Nach krummem Deal Wie geht es jetzt mit TikTok weiter?

dj

21.9.2020

ByteDance steht über Oracle und Walmart. Dieses Symbolbild beschreibt akkurat die zukünftigen Machtverhältnisse bei TikTok.
ByteDance steht über Oracle und Walmart. Dieses Symbolbild beschreibt akkurat die zukünftigen Machtverhältnisse bei TikTok.
Getty Images

TikTok-Nutzer können wohl aufatmen, die App scheint gerettet. Doch bei den Modalitäten eines Deals gibt es zahlreiche Unklarheiten und Widersprüche. Trump hat klein beigegeben, erklärt sich aber trotzdem zum Sieger.

Ist das nun der «Art of the Deal»? US-Präsident Donald Trump hat eine Vereinbarung zur Zukunft von TikTok prinzipiell abgesegnet, obwohl dabei quasi keine einzige seiner im letzten Monat formulierten Forderungen erfüllt wird. Es ist ein bekanntes Muster bei dem Realitystar Trump: Sich öffentlich zum Sieger erklären, aber in der Sache klein beigeben.

Wir erinnern uns: Anfang August erklärte Trump die dem chinesischen Unternehmen ByteDance gehörende Video-App TikTok zum Risiko für die «nationale Sicherheit» der USA und ordnete deren Verkauf an ein US-Unternehmen an. Daten von Millionen US-Bürgern würden durch TikTok in die Hände der Kommunistischen Partei Chinas fallen, so die Rechtfertigung. Ausserdem hätte er gerne noch einen «beträchtlichen» Anteil des Verkaufserlöses für die US-Staatskasse, so Trump. Bis zum 15. September lief die erste von mehreren Deadlines, bei deren Überschreiten ein Verbot der App drohte.

Am Freitag machte Trump nun seine Drohung vorgeblich wahr und liess sein Handelsministerium einen Erlass formulieren, der Apple und Google dazu verpflichtete, am gestrigen Sonntag TikTok aus den US-App Stores zu entfernen. Samstagabend allerdings hiess es, es gäbe eine Lösung, an der Oracle und Walmart beteiligt seien.

TikTok bleibt zusammen

Und die soll wie folgt aussehen: Ein neues Unternehmen namens «TikTok Global» mit Sitz in den USA soll das gesamte Geschäft der App ausserhalb Chinas umfassen— und nicht, wie zwischenzeitlich angedacht, nur jenes in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland. Damit wurde auch eine allfällige Spaltung der App vermieden, alles läuft so weiter wie gehabt.

«Es wird nichts mit China zu tun haben», verkündete Trump in Bezug auf TikTok Global. Das stimmt eindeutig nicht. ByteDance wird nach eigenen Angaben weiterhin 80 Prozent von TikTok Global besitzen. 12,5 Prozent gehen an Oracle, 7,5 Prozent an Walmart. Weil allerdings amerikanische Investoren wiederum 40 Prozent an ByteDance halten, wäre TikTok Global somit zu 53 Prozent im Eigentum von Amerikanern, so die Argumentation von Trump-Regierungsmitgliedern.

Aber die artikulierten Sicherheitsbedenken waren natürlich, dass ByteDance und seine Führungskräfte mit Geschäfts- und Lebensmittelpunkt in China sich den Zwängen der dortigen Regierung nicht widersetzen könnten. Daran ändert der Deal erstmals absolut gar nichts. In naher Zukunft soll TikTok Global allerdings an die Börse gehen, dann könnten US-Investoren tatsächlich eine kontrollierende Mehrheit an dem neuen Unternehmen bekommen.

Fünf Milliarden von TikTok für «patriotische Bildung»?

Auch behauptete Trump, dass TikTok fünf Milliarden Dollar für einen «Bildungsfond» bereitstellen werde. Trump und die Republikaner sind seit einiger Zeit besessen von einer 2019 veröffentlichten Essay-Reihe der «New York Times» namens «1619 Project». In dieser wird postuliert, dass auch die Sklaverei ein entscheidender Teil der amerikanischen Nationalstaatsgründung gewesen sei. Das empfindet die amerikanische Rechte als Blasphemie am Nationalmythos und Trump kündigte jüngst die «1776 Commission» an, die ein «patriotisches» Bildungsprogramm für Schüler entwickeln soll.

Und für dieses Programm werde TikTok nun die fünf Milliarden Dollar bereitstellen. ByteDance will davon nichts wissen. Nach seiner Auffassung besteht diese Summe einfach aus den Steuern, die TikTok in den USA in den nächsten Jahren eh bezahlen wird — es also keinen einzigen Cent zu irgendeinem Fond für «patriotische Erziehung» beiträgt. Und über die Verwendung von Steuergeldern entscheidet bekanntlich der US-Kongress, in dem Trump auch im Falle seiner Wiederwahl vermutlich keine Mehrheit haben wird.

