Cliffhanger in Serien«Ein Versprechen, das man nicht brechen sollte»
Dominic Schmid, Keystone-SDA
2.4.2022
Die Idee ist so alt wie das Erzählen selbst: im spannendsten Moment unterbrechen, um das Publikum zur Rückkehr zu zwingen. Ein Gespräch mit dem Regisseur der neuen Schweizer Serie «Nebensaison», Pierre Monnard, über einen der wichtigsten Tricks moderner Serien – den Cliffhanger.
Dominic Schmid, Keystone-SDA
02.04.2022, 12:51
Dominic Schmid, Keystone-SDA
Finstere Gestalten haben die Bremsen manipuliert, das Auto rast unaufhaltsam auf die Klippe zu. In der US-Serie «King of the Rocket Men» aus den 1950er Jahren versucht die Hauptfigur, die Katastrophe abzuwenden – vergeblich. Das Auto stürzt samt Rocket Man die Klippe hinunter, wo es in einem gewaltigen Feuerball explodiert. Kann es tatsächlich sein, dass der Held dem Anschlag zum Opfer gefallen ist?
Auch wenn der Begriff «Cliffhanger» aus dem 19. Jahrhundert stammt: Das Konzept, eine Erzählung im Moment der grössten Spannung zu unterbrechen, ist wohl so alt wie das Erzählen selbst. Tausendundeine Nacht lang erzählte Scheherazade dem König Geschichten, um der sicheren Hinrichtung durch den schnell gelangweilten König zu entgehen. Beim Cliffhanger ging es schon immer um alles, mindestens aber um Leben und Tod.
Zurück zu Rocket Man: Am Anfang der nächsten Folge kommt aus, dass sich der Held und seine Dame in Not in letzter Sekunde aus dem Auto retten konnten. «Das ganze Publikum applaudierte, weil der Rocket Man sich retten konnte, aber ich nicht. Ich war wütend.» So erinnert sich die Hauptfigur Annie aus Stephen Kings «Misery» an die Serie – und ihr Kindheitstrauma, das sie mitunter dazu veranlasste, einen Schriftsteller bei sich zu Hause einzusperren und zu foltern, damit er die Handlung seines neuen Romans in ihrem Sinne umschreibt. Gemäss Annies Meinung hatte er den inoffiziellen Vertrag zwischen Autor und Leser gebrochen.
Wenn Cliffhanger, dann richtig
«Falsche Cliffhanger bringen nur Probleme», sagt Regisseur Pierre Monnard im Gespräch mit Keystone-SDA. Er kennt sich aus auf dem Gebiet der Spannung. Mit «Wilder» hat er eine der erfolgreichsten Schweizer Krimiserien der jüngeren Zeit inszeniert und mit «Platzspitzbaby» den beliebtesten Schweizer Film von 2020.
«Ein Cliffhanger ist nichts anderes als ein Versprechen», sagt er weiter. «Und zwar dafür, dass du in einer Woche wieder etwas Gutes oder Spannendes zu sehen bekommst.» Mit falschen Cliffhangern – die Bedrohung etwa stellt sich als Traum heraus oder zentrale Informationen werden unterschlagen – werde dieses Versprechen gebrochen. «Das sollte man nicht tun. Sonst fühlt sich das Publikum verarscht.»
«Ein guter Cliffhanger muss gleichzeitig die Episode abschliessen und Lust auf die folgende machen. Er muss spektakulär, spannend, oder einfach sehr emotional sein.» Das sei nicht immer einfach. Die Serie «Lost» beispielsweise war bekannt dafür, oft etwas gar dick aufzutragen. «Da wurde das zentrale Mysterium irgendwann so gross und die offenen Fragen so zahlreich, dass es unmöglich wurde, alle Versprechen einzulösen.»
Im Fall der spanische Serie «La casa de papel» verlaufen die Folgen immer wieder nach einem ähnlichen Schema und dann «kommt da wieder dieser verrückte Cliffhanger, und man schaut trotzdem weiter. Ein guter Cliffhanger kann eine mittelmässige Episode retten», so Monnard.
Die Technik des Cliffhangers ist zeitlos, vieles hat sich durch die neue Art des Serienkonsums aber auch verändert. «Wir leben in der Zeit des Binge Watchings. Man kann immer sofort die nächste Episode schauen, ohne lange auf die Auflösung warten zu müssen.» Dabei verhält es sich seiner Ansicht nach bei Cliffhangern wie mit gutem Wein: «In der Woche, in der man auf die Auflösung wartet, beginnt die Fantasie zu spielen. Man kann sich lange freuen, und die Auflösung wird umso dramatischer.» Mit dem Binge Watching sei dieser Reiz des Cliffhangers ein wenig verloren gegangen.
Die erste Folge ist entscheidend
Der wichtigste aller Cliffhanger ist jener am Ende der ersten Episode, weil sich da entscheidet, ob man die Serie überhaupt weiterschaut. «Für Serienmacherinnen und -macher ist die erste Episode die Hölle, denn mit ihr lebt oder stirbt die Serie.» Sie brauche mit Abstand am meisten Zeit - beim Schreiben, Drehen und im Schnitt. Sie muss die ganze Exposition liefern und gleichzeitig unterhalten, und am Schluss auch noch Lust auf alle kommenden Episoden machen. «Wenn man da den Cliffhanger verkackt, hat man verloren, selbst wenn die zukünftigen Episoden alle super sind», sagt Monnard.
Ein Schicksal, das dem Westschweizer Filmemacher in seiner neuen Krimiserie hoffentlich erspart bleibt. Erzählt wird in «Nebensaison» von einer Polizistin, die einem Serienmörder auf die Spur kommt, der in Frankreich und der Schweiz sein Unwesen treibt. Ihre Ermittlungen werden schwieriger, als ihr eigener Sohn in den Tod seiner Freundin involviert wird.
Um ihm zu helfen, trifft die Ermittlerin die folgenschwere Entscheidung, gewisse Indizien so zu fälschen, dass sie auf den Serienmörder als Verantwortlichen zeigen. «Nebensaison» stellt die Frage, wie weit jemand bereit ist, für seine eigenen Kinder zu gehen. Und was passiert, wenn dieser Person dann ein Fehler unterläuft und jemand von dem Plan erfährt? «Nebensaison» läuft auf SRF zwei und PlaySuisse.
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