Regisseur Steven Soderbergh «Die Frage war nie ob, sondern wann eine Pandemie kommt»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

11.1.2021

Kaum ein Pandemie-Spielfilm kommt der Corona-Realität so nahe wie Steven Soderberghs «Contagion» von 2011. Der Regisseur führte daher die Task-Force an, die die Bedingungen zur Wiederaufnahme von Film- und TV-Produktionen ausarbeitete. Wie geht es mit Hollywood 2021 weiter?

Herr Soderbergh, hat das Kino noch eine Zukunft?

Ja klar, denn für jedes Filmstudio, das in fünf Jahren noch im Business sein will, hat das Kino erste Priorität. 2019 war es ein 11,5 Milliarden Dollar Geschäft, international wurden über 40 Milliarden erwirtschaftet. Die Idee, dass die Studios ihre Filme nicht mehr ins Kino bringen wollen, ist lächerlich.

Aber die Kinos sind seit längerem geschlossen und Warner Bros. will ab nächstem Jahr alle Filme gleichzeitig streamen. Das hat doch langfristige Konsequenzen, oder sehen Sie das anders?

Die Konsequenzen, die die Studios jetzt ziehen, sind notwendig aber nicht gewünscht und beziehen sich auf die wirtschaftliche Realität der nächsten zwölf Monate. Die Energie, die wir momentan verpuffen, um über ‹Streaming statt Kino› zu debattieren, sollten wir besser woanders investieren – nämlich in ein Hilfspaket für die Kinos. Damit sie dann noch da sind, wenn die Leute wieder bereit sind, ins Kino zu gehen. Ansonsten sollten sich jetzt alle mal etwas beruhigen.

«Contagion», unter anderem mit Jude Law, erzählt die Geschichte einer Pandemie, für die verzweifelt ein Heilmittel gesucht wird.
«Contagion», unter anderem mit Jude Law, erzählt die Geschichte einer Pandemie, für die verzweifelt ein Heilmittel gesucht wird.
Warner Bros.

Sie haben mit dem Thriller ‹Contagion› 2011 quasi die Coronavirus-Pandemie vorweggenommen. Waren Sie überrascht, als Ihr Film plötzliche Realität wurde?

Alle Fachberater des Films sagten uns damals, dass so eine Pandemie unausweichlich ist. Immer wieder wiederholten sie, es sei nicht eine Frage von ob, sondern wann. Also war die Corona-Pandemie für mich eigentlich keine Überraschung. Der Drehbuchautor Scott Burns und ich konnten uns aber nicht vorstellen, wie sehr die Gesellschaft über die Gesundheits-Massnahmen streiten würde. Dass der von Jude Law gespielte Verschwörungstheoretiker in der Realität zur Hauptfigur werden würde, sprengte die Grenzen unserer Fantasie.

Waren Sie persönlich im März also gut vorbereitet, als es zum Lockdown kam?

Ja, denn ich sprach schon im Januar mit befreundeten Epidemiologen. Was sie mir erzählten, deutet auf eine sehr ernste Lage hin. Ein Lockdown schien unausweichlich. So habe ich Vorräte gehortet und mich wirklich darauf vorbereitet, zu Hause zu bleiben.

Inzwischen sind zehn Monate vergangen. Wie ist Ihr Befinden jetzt?

Das Schlimme in Los Angeles ist, dass die Lage sich nie wirklich gebessert hat. Ich glaube, der damit verbundene psychologische Stress setzt den Leuten immer mehr zu. Wir wissen immer noch nicht, wann es besser wird. Wie gesagt: Dass die Methode, wie man etwas so Tödliches angehen soll, das Land so spalten würde, hat mich wirklich überrascht.

Sie führten die Hollywood Task-Force an, die das Arbeitskonzept für Dreharbeiten in Zeiten von Corona ausgearbeitet hat. Können Sie wirklich guten Gewissens die Leute zur Arbeit schicken?

Ich finde, man kann sehr wohl auf eine sichere Art arbeiten. Was wir entwickelt haben, kann man auch auf andere Industrien übertragen, wo körperlicher Nahkontakt unausweichlich ist. Die Positiv-Rate bei Film-Produktionen ist weit unter 1 Prozent. Es funktioniert also.

Was passiert, wenn die Impfung erhältlich ist?

Das wird interessant. Auch hier gilt: Vielleicht sollten wir nicht so viel darüber streiten, wie wir die Impfung verteilen, sondern uns darauf konzentrieren, die Leute vom Sinn der Impfung zu überzeugen. Wenn ein grosser Teil der Bevölkerung sich nicht impfen lassen will, haben wir ein Problem. Dann wird nichts wieder normal sein. Die Unterhaltungs-Industrie muss die Aufklärungs-Kampagne mittragen.

Meinen Sie das auch Content bezogen?

Ja, ich glaube an die Macht des Geschichten-Erzählens und dass wir dadurch lernen und uns weiter entwickeln. Seit wir kommunizieren können, erzählen wir Geschichten – ohne sie würden wir nicht überleben. Filme machen das schon lange, und wir werden nun im 21. Jahrhundert sehen, ob sie von einer anderen Ausdrucksform überholt werden. Aber die Botschaft muss raus. Ich helfe bei einer solchen Kampagne gerne mit. Ich kann nur momentan nicht ihr Kapitän sein, denn ich bin ziemlich beschäftigt.

Sie sind ja «der Kapitän» des Films «Let Them All Talk», der hauptsächlich auf der Queen Mary 2 gedreht wurde und von Altlasten in Freundschaften handelt. Wie war es, mit Meryl Streep, Candice Bergen und Dianne Wiest auf einem Luxus-Schiff den Atlantik zu überqueren?

Die Überfahrt war erstaunlich ereignislos. Wir versuchten den Dreh so gut wie möglich im voraus zu planen. Die anderen Gäste waren ziemlich blasé und brachen nicht in Schreikrämpfe aus. Viele schrieben sich auch ein, um als Statisten mitzumachen, weil das die täglich Routine etwas aufmischte.

Beschäftigt sind Sie auch mit der Planung der diesjährigen Oscar-Verleihung, die im April stattfindet. Was kann man unter den diesjährigen Umständen von der Show erwarten?

Ich werde hier kaum die Geheimnisse der Oscar-Übertragung verraten…

Natürlich, aber Sie sind doch zugegebenermassen eine ungewohnte Wahl als Award-Show-Produzent. Was hat Sie dazu bewogen, in die diesjährigen Oscar-Verleihung einzugreifen?

Es ist so: Ich gehöre jedes Jahr zu denen, die sich über die Show beschweren. Dieses Jahr wird die Show wegen der Pandemie so oder so ein Sternchen neben der Jahreszahl haben. Das erlaubt uns doch, einmal etwas ganz anderes zu versuchen. Es ist eine einmalige Situation, also mischen wir die Sache doch etwas auf. Die Academy will das auch. Also werden wir sehen, was passiert.

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