Vermeintlicher SupraleiterIst in einem Keller in Seoul die Welt neu erfunden worden?
Von Dirk Jacquemien
7.8.2023
Seit Wochen ist die Wissenschaftswelt in heller Aufregung. Ein neuer vermeintlicher Supraleiter könnte unser Leben revolutionieren. Doch was ist dran am mysteriösen LK-99?
Von Dirk Jacquemien
07.08.2023, 12:57
07.08.2023, 15:18
Dirk Jacquemien
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Südkoreanische Forscher*innen behaupten, ein revolutionäres Material entdeckt zu haben.
LK-99 soll ein Supraleiter bei Raumtemperatur sein und könnte damit verlustfreien Energietransport ermöglichen.
Seit zwei Wochen versuchen nun Wissenschaftler*innen und Hobbyisten die Behauptungen zu überprüfen, bisher ohne klares Ergebnis.
Eine Verbindung aus Blei, Kupfer, Phosphor und Sauerstoff könnte für die Technik ähnlich wichtig werden wie die Erfindung der Dampfmaschine oder des Mikroprozessors. Forscher*innen aus Südkorea wollen in einem Keller eines Wohngebäudes in Seoul ein Material zusammengebraut haben, das bei Raumtemperatur und normalem atmosphärischem Druck Supraleiter-Fähigkeiten aufweist.
Ein Supraleiter ist ein Material, durch das elektrische Energie komplett ohne Verlust fliessen kann. Sehr viele weit verbreitete Metalle sind Supraleiter, allerdings nur bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius.
Beim MRT braucht es Supraleiter
Das machte einen Masseneinsatz bislang völlig impraktikabel. Supraleiter werden derzeit daher nur bei einigen hochspezialisierten Anwendungen genutzt, meist um starke Magnetfelder zu erzeugen, zum Beispiel in MRT-Maschinen, Quantencomputern oder Teilchenbeschleunigern.
Würde es jedoch einen Supraleiter geben, der bei normalen Temperaturen funktioniert, wäre das eine Revolution. Jedes elektronische Gerät würde um ein Vielfaches effizienter werden. Denn warum werden Smartphones und Laptops bei Benutzung warm? Weil sie Energie verlieren.
Es wäre beispielsweise möglich, Strom ohne Verlust durch die ganze Welt zu transportieren, etwa von Solaranlagen in der Sahara oder von Windkraftwerken mitten im Ozean direkt nach Europa. Dementsprechend gross war die Aufregung, als die Forscher*innen vor rund zwei Wochen ihre vermeintliche Entdeckung öffentlich machten. Doch ebenso gross war die Skepsis.
Die koreanischen Forscher*innen des Quantum Energy Research Centre nennen ihr Material LK-99. In zweiverschiedenen Preprints, also wissenschaftlichen Arbeiten, die noch nicht das eigentlich notwendige Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben, stellten sie es Ende Juli vor.
Zusammen mit den Prepints wurde ein Video veröffentlicht, in dem ein kleines Stück mutmassliches LK-99 über einem Magneten schwebt. Laut den Forscher*innen sei dies der Beweis für den Meissner-Ochsenfeld-Effekt, der nur bei Supraleitern auftritt.
Doch die beiden Preprints widersprechen sich teilweise, die Forschungsgruppe hatte sich offensichtlich zerstritten, schon mal kein gutes Zeichen. «Bloomberg» fand zudem heraus, dass sich das Labor des Quantum Energy Research Centre im Keller eines schnöden Wohngebäudes in Seoul befindet.
Doch Äusserlichkeiten sind nicht alles und so manche wichtige Erfindung wurde schon in Kellern oder Garagen gemacht. Die Wissenschaftswelt nimmt die Behauptungen durchaus ernst und versucht nun, die vermeintlichen Eigenschaften von LK-99 zu verifizieren.
Da die Bestandteile von LK-99 relativ leicht zu beschaffen sind, versuchen sich selbst einige Hobby-Physiker an dem vermeintlichen Supraleiter. Der Ingenieur Andrew McCalip, der hauptberuflich bei einer Satellitenfirma arbeitet, versucht etwa LK-99 in seinem Heimlabor herzustellen.
Über den Streaming-Dienst Twitch sowie auf X, ehemals Twitter, liess er die Welt an seinen Versuchen teilhaben, die bisher noch zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt haben. Aber auch er veröffentliche ein Video, das den Meissner-Ochsenfeld-Effekt zeigen könnte.
Bei professionellen Wissenschaftler*innen sind die Ergebnisse bisher ebenfalls gemischt. In Experimenten konnte noch niemand die Supraleiter-Fähigkeiten von LK-99 richtig beweisen, eine eindeutige Widerlegung gibt es bislang allerdings auch nicht.
Theoretiker*innen sind da etwas optimistischer, auch wenn sie sich noch sehr vorsichtig ausdrücken. Berechnungen von Prof. Karsten Held von der Technischen Universität Wien attestieren LK-99 etwa Eigenschaften, die «für Supraleitung vorteilhaft sein können». Und auch die Physikerin Sinéad Griffin vom Lawrence Berkeley National Laboratory hält die Supraleiter-Fähigkeiten bei LK-99 für möglich.