Premiere vor 80 Jahren Kalte Perfektion: Leni Riefenstahls «Olympia»

von Esteban Engel, dpa

20.4.2018

Jahrhundert-Streifen und Propaganda: Auch nach 80 Jahren bleibt Leni Riefenstahls Film «Olympia» mit ihrem Ideal des perfekten Körpers aktuell und abschreckend.

Im Nebel zeichnen sich die Umrisse einer griechischen Stadt ab. Tempelsäulen tauchen auf, die Akropolis erscheint. Aus dem Dunkel der Geschichte wabert der Geist der alten Griechen über die Leinwand, Orchestermusik wummert. Die Statue des Diskuswerfers wandelt sich zum Athleten aus Fleisch und Blut. Dann ziehen die Sportler in Uniform ein, das Publikum im Berliner Olympiastadion jubelt. «Ich verkünde die Spiele von Berlin zur Feier der 11. Olympiade neuer Zeitrechnung als eröffnet.» Adolf Hitler tritt vom Mikrofon zurück. Die Spiele von 1936 können beginnen.

Auch 80 Jahre nach der Premiere des Films «Olympia» von Leni Riefenstahl (1902-2003) bleibt der mehr als vier Stunden lange Streifen eine Mischung aus Cineasten-Erlebnis und Propaganda-Werk. Die ersten Sequenzen, die an eine düstere Wagner-Inszenierung erinnern, gehören zum Filmgedächtnis des 20. Jahrhunderts. «Einen der besten, wenn nicht der beste Sportfilm, der je gedreht wurde», nannte ihn der britische Historiker und Publizist Taylor Downing, der selbst an zwei Olympia-Filmen beteiligt war.

400'000 Meter Film abgedreht

«Es ist das zentrale Werk in Riefenstahls Schaffen, auch der Film, der ihr die grösste internationale Reputation eingetragen hat», sagt Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek und Autor einer Riefenstahl-Biografie. Die Kinemathek hatte jüngst den Nachlass der 2003 gestorbenen Regisseurin erhalten und wird ihn in den kommenden Jahren aufarbeiten.

Das NS-Regime inszenierte die Premiere pünktlich zu Hitlers 49. Geburtstag am 20. April 1938. Vor dem Berliner Ufa-Palast wurden zwei Turmattrappen errichtet und mit den olympischen Ringen geschmückt, die NS-Prominenz erwies der damals 36-jährigen Regisseurin die Ehre.

Die Nazis hatten für Riefenstahl ideale Produktionsbedingungen geschaffen. Ein Team mit mehr als 300 Mitarbeitern, davon allein 34 Kameramänner, stand der jungen Regisseurin zur Verfügung. Das Personal konnte sich frei auf dem Olympia-Gelände bewegen. Rund 400'000 Meter Film wurden abgedreht.

Zwei Jahre arbeitete Riefenstahl an dem Film. Propagandaminister Goebbels machte Druck. Während der Spiele hatte das Regime ein offenes und friedfertiges Land vorgetäuscht. Die antisemitische Hetze verschwand aus dem Strassenbild, die Verfolgung der Juden wurde in der Zeit nicht offen betrieben. Der Film sollte dieses Bild in alle Welt transportieren.

Sogar eine Unterwasserkamera wurde eingesetzt

Was das Kinopublikum damals faszinierte, ist für heutige Fernsehzuschauer Alltag. Riefenstahl entwickelte eine neue Technik, stellte Kameras auf Schienen und Kräne, fing die Sportler mit Grossaufnahmen in ihrer Freude und ihrem Schmerz ein. Auch eine Unterwasserkamera wurde eigens für den Film entwickelt. Es sind in der Tat dramatische Bilder, etwa die der Leichtathletik mit dem legendären Amerikaner Jesse Owens oder der Sieg des Japaner Kitei Son im Marathon. Es sind Szenen des Kampfes, der Verbissenheit.

«Man muss bedenken, dass 'Olympia' schon von der Intention her weniger eine Reportage der Wettkämpfe in Berlin 1936 sein sollte, sondern auf das Erlebnis Film abzielte», sagt Filmwissenschaftler Rother. «Ein Film, der die Olympischen Spiele in völlig neuer Form für die Zuschauer erlebbar macht. Dramaturgische Prinzipien sind ihr wichtiger als die konkreten Abläufe: Sportliche Entscheidungen fallen im Olympia-Film immer im letzten Versuch.»

Bilder wie aus der Werbung

Der zweite Teil, das «Fest der Schönheit», blickt in das Olympische Dorf. Dann streift der Film verschiedene Disziplinen an. Turnen, Segeln, Säbelfechten. Riefenstahl inszeniert den Körper als Maschine - rechtzeitig zur deutschen Wiederbewaffnung. Es sind Bilder, wie wir sie heute aus der Werbung kennen.

«Das Unvollkommene kommt in Riefenstahls Ästhetik nicht vor», sagt Kinemathek-Direktor Rother. «Sie hat sich, anders als viele Avantgardisten, mit dem nicht Perfekten, dem Hässlichen nicht beschäftigen wollen. Insofern kann man sagen, dass 'Olympia' einem idealisierten Körperkult huldigt.»

«Was lediglich realistisch ist, aus dem Leben gegriffen, durchschnittlich, alltäglich, das interessiert mich nicht», sagte sie im Interview mit der französischen Filmzeitschrift «Cahiers du Cinema» später. «Mich fasziniert alles, was schön ist, stark, gesund, was lebt.»

Film machte Leni Riefenstahl zum Star

Riefenstahl stieg zum Regiestar auf. Der Film wurde in Europa begeistert aufgenommen und mit dem Deutschen Filmpreis 1937/38 sowie bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet. Die Regisseurin reiste kreuz und quer über den Kontinent zu den Premieren. Nur in den USA kam sie nicht weit. Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 zeigten nur wenige Kinos den Film, kein Studio wollte mit Riefenstahl sprechen.

Nach dem Krieg hielt Riefenstahl, die sich stets als unpolitisch gegeben hatte, am Film fest. «Da ist auch ein gerüttelt Mass an gespielter Naivität dabei», sagte Rother. Sie habe in den 50er-Jahren den Film erneut ins Kino gebracht, allerdings einige Schnittauflagen berücksichtigen müssen. «Das betrifft vor allem Passagen in denen das Horst-Wessel-Lied gespielt wird und auch die Anfangssequenz, die in einer Grossaufnahme von Hitler endet.»

Ob der Parteitags-Film «Triumph des Willens» oder «Olympia»: «Alle vier im Auftrag der Nazis gedrehten Filme der Riefenstahl – ob sie nun Parteitage, die Wehrmacht oder Athleten zum Thema haben – feiern die Wiedergeburt des Körpers, vermittelt durch die Verehrung eines unwiderstehlichen Führers», schrieb die amerikanische Autorin Susan Sontag 1975 in der «Zeit». In der Idealisierung des Nuba-Volkes im Sudan habe Riefenstahl in den 70er-Jahren als Fotografin dieses Körperideal aufgefrischt.

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