Dann liess Trump noch verlautbaren, dass TikTok sein Hauptquartier in Texas ansiedeln würde. Auch hier findet sich von ByteDance/TikTok-Seite nichts dazu. Es gibt auch kaum einen rationalen Grund, warum TikTok US von der Unterhaltungsmetropole Los Angeles nach Texas umziehen sollte. Aber Subtext ist hier natürlich, dass Texas von Republikanern regiert wird und Kalifornien von Demokraten.

Guter Deal für ByteDance und China

Für ByteDance ist das scheinbare Endergebnis nun allerdings deutlich besser, als man es noch vor wenigen Wochen vermutet hätte. Sicherlich hätte das Unternehmen TikTok lieber ganz behalten. Aber für seine 20 Prozent soll ByteDance nun 12 Milliarden Dollar bekommen, was TikTok einen Wert von 60 Milliarden Dollar geben würde. Das liegt etwa in dem Rahmen, den unabhängige Beobachter zuvor als fairen Wert von TikTok betrachtet haben, ByteDance musste seine Anteile hier also nicht verramschen.

Daher sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die chinesische Regierung den Deal noch torpedieren wird. Sie sprach in den letzten Wochen von «Piraterie», die von den USA ausgehe. Mit neuen Exportbeschränkungen wurde eine Vereinbarung zu den ursprünglich von Trump formulierten Bedingungen unmöglich gemacht.

Ein Leitartikel in der Parteizeitung «Global Times» nennt den Deal aber nun «vergleichsweise angemessen» für ByteDance. Vergleicht man diese Wortwahl mit der hysterischen Propaganda gegenüber den USA, die dort sonst zu lesen, ist offenkundig, dass Peking ziemlich sicher ist, als Sieger aus dieser Auseinandersetzung hervorgegangen zu sein. Auf Twitter schlägt «Global Times»-Chefredaktor Hu Xijin sogar noch vor, das neue TikTok-Arrangement als Vorbild für die internationalen Operationen von Facebook oder Google zu nehmen:

Trump macht Wahlkampfspender glücklich

Dass es nun zu einer vermeintlich gütigen Einigung gekommen ist, dürfte auch daran liegen, dass man in den USA eben nicht so willkürlich handeln kann, wie das Trump getan hat. Eine Bundesrichterin stoppte am Wochenende das gleichzeitig verkündete Verbot von WeChat per einstweiliger Verfügung. Das ist zumindest ein Anzeichen dafür, dass auch TikTok sich erfolgreich auf dem Rechtsweg gegen ein Verbot hätte wehren können.

Was also springt für Trump dabei heraus? Zumindest glückliche Wahlkampfspender. Oracle-Gründer Larry Ellison und CEO Safra Catz gehören zu wenigen offenen Trump-Unterstützern in der Tech-Branche. Neben seinem Anteil an TikTok Global wird Oracle auch der «vertrauenswürdige Technologiepartner» von TikTok und speichert die Daten von amerikanischen TikTok-Nutzern zukünftig in seiner Cloud. Im Cloud-Business war Oracle bisher weiter hinter Amazon, Microsoft oder Google abgeschlagen.

Dies wird nun als Triumph für die Sicherheit der amerikanischen Nutzer dargestellt. Aber deren Daten waren bereits zuvor nach Angaben von ByteDance in den USA gespeichert, hauptsächlich auf der Cloud von Google. Sie wechseln nur von einem US-Unternehmen zu einem anderen, das von Trump-Unterstützern geführt wird. Wenn in einem autoritär regierten Entwicklungsland Verträge von ausländischen Unternehmen Anhängern des aktuellen Machthabers zugeschachert werden, gibt es dafür in der Regel eine recht eindeutige Bezeichnung.

Walmart-Shopping bei TikTok

Für die TikTok-Nutzer wird sich aber vorerst nichts ändern. Mittelfristig dürfte zumindest Walmart nach Wegen suchen, seine TikTok-Beteiligung profitabel zu gestalten. Eine Integration von Onlineshopping in der App liegt hier auf der Hand. So könnten TikTok-Influencer beispielsweise Produkte vorstellen, die Nutzer dann direkt bei Walmart bestellen würden. Beim Onlineshopping hinkt Walmart bisher Amazon meilenweit hinterher.

Interims-TikTok-Chefin Vanessa Pappas bleibt derweil erst mal am Steuerrad, nachdem Kurzzeit-CEO Kevin Mayer nach dem ersten kleinen Wassereinbruch in Schettino-Manier das TikTok-Schiff verliess. Für die Australierin Pappas spricht auch, dass Walmart oder Oracle selbst recht offensichtlich nicht die Kompetenz haben, einen Social-Media-Dienst zu führen, der vorwiegend von Teenagern oder jungen Erwachsenen genutzt wird:

Aber auch Instagram-Gründer Kevin Systrom soll als TikTok-Chef im Gespräch sein. Dieser ging bei Instagram nach einem Streit mit Mark Zuckerberg. Letzterer soll neidisch geworden sein, dass Instagram seine eigene Kreation Facebook an Popularität übertraf. Wenn Systrom nun mit TikTok den wohl derzeit wichtigsten Facebook-Konkurrenten führen würde, käme das TikTok-Drama wohl endgültig in Shakespeare-Territorium.

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