Interview Regisseur del Toro: Für mich sind wir alle Monster

von Antje Weser, dpa

15.2.2018

«Shape of Water» könnte bei der Verleihung am 4. März zum grossen Oscar-Gewinner werden. Ein Interview mit dem Regisseur.

Mit 13 Nominierungen geht der Film «Shape of Water» von Guillermo del Toro als Favorit in das Rennen um die Oscars. Das Werk gewann bei den Filmfestspielen Venedig bereits den Goldenen Löwen, bei den Golden Globes wurde del Toro kürzlich für die beste Regie ausgezeichnet. «Shape of Water», was übersetzt so viel bedeutet wie «Form des Wassers», erzählt von einer stummen Putzfrau, die sich in ein Fabelwesen verliebt.

In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Los Angeles erzählt der 53-jährige Mexikaner, woher seine Vorliebe für Monster kommt, was sie für ihn bedeuten und was der Filmtitel bedeutet: «Die Idee des Films ist, dass Liebe - wie Wasser - keine Form hat».

Denken Sie, dass die Debatten um Missbrauch und #MeToo, die ihre Schatten über die diesjährigen Preisverleihungen werfen, etwas in Hollywood ändern?

Guillermo del Toro: Ich denke, die Zeit der Preisverleihungen ist die Zeit, Sorgen anzusprechen. Das war schon immer so. Ob Faye Dunaway, Marlon Brando oder Julie Christie - viele Menschen haben sich die Zeit genommen, während der Saison über Sorgen zu sprechen, die ihnen Politik und Gesellschaft machen. Ich denke, das ist der richtige Zeitpunkt. Denn die Zeit der Preisverleihungen ist der Moment, in dem die Welt aufs Filmgeschäft schaut und darauf hört, was da gerade los ist. Wird die Diskussion etwas ändern? Ich glaube schon. Ich glaube, sie hat schon etwas geändert. Ich denke, allein die Tatsache, dass man seine Sicht der Wahrheit offen sagen kann, ist eine riesige Veränderung (...). Der Wandel mag nicht auf einen Schlag passieren, aber er passiert und ich denke, schon das ist ein neuer Zustand.

Wie sind Sie auf die Idee für den Film «Shape of Water» gekommen?

Als Kind habe ich die «Creature from the Black Lagoon»-Filme («Der Schrecken vom Amazonas») gesehen. Ich liebte die Filme, vor allem den ersten. Ich wollte, dass die Geschichte - die Liebesgeschichte - gut endet. Aber das passierte nicht. In den 90ern habe ich versucht, daraus eine Art B-Movie mit einer Liebesgeschichte zu machen, aber das hat nicht funktioniert. Im Dezember 2011 habe ich dann Daniel Krauss getroffen, mit dem ich gemeinsam «Trollhunters» geschrieben habe. Er brachte mich auf die Idee, dass die Putzfrau in einem Regierungsgebäude die Kreatur mit nach Hause nimmt. Ich hatte das Gefühl, dass das die perfekte Lösung für die Liebesgeschichte ist - weil die unsichtbaren Leute zusammenkommen. Leute ohne Namen, ohne Stimme, ohne eine Präsenz kommen zusammen, um sich gegenseitig zu retten. Ich habe dann 2012 angefangen, daran zu arbeiten und es dauerte eine Weile, die Finanzierung zusammenzubekommen (...). Es dauerte eine Weile, das Wesen zu entwickeln, wir wollten ja kein Monster, sondern einen männlichen Filmstar entwickeln. Einen Gott, einen Flussgott, eine wunderschöne, transzendentale Figur - das dauerte eine Weile.

Während der Golden Globes haben Sie gesagt «Monster haben mich oft gerettet und freigesprochen». Was meinten Sie damit?

Ich wurde als Kind katholisch erzogen. Der Katholizismus ist unglaublich streng bei der Frage, was gut und was schlecht ist, wer in den Himmel kommt und wer in die Hölle. Wir wurden alle mit der Erbsünde geboren und so weiter. Das hat mir riesige Angst gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass alle meine Gefühle, die nicht denen eines in Anführungszeichen «guten Jungen» entsprachen, eine Sünde und schrecklich sind. Monster haben mir dann die Möglichkeit eines Lebens mit Unvollkommenheit gebracht. Sie erlaubten es, nicht perfekt zu sein und waren wunderschön auf ihre Art. Ich sah sie mit grosser Liebe und Bewunderung. Sie wurden Schutzpatrone der Unvollkommenheit für mich.

