«Rocketman» Kein «Bohemian Rhapsody» – aber Elton John lässt die Hosen runter

Lukas Rüttimann

18.5.2019

In Cannes wurde das mit Spannung erwartete Biopic über Elton John gezeigt. Völlig vom Hocker reisst «Rocketman» nicht. Dafür hat der Film jene Prise Sex, Drugs und Rock and Roll, welche der Queen-Film vermissen liess.

Es glitzert in Cannes, und das für einmal nicht nur wegen den Stars und Sternchen, die auch bei der diesjährigen Ausgabe des Filmfestivals nicht fehlen. Nein, es ist der omnipräsente «Rocketman»-Schriftzug rund um die Croisette, der heuer für zusätzlich Glanz sorgt. Und mit der Weltpremiere am Donnerstagabend im Beisein von Sir Elton John persönlich hat der Film das Scheinwerferlicht endgültig auf sich gezogen.

Tatsächlich ist das Biopic über den britischen Songwriter, Pianisten und Paradiesvogel einer der meisterwarteten Filme des Jahres. Das hat vor allem mit einem anderen Genrebeitrag zu tun: «Bohemian Rhapsody», der Film über Freddie Mercury und Queen, wurde 2018 überraschend zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres. In der Schweiz mit weit über einer halben Million Zuschauer sogar zum erfolgreichsten überhaupt.

Mehr Musical, weniger Biografie

Die Frage, die vor der Vorführung für die internationale Presse am Freitagmorgen in Cannes im Raum stand, lautete folglich: Wird «Rocketman» das Publikum ähnlich begeistern können wie der Queen-Film? Die Antwort lautet: jein.

Zweifellos ist Dexter Fletcher – notabene Regisseur auch von «Bohemian Rhapsody» – erneut ein gut gemachter Film über das Leben einer Band respektive eines Musikers gelungen. Emotional jedoch reisst «Rocketman» nicht so stark vom Hocker wie das Queen-Biopic. «Bohemian Rhapsody» mag kein sonderlich guter Film sein. Doch er schafft es, die Magie von Queens (Live)-Musik in den Kinosaal zu transportieren und das Publikum als Konzertfilm zu begeistern. Der Film geht ans Herz – nicht zuletzt dank der mittlerweile Oscar-prämierten Leistung von Rami Malek als Freddie Mercury.

«Rocketman» dagegen ist oft eher luftig inszeniertes Musical und baut immer wieder auf singende und tanzende Darsteller, die Elton Johns Biografie erzählen. Taron Egerton, der bereits als Eddie «The Eagle» Edwards eine reale Figur für die Kinoleinwand interpretierte, liefert dabei als Titelfigur eine durchaus beeindruckende Leistung ab. Da macht es auch nichts, dass der «Kingsman»-Star sowohl von seiner athletischen Statur wie auch optisch nicht besonders nah am echten Elton John liegt. Dessen Lieder jedoch intoniert Egerton mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit.

Der Brite mag nicht immer grossartig klingen, und er kommt auch nicht an die Originalversionen heran. Aber wenn Egerton am Piano «Your Song» intoniert, werden selbst eingefleischte Elton-John-Fans Gefahr laufen, Hühnerhaut zu kriegen. Vor allem bei Uptempo-Nummern wie «I’m Still Standing» oder «Don’t Go Breaking My Heart» hingegen sind die stimmlichen Limiten des Schauspielers durchaus hörbar.

Taron Egerton als «Rocketman»

Kokain, Schnaps, Männersex

Als Musikfilm mag «Rocketman» nicht so zu begeistern wie «Bohemian Rhapsody». Visuell jedoch trifft der Film die Töne. Um seinen Durchbruch in den USA zu illustrieren, wird etwa Johns Konzert im legendären Troubadour-Club brillant nachgestellt. Bei «Crocodile Rock» heben Interpret und Fans einen guten Meter über Boden ab und symbolisieren so das euphorisierende Gefühl, wenn Künstler und Publikum zu einer Einheit verschmelzen und die Musik alle Anwesenden in eine andere Sphäre versetzt. Der Selbstmordversuch im Swimming Pool dagegen wirkt geradezu poetisch – mit einer Unterwassersequenz im Fantasy-Stil, untermalt von «Rocketman»-Klängen.

Tatsächlich werden die Schattenseiten des Sängers keinesfalls ausgeblendet. Bei «Bohemian Rhapsody» war dies – neben einer musikhistorischen Ungenauigkeit, die auch bei «Rocketman» auszumachen ist – der Hauptvorwurf. Hier jedoch gibt es genau jene Prise Sex, Drugs und Rock and Roll, die bei Freddie Mercury unter den Tisch gewischt wurde. Kiloweise Kokain, literweise Schnaps, überbordende Shopping-Attacken und nicht zuletzt explizite Sexszenen zwischen Männern – es ist erstaunlich, wie tief der von John mitproduzierte Film seinem Protagonisten die Hosen runterzieht.

Die Sucht ist sogar das zentrale Motiv im Film; andere Aspekte wie die bruderähnliche Verbindung zu Texter Bernie Taupin (Jamie Bell) oder Johns songwriterisches Genie verblasen zuweilen gegen die Exzesse, zu denen auch Sexszenen mit seinem ersten Manager und Lover John Reid (gespielt vom «King of the North», Richard Madden) gehören. Lediglich die schwierige Beziehung zu seinen Eltern – ein Vater, der ihn nie liebte, eine Mutter, die ihn kaum beachtete – nimmt ähnlich viel Raum im Film ein. Dieses Drama sorgt für einen Tiefgang, den man bei «Bohemian Rhapsody» zuweilen vermisste.

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Versöhnlich zum Schluss

Wenn sich der frühere Paradiesvogel zum Schluss in einer fiktiven Therapiesitzung bei Mutter, Vater, Taupin und sogar Reid – dem designierten Bad Guy im Film – für seinen selbstzerstörerischen Lebenswandel entschuldigt und zur gegenseitigen Versöhnung aufruft, drückt dann aber doch noch der aktuelle Elton John durch.

Dieser hat als verheirateter Mann und Vater von zwei adoptierten Söhnen sein privates Glück längst gefunden. Für ein weiteres Biopic wäre dieser Aspekt freilich eher wenig attraktiv – für «Rocketman» hingegen sind die Bilder des glücklichen und nüchternen Elton John der perfekte Abschluss für zwei Stunden Musikfilm, bei dem zum Glück auch düstere und falsche Töne nicht unter den Teppich gekehrt wurden.

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