Solothurner Filmtage «Immer und ewig»: Hingabe ohne Aufopferung

SDA

27.1.2019 - 11:03

Musste einen neuen Blick auf ihre eigenen Eltern finden, um wieder in ihre Rolle als Regisseurin schlüpfen zu können: Fanny Bräuning an den Solothurner Filmtagen. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Musste einen neuen Blick auf ihre eigenen Eltern finden, um wieder in ihre Rolle als Regisseurin schlüpfen zu können: Fanny Bräuning an den Solothurner Filmtagen. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Source: Keystone/ALESSANDRO DELLA VALLE

Vor zehn Jahren hat Fanny Bräuning den ersten «Prix de Soleure» der Solothurner Filmtage gewonnen. Nun kehrt sie zurück in den Wettbewerb mit einem sehr persönlichen Dokfilm: «Immer und ewig» ist das Porträt der ungewöhnlichen Liebe ihrer Eltern.

Was verlangt es einem Menschen ab, sich 20 Jahre lang Tag und Nacht um einen anderen Menschen zu kümmern? Sich um einen Menschen zu kümmern, der weder selber laufen noch essen oder sich kratzen kann? Niggi Bräuning würde sich diese Frage niemals stellen, auch wenn er genau das tut für seine Frau Annette.

Die beiden, ein Ehepaar Ende 60, sind die Protagonisten von Fanny Bräunings neuem Dokumentarfilm. «Immer und ewig» feierte am Samstagabend an den 54. Solothurner Filmtagen Schweizer Premiere und ist einer von neun Filmen, die für den «Prix de Soleure» nominiert sind. Die Auszeichnung ist mit 60‘000 Franken dotiert, die Baslerin gewann sie vor zehn Jahren für «No More Smoke Signals».



Als Bräuning ein kleines Mädchen war, wurde bei ihrer Mutter Multiple Sklerose diagnostiziert. Inzwischen ist Annette Bräuning seit 20 Jahren vom Hals abwärts gelähmt und braucht rund um die Uhr Betreuung.

Doch Niggi und Annette lassen sich in ihrer Abenteuerlust nicht einschränken: Er, Fotograf und Tüftler, baute einen Bus so aus, um mit seiner Frau zusammen die Welt bereisen zu können. Tochter Fanny begleitete ihre Eltern mit einem kleinen Filmteam auf ihren Reisen durch den Süden Europas, nach Griechenland, Albanien und Italien.

Herausfordernde Doppelrolle

Bräuning drehte bereits während ihres Filmstudiums in Zürich einen Kurzfilm über ihre Mutter, doch es habe Jahre gedauert, bis sie realisiert habe, dass sie mit der Geschichte ihrer Eltern auch eine gute Filmgeschichte zu erzählen habe, wie sie sagt. Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA trifft die 43-Jährige, die seit 14 Jahren in Berlin lebt, vor der Premiere ihres Films in Solothurn.

Ihre Eltern seien sofort bereit gewesen, sich mit der Kamera begleiten zu lassen. «Sie waren sehr offen und grosszügig und haben im Vorfeld keine Tabus definiert.» Trotzdem hat Bräuning Szenen, die sie als zu voyeuristisch empfand, am Ende nicht verwendet. So setzt sich die Würde, nach der das Ehepaar Bräuning in seinem schwierigen Alltag strebt, auch im Film fort.

Ein Porträt über die eigenen Eltern zu drehen sei eine «anstrengende, aber spannende Doppelrolle» gewesen. Da ist etwa eine Szene im Film, in der Niggi seiner Frau die Haare frisieren soll. Annette ist nicht zufrieden, er reagiert zunehmend genervt und zerzaust ihr am Ende das Haar – was sie wiederum wütend macht.

«Als Tochter war mir diese Situation unangenehm. Doch als Regisseurin fand ich sie total spannend, denn du denkst ‹Endlich haben sie auch mal einen Konflikt›.»

Tatsächlich gehen Annette und Niggi rührend – und trotzdem auf Augenhöhe – miteinander um. Sie verabschieden sich stets mit einem Kuss, lachen viel und offenbaren ein Faible für schwarzen Humor. Niggi stellt den Bus gerne auf den bestmöglichen Platz direkt am Meer, gerne auch im Parkverbot: «Wir nutzen das Krüppel-Privileg aus.»

Das Beste aus dem Leben machen

Sie habe dank der Dreharbeiten ihre Eltern «ein Stück weit neu entdeckt», erzählt Bräuning. Beispielsweise den humorvollen Umgang ihrer Eltern miteinander habe sie kaum noch wahrgenommen, zu nah dran war sie als Tochter. «Die Distanz als Regisseurin war wichtig, um ein neues, freieres Bild von ihnen zu gewinnen.»

Dieses Bild, das nun in «Immer und ewig» transportiert wird, zeigt ein Paar, das «das Allerbeste aus einer schwierigen Ausgangslage zu machen versucht», wie die Tochter es ausdrückt. Denn Niggi und Annette Bräuning sind nicht bereit, auf das Leben zu verzichten – und dafür nehmen beide viel in Kauf.

Annette etwa ein ständiges Ringen um ein kleines Stückchen Autonomie und Niggi Arbeit, die den alternden Mann immer öfter an körperliche Grenzen bringt. Auch diese schwierigen Momente spart die Regisseurin nicht aus – ohne sie zu stark zu gewichten. So ist ein Bild entstanden, das weder Niggi als selbstlosen Helden noch Annette als ausschliesslich Bedürftige zeigt.

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