Was ist ein Monster für Sie?

Nun, ein Monster sind für mich wir alle... Ein Fehler ist eine Tugend, die noch nicht richtig betrachtet wurde. Wissen Sie, für die meisten von uns - Männer, Frauen, Lateinamerikaner, Europäer, was auch immer - gibt es eine Ideologie, wie ein Mann sein muss, wie eine Frau sein muss, wie dein sozialer Status, deine Religion, sexuelle Vorlieben, soziale Zugehörigkeit, wie dein Pass sein muss. Alle diese Ideen und Ideologien sind auf eine Weise konstruiert, die wir alle akzeptieren. Aber als Individuen sind wir alle insgeheim gebrochen. In unserem intimen Gedanken sind wir alle gebrochen. Dafür gibt es keinen Raum, das ist nicht erlaubt. Fantasy, Monster und Märchen hingegen sagen dir, dass du mit diesen Fehlern leben kannst. Du kannst damit existieren und trotzdem schön sein.

Einige beschreiben die Charaktere des Films als eine Art Gruppe von Aussenseitern. Sie leben am Rand der Gesellschaft.

Sie sind unsichtbar, ja. Das war für mich sehr wichtig. Der Film ist eine Allegorie auf unsere Zeit, auch wenn er 1962 spielt. Wir leben, offen gesagt, in einer Welt, in der Worte ganz einfach lügen können und in der wir die Wahrheit nicht mehr oft in Worten finden. Und wenn Sie sich den Film genau anschauen, sehen Sie, dass alle Figuren, die sprechen, trotzdem nicht kommunizieren können. Die beiden Figuren hingegen, die nicht sprechen, kommunizieren tiefgehend. Ich denke, es war sehr wichtig für mich zu zeigen, dass das Verstehen zwischen diesen beiden ohne Worte funktioniert. Es gibt ausserdem viele Symbole, der Film ist voller Reime, wie ein Gedicht. Aber wenn ich Ihnen die sage, wird es langweilig. Sie sollten sie selbst finden.

Waren Sie überrascht davon, dass das Thema Toleranz gegen Intoleranz in Ihren Film heute so relevant ist?

Ich wurde in Mexiko geboren und war schon immer auf viele Weisen andersartig. Ich meine, in Mexiko wollte ich Märchen und Fantasy gegen alle Widerstände ins Kino bringen, in eine Kinoszene, die vor allem vom Realismus geprägt war. Und wenn Sie aus Mexiko kommen und jahrzehntelang in die USA reisen, dann fühlen Sie sich manchmal willkommen und manchmal gibt es Spannungen. Und dann fühlen Sie latent immer wieder die Andersartigkeit. Die ist nicht neu, sie lag lange latent unter allem drunter. Ich glaube, dass wir in einer Welt leben, in der spaltende Ideologie immer weiter in die intimsten Sphären unserer Gedanken eingedrungen ist. Uns wird gesagt, dass wir gespalten sind, dass es uns und sie gibt. Aber in der Realität ist das eine Spaltung, die wir jeden Tag leben, obwohl wir es nicht müssen. Denn am Ende des Tages kommt es nur auf uns an. Wir alle leben am gleichen Ort zur gleichen Zeit. Das ist es, was der Film zu sagen versucht.

ZUR PERSON: Guillermo del Toro, 53, ist einer der erfolgreichsten mexikanischen Regisseure. Er drehte schon ab Ende der 1990er Jahre zahlreiche Filme in Hollywood, darunter die Actionspektakel «Blade II» und «Hellboy». Mit «Pans Labyrinth» entführte del Toro die Zuschauer in eine märchenhafte Traumwelt, für das Werk wurde er für einen Oscar in der Kategorie «Bestes Drehbuch» nominiert. Del Toro arbeitet auch als Produzent und Drehbuchautor.

«Shape of Water» läuft seit Donnerstag, 15. Februar, in den Schweizer Kinos.

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