«Endgame» Der ewige Kampf – Filmemacher gegen Spoiler-Armee

Fabian Tschamper

24.4.2019

Der Spoiler ist keine Erfindung der Filmschaffenden, doch die leiden auch wegen des Internets heute am meisten darunter. So wehrt sich das Erfolgsstudio Marvel gegen die Film-Vermieser.

Die Marvel-Filme sind die Kassenschlager des modernen Kinos: Im Durchschnitt hat jeder der bisherigen 21 Filme rund eine halbe Milliarde Dollar Gewinn eingespielt. Zuletzt hat die Comic-Schmiede ihr Geld in den heute anlaufenden vierten Teil der «Avengers»-Reihe gesteckt: Knapp 400 Millionen Dollar hat die Hightech-Produktion mit jeder Menge Hollywoodstars gekostet.

Marvel muss seine Investition natürlich schützen: Das Studio geizt vorab mit Informationen, um die Spannung hochzuhalten. Und dennoch finden einige Minuten von «Avengers 4: Endgame» illegalerweise ihren Weg ins Internet. Das Internet wird so für eingefleischte Marvel-Fans, die voller Vorfreude auf den Leinwandstart hinfiebern und vollkommen «unvorbelastet» ins Kino gehen wollen, zum Minenfeld, .

Diesen Spoiler behandelt Marvel selbst wie ein kompromittiertes Staatsgeheimnis: Die ganze PR-Maschine wird mobilisiert, um doch noch das Ziel zu erreichen, dass «Endgame» nicht schon kalter Kaffee ist, bevor der Film überhaupt angelaufen ist.

Die Regisseure des Films, Joe und Anthony Russo, haben darum einen Brief an die Kinogänger verfasst. Diese sollen doch bitte den Film nicht spoilern.

Wahrscheinlich war das Schreiben der Filmemacher ohnehin geplant: Selbiges haben sie beim letztjährigen Marvel-Streifen «Infinity War» ebenfalls gemacht. Bei «Endgame» wurde die Veröffentlichung dieses Briefes aufgrund der «leaked footage» vorverschoben – ein cleverer Schachzug von Marvel.

Die paar Minuten, die durch das Leck bei den Superhelden-Studios ins Internet gelangten, waren Diebstahl ihres intellektuellen Eigentums. Jene versuchen zu löschen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Die Konsequenzen der Spoiler-Gesellschaft

Was für Auswirkungen haben diese Film-Verderber? Der Journalist James Whitbrook beschreibt in seinem Blog, welche mühsamen Folgen die Spoiler auf die Arbeit der Filmschaffenden hat. Er zeigt das am Beispiel des logistischen Horrors eines Marvel-Drehs.

Brie Larson, die «Captain Marvel» in «Endgame» verkörpert, kommt da zu Wort und erzählt von den Schwierigkeiten, wenn man beim Dreh nur eine Zeit und einen Ort kennt: «An meinem ersten Drehtag flog ich nach Atlanta. Ich hatte keine Ahnung, welche Szene gedreht wird, worum es im Film geht. Ich wusste nicht einmal, ob ich die Szene mit jemand anderem drehte. Ich wusste nichts.»

Erst als die Darsteller vor Ort sind, bekommen sie die Seiten für den Tag. Das Drehbuch ist individuell angepasst, so dass Larson nur ihre eigenen Zeilen lesen kann – der Rest ist – dank der Spoiler-Gemeinde – zensiert.

Auch «Thor»-Darsteller Chris Hemsworth bestätigt, dass er während der Dreharbeiten mitunter keine Ahnung hat, worum es geht. Heute habe er gerade mal eine vage Idee, in welche Richtung sich sein Schicksal und die Geschichte bewege.

Die Fans sind dankbar für die wenigen Vorabinformationen. Denn jeder Marvel-Anhänger will die letzten Minuten mit seinen Lieblingssuperhelden bis zum Abspann geniessen.

Die Goldene Regel

Darf man überhaupt spoilern? Die Antwort: Jein. Eigentlich haben «Spoiler» Tradition: Sie finden sich schon seit den Anfängen der menschlichen Kulturgeschichte. Da war der «Spoiler» etwas Normales. Viele griechische Tragödien erklären beispielsweise im eröffnenden Monolog ganz genau, was passieren wird.

Oder der geneigte Leser findet in den grossen Novellen des 18. und 19. Jahrhundert Kapiteltitel, die kommende Grossereignisse «spoilern». Das Verraten und Vermiesen zieht sich bis ins 20. Jahrhundert durch: Im Jahr 1976 beispielsweise bekommt der New York Times-Leser einen Artikel zu «Star Wars» zu sehen, in dem der Regisseur George Lucas jede Szene bis und mit Ende erklärt – notabene ein Jahr vor dem offiziellen Start des Films.

Natürlich gibt es Geschichten, die sich um einen grossen Plottwist drehen – und gerade hier tut der Spoiler dem Filmfan ganz besonders weh: Hätte man – Achtung, Spoiler – damals schon allen gesagt, dass Bruce Willis in «The Sixth Sense» ein Geist oder dass Darth Vader der Vater von  Luke Skywalker ist, wäre man einfach bloss ein Depp. Der kulturelle Konsens muss sein: Ich verrate die Handlung gerade bei solchen Streifen nicht, damit auch andere Spass haben können.

Und wann ist ein Spoiler vielleicht nicht mehr ganz so schlimm? Die Antwort: Wenn der Faktor Zeit stimmt. Je mehr davon vergeht, desto mehr Leute haben den jeweiligen Film auch bereits gesehen. Und wer ihn nicht gesehen hat, kann womöglich verkraften, wie die Handlung des Thrillers von vor 13 Jahren genau passiert ist.

Die Goldene Regel bleibt also: Nie mit Absicht  jemandem etwas vermiesen. Das ist indes auch ein schönes Motto fürs Leben.

«Avengers 4: Endgame» läuft derzeit in unseren Kinos.

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