Nach dem Finale der Erfolgsserie «Breaking Bad» waren eigentlich alle Fragen beantwortet – bis auf eine: Wohin führt Jesse Pinkmans (Aaron Paul) Weg? Der Protagonist floh unter Freudentränen. Sein Schicksal liess Fans aber keine Ruhe. Denn wenn einer ein Happy End verdient hatte, dann Pinkman. Autor und Regisseur Vince Gilligan ist dem Ruf der Fans nach sechs Jahren gefolgt und erzählt nun mit dem Film «El Camino» den Epilog zu «Breaking Bad». Von der Polizei verfolgt, versucht Jesse verzweifelt einen Ausweg zu finden, der erklärte Staatsfeind Nummer eins braucht dafür neben tatkräftiger Hilfe von seinen beiden Freunden vor allem eines: Geld.


«Zu viel Tamtam – viel zu langer Film»

Carlotta Henggeler

Redakteurin

Wie ein süchtig machender Stoff schwappte die «Breaking Bad»-Welle von 2009 an über Europa. Für die einen war es die Erleuchtung, andere liess es kalt. Lohnt sich «El Camino» für Nicht-Fans? Eher nicht.

Ein paar Storystränge aus zwei oder drei «Breaking Bad»-Folgen schwirren noch durch meine Synapsen, als ich mich an den Film wage. Ich muss gestehen, «Breaking Bad» hat nie zu meinen Favoriten gehört. Es hat mich nie weggeflasht, wie einige meiner Freunde, die einfach nicht genug krieg(t)en. Jede neue Staffel wurde mit grosser Sehnsucht erwartet und wie Geburtstag und Weihnachten zusammen gefeiert. Für sie war es eine Erleuchtung.

Und «El Camino» ist eine Art Geschenk an alle Fans, die nach fünf Staffeln des Dramas um den vom Weg abgekommenen Chemielehrers Walter White (Brian Cranston) und seinen Adjutanten Jesse Pinkman (Aaron Paul) noch nicht genug haben. 

Mit viel Tamtam hat Netflix den «Breaking Bad»-Sequel-Film angekündigt. Darin geht es in erster Linie um Jesse, der – nach der gelungenen Flucht von den Nazis – jetzt von der Regierung gesucht wird. Schliesslich hat er es mit «Lehrmeister» Walter White geschafft, ein Drogenkartell aufzubauen.

Jesses Versteckspiel hat es in sich. Ein ehemaliger Drogenboss-Gehilfe kann schliesslich niemandem trauen, hat viel Feinde – aber nur wenige Freunde. 

Freude macht das Wiedersehen mit Walter White in «El Camino». Dieses Knautschgesicht hat die Serie geprägt, dieser «kurlige» und streetsmarte Lehrer, der die Fronten wechselte. 

Gute zwei Stunden dauert Jesses Fluchtversuch. Weg aus dem alten, kriminellen Leben, in Richtung bürgerlich-spiessigen Alltag. Gelingt es Jesse zu entkommen? Und lohnt es sich, die viele Zeit für das Sequel zu investieren?

Die Bilanz fällt gemischt aus. Für nicht «BB»-Afficionados ist der Film zu lange geraten und mit zu vielen Flashbacks. Meinen «Breaking Bad»-süchtigen Freunden würde ich den Film aber empfehlen. Er ist zwar nicht mehr wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Für Fans aber allemal unterhaltsam.

 

«Starker Anfang, flacht aber schnell ab»

Fabian Tschamper

Redakteur

Eine Hälfte des Crystal Meth kochenden Duos hat «Breaking Bad» überlebt. Doch was nun? Macher Vince Gilligan gibt den Fans und Jesse Pinkman den wohlverdienten Seelenfrieden – mit ganz viel Nostalgie.

Kaum aus den Fängen der Neonazis entkommen, will die Regierung den gebeutelten Jesse Pinkman wiederum in einen Käfig stecken. Immerhin habe er das «grösste Drogenimperium in der Geschichte der USA» zu verantworten.

Jesse ist nervlich am Ende, als er bei seinem alten und guten Freund Skinny Pete zuhause anklopft. Nach Dusche, Rasur und in neuen Klamotten verabschiedet er sich auch gleich wieder von jenem und will seinen geschmiedeten Plan umsetzen: Genug Geld zusammenzukratzen, um sich bei dem Spezialisten Ed (grossartig gespielt vom am Erscheinungstag verstorbenen Robert Forster) eine neue Identität zu kaufen.

Regisseur und Autor Vince Gilligan versteht es einfach, seinen Stoff zu inszenieren. Die Kameraperspektiven, die verwaschenen Farben und die Musik – alles fühlt sich an wie «Breaking Bad». Gilligan kreiert diese bedrückende Atmosphäre glaubwürdig und unvergleichlich.

Die Handlung von «El Camino» startet auf ähnlich hohem Niveau, flacht aber sehr schnell ab. Gilligan arbeitet mit vielen Rückblenden, die die Story um Pauls Charakter vorantreiben sollen, das geht aber auf Kosten des Filmflusses, der Zweistünder zerzaust.

Aaron Paul in der Rolle des Jesse Pinkman spielt wieder ausgezeichnet. Auch schon während «Breaking Bad» war der ehemalige Schüler Heisenbergs der grosse Sympathieträger, und man wünscht dem traumatisierten Protagonisten eine Katharsis wie keinem anderen.

Zu Gastauftritten kommt es freilich auch: Mike (Jonathan Banks) und – ja! – Walter White (Bryan Cranston) sind die nennenswertesten.

«El Camino» bringt ein zufriedenstellendes Ende für Jesse Pinkman und hinterlässt im Zuschauer ein Gefühl von Nostalgie und den Wunsch, das Gedächtnis löschen zu können – um die rasante Fahrt im Crystal-Meth-Imperium abermals in vollen Zügen geniessen zu können.