Obersten Gericht in Washington, USA: Dieses hat das Recht auf Abtreibung auf Bundesebene abgeschafft.
KEYSTONE

Über Nacht ist Abtreibung in vielen US-Bundesstaaten illegal geworden. Viele Frauen sind nun in Sorge, dass populäre Zyklus-Apps der Polizei Hinweise liefern könnten, die diese gegen die Frauen verwendet.

Von Dirk Jacquemien

27.6.2022

Am Freitag hat die konservative Mehrheit des obersten Gerichtshof der USA das seit knapp 50 Jahren bestehende Grundrecht auf eine Abtreibung für null und nichtig erklärt. Abtreibungsgegner*innen und ihre Alliierten in der Republikanischen Partei haben seit Jahrzehnten auf diesen Moment hingearbeitet und so gab es in zahlreichen Bundesstaaten so genannte «Trigger Laws», durch die Abtreibung nach Bekanntgabe des Supreme Court-Urteils automatisch rechtswidrig wird.

In Arkansas und Alabama sind beispielsweise selbst Schwangerschaftsabbrüche nach einer Vergewaltigung oder Inzest ab sofort illegal. In fast allen anderen republikanisch kontrollierten Staaten wird ein Verbot in den kommenden Wochen in Kraft treten, wohl in insgesamt 26 Staaten.

Staatsanwälte in diesen Staaten kündigten bereits an, Verletzungen des Verbots konsequent strafrechtlich verfolgen. Erleichtert werden könnte ihnen diese Arbeit durch von Frauen in Zyklus-Apps selbst gesammelte Daten.

Zyklus-Apps werden bei iOS und Android mitgeliefert

Zyklus-Apps erfreuen sich enormer Beliebtheit. Allein der weltweite Markführer Flo hat beispielsweise rund 46 Millionen Nutzerinnen. Zudem bieten auch die von Apple und Google mit iOS und Android mitgelieferten Gesundheits-Apps eine rudimentäre Zyklus-Verfolgung. Und wie so viele andere Daten landen auch jene zur Periode oftmals in der Cloud.

Das macht diese Daten zum Ziel der Strafverfolgungsbehörden. Wenn eine Frau unter dem Verdacht steht, einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt zu haben, könnten Polizei und Staatsanwaltschaft per Gerichtsbeschluss die Anbieter der Zyklus-Apps zur Herausgabe der Nutzerinnen-Daten zwingen. US-Unternehmen sind üblicherweise verpflichtet, diesen Anordnungen Folge zu leisten.

Ausbleibende Periode als Indiz für Abtreibung

Wenn nun beispielsweise eine Frau mit ansonsten regelmässiger Periode für ein Intermezzo von drei oder vier Monaten keine Monatsblutung in ihrer App eingetragen hat, könnte das von den Strafverfolgungsbehörden als ein Indiz für eine Schwangerschaft und anschliessende Abtreibung angesehen werden.

In den Stunden nach Bekanntgabe des Supreme Court gab es in Anbetracht dieses Schreckenszenarios auf Twitter und anderen Social-Media-Plattformen daher vielfach geteilte Aufforderungen zur sofortigen Löschung der Zyklus-Apps.

Anbieter beschwichtigen

Die Anbieter der Apps versuchen derweil zu beschwichtigen. Flo kündigte an, einen «anonymen Modus» einzuführen, bei dem die Gesundheitsdaten einer Nutzerin von ihrer Identität getrennt würden. Das Unternehmen muss allerdings erst Vertrauen zurückgewinnen. 2019 wurde Flo dabei erwischt, wie es Daten seiner Nutzerinnen zu Werbezwecken an Facebook und Google verkaufte.

Das ebenfalls sehr populäre Clue, das von einem deutschen Start-up entwickelt wurde, verweist darauf, dass man als europäisches Unternehmen der EU-Datenschutzgrundverordnung unterliege, die eine Weitergabe der Daten verbiete. Anordnungen von US-Behörden zur Datenherausgabe hätten keinerlei Rechtskraft.

Auch andere Daten sind verräterisch

All das schliesst allerdings nicht die Möglichkeit aus, dass die Behörden die Smartphones der Frauen selbst beschlagnahmen und so an die Daten kommen. Einige Expert*innen raten daher Frauen in Staaten, in denen Abtreibungen nun illegal sind, generell von der Nutzung von Zyklus-Apps ab.

Damit ist es aber nicht getan. Im Unterschied zu den 1970ern, als Abtreibung in den USA das letzte Mal illegal war, gibt es nun viel mehr Möglichkeiten zur Alltagsüberwachung. Denn digitale Spuren hinterlassen nicht nur die Zyklus-Apps. Google-Suchanfragen oder Chatnachrichten mit Freund*innen können ebenso verräterisch sein

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