Filmfestival von Cannes Gewerkschaften drohen, DiCaprio und Depp den Stecker zu ziehen

Von Marlène von Arx, Los Angeles

16.5.2023

Arthouse-Veteranen, eine Rekordzahl an Frauen im Wettbewerb und die Rückkehr von Indiana Jones: Die 76. Ausgabe des Filmfestivals von Cannes hat für alle Kinofans etwas dabei.

Von Marlène von Arx, Los Angeles

16.5.2023

Bereits um den Eröffnungsfilm gibt es Skandal-Potenzial: Das Kostüm-Drama «Jeanne du Barry» von und mit Maïwenn erzählt die Geschichte von Jeanne Bécu, die letzte offizielle Geliebte von Louis XV.

Johnny Depp spielt den König. Es ist sein erster Gross-Auftritt seit dem Verleumdungsprozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard. In Hollywood ist das Image des Schauspielers, der im Juni 60 Jahre alt wird, nach wie vor angeschlagen: Das Fachblatt «The Hollywood Reporter» widmete einen ganzen Artikel über Depps persönliche Connections zum restriktiven Saudi-Arabien, das «Jeanne du Barry» mitfinanzierte, um sich in der westlichen Filmszene zu legitimieren.

Und am Mittwoch wird das Buch «Depp v Heard: The Unreal Story» veröffentlicht, das den Rosenkrieg nochmals neu aufarbeitet. In Cannes hat man trotz allem keine Angst, sich mit kontroversen Stars die Finger zu verbrennen.

Die Depps in Cannes

«Wenn es einen Menschen auf der Welt gibt, der diese Gerichtssache um Johnny Depp und seine Ex-Frau nicht verfolgte, dann war ich das», erklärt Festivaldirektor Thierry Frémaux weniger als eine Woche vor Festival-Start.

«Ich interessiere mich nicht für so etwas. ‹Jeanne du Barry› von Maïwenn ist ein perfekter Eröffnungsfilm und Johnny ist sehr gut darin. Er sieht französisch aus und ich gebe seinem französischen Akzent die Note 9. Ich freue mich auf ihn auf dem roten Teppich.»

Johnny Depp ist übrigens nicht das einzige Familienmitglied auf der Croisette: Tochter Lily-Rose Depp wird die TV-Serie «The Idol» mit The Weeknd präsentieren. Die provokative Liebesgeschichte zwischen einem Popstar und einem Kultleader ging durch diverse Re-Writes und Re-Shoots und den damit verbundenen Verzögerungen. Was dabei herauskam, wird mit grosser Spannung erwartet.

Netflix und Cannes sind noch immer keine Freunde

Mit Tom Cruise und einer Fliegerstaffel für «Top Gun: Maverick» vermeldete Cannes vor einem Jahr lautstark die Rückkehr ins Kino nach der Pandemie. Dieses Jahr will das Festival mit «Indiana Jones and the Dial of Destiny» und Harrison Ford nachdoppeln.

Besonders stolz ist Frémaux auch darauf, das neue Werk von Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio «Killers of the Flower Moon» gelandet zu haben: «Der Film wurde von Paramount und Apple produziert. Den Streamer Apple als einen neuen Player im Produktionsprozess hier dabeizuhaben, ist etwas Besonders. Es ist ein klares Zeichen, dass Streaming und Kino 2023 zusammenarbeiten können.»

Was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass Netflix und Cannes diesbezüglich noch immer keinen gemeinsamen Weg gefunden haben: Weil für Netflix das gesetzliche Kinofenster in Frankreich zu lang ist, bis Filme gestreamt werden dürfen, wird der Marktführer auch dieses Jahr keine Filme auf der Croisette präsentieren.

Rekord an Filmemacherinnen

Sowohl «Killers of the Flower Moon» wie «Indiana Jones» laufen allerdings nicht im Wettbewerb um die Goldene Palme. Um sie buhlen die neuesten Werke der Arthouse-Filmemacher Wes Anderson («Asteroid City» mit einem Star-Ensemble, zu dem Scarlett Johansson und Tom Hanks gehören), Nanni Moretti («Il sol dell’avvenire»), Todd Haynes («May December»), Hirokazu Kore-eda («Monster»), Ken Loach («The Old Oak»), Wim Wenders («Perfect Days») und Aki Kaurismäki («Fallen Leaves»).

Mit sieben Regisseurinnen verzeichnet Cannes dieses Jahr einen Rekord an Filmemacherinnen im Hauptwettbewerb: Neben den Französinnen Catherine Corsini («Le Retour»), Catherine Breillat («L’Été Dernier») und Justine Triet («Anatomie d’une Chute») gehen die Österreicherin Jessica Hausner («Club Zero»), die Italienerin Alice Rohrwacher («La Chimera»), die Tunesierin Kaouther Ben Hania («Four Daughters») und die französisch-senegalesische Filmemacherin Ramata-Toulaye Sy («Banel et Adama») ins Rennen.

«Das bestätigt, dass sich die Dinge in den letzten zehn Jahren verbessert haben», so Thierry Frémaux. «Wir mussten nicht speziell darauf achten. Die sieben Frauen haben einfach wunderbare Filme gemacht. Ich habe nur empfohlen, wenn wir zwei gleichwertige Filme von einem Mann und einer Frau haben, wählen wir den der Frau fürs Programm.»

Er hätte auch gern eine Frau als Jury-Präsidentin gehabt. In den letzten 20 Jahren präsidierten mit Cate Blanchett (2018), Jane Campion (2014) und Isabelle Huppert (2009) nämlich nur drei Frauen die Jury. «Wir haben vier, fünf Anfragen gemacht, aber diese Künstlerinnen waren alle anderweitig beschäftigt. Hoffentlich klappt es nächstes Jahr.»

Auch die Schweiz ist gut vertreten

Mit Amel Soudani, Michela Pini und Olga Lamontanara der Tessiner Produktionsfirma Amka Film Production ist die Schweiz in Alice Rohrwachers «La Chimera» im Hauptwettbewerb vertreten. Die französisch-schweizerische Koproduktion «Le Théorème de Marguerite» mit der Zürcherin Ella Rumpf als brillante Mathematikerin läuft ausserhalb des Wettbewerbs.

Die schweizerisch-georgische Koproduktion «Blackbird Backbird Blackberry» und die Berg-Romanze «Laissez-Moi» des Genfers Maxime Rappaz haben in der Quinzaine- beziehungsweise Acid-Sektion einen Platz gefunden. Die Schweizer Cinémathèque präsentiert den vor 70 Jahren auf der Croisette aufgeführten Kinderdorf-Klassiker «Unser Dorf» von Leopold Lindtberg in einer neu restaurierten Fassung.

Claude Barras, 2016 Oscar-nominiert für den Animationsfilm «My Life as a Zucchini», lanciert im Filmmarkt sein neuestes Werk «Savages!». Die Geschichte handelt von zwei Kindern und einem geretteten Baby-Orang-Utan in Borneo und thematisiert Umweltthemen wie Palmöl-Farmen und die Abholzung des Regenwaldes.

Demonstrationen sind geplant

In den USA wurde wegen des Autoren-Streiks die TV-Liveshow der Tony Awards abgesagt, und Drew Barrymore verzichtete aus Solidarität darauf, die MTV Awards zu moderieren. Der Autoren-Streik dürfte auf das Angebot und die Deal-Preise für fertige Scripts auf dem Filmmarkt in Cannes einen Einfluss haben. Muss Cannes auch um die amerikanischen Stars bangen?

«Alle zehn Jahre wiederholt sich diese Situation in Hollywood, und bisher wüsste ich nicht, dass Cannes davon betroffen sein wird», ist Thierry Frémaux optimistisch. «Wir haben ja unsere eigenen Streiks und Proteste um die Pensionierungsreform in Frankreich. Wir werden sehen, was passiert, aber ich glaube, wir sind okay.»

Um das Epizentrum des Festivals sind Proteste seit 2016 verboten, aber in Cannes sind Demonstrationen von Arbeiter*innen der Hotel-Branche und des Gastgewerbes geplant – auch vor dem Carlton Hotel, wo Scorsese erwartet wird. Gewerkschafter schliessen zudem nicht aus, statt Strassen-Demos zu veranstalten, einfach die Strom-Zufuhr zum Festival-Palast zu unterbrechen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.


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