Münchner Erinnerungs-«Tatort» Gibt es diese Demenz-Therapie wirklich?

tsch

19.6.2022

Im cleveren Münchener «Tatort: Flash» versuchten die Kommissare, die alte Lebenswelt des mittlerweile dementen Psychotherapeuten eines Verbrechers wieder herzustellen. Gibt es eine solche Therapie wirklich?

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19.6.2022

So ein Verhör wie im «Tatort: Flash» hatten die Münchener Kommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) wohl noch nie. Im fiktiven «Institut für dementielle Erkrankungen und Reminiszenztherapie» versuchten Sie, einem dementen ehemaligen Psychotherapeuten Informationen über einen scheinbar frei laufenden Serienmörder zu entlocken, der früher bei ihm in Behandlung war.

Der kluge, äusserst stimmungsvolle Krimi spielte auch mit dem Urteilsvermögen der Zuschauenden. Aber gibt es die im Film gezeigte Reminiszenztherapie wirklich? Und was hat man sonst zuletzt über die «Volkskrankheit» Demenz herausgefunden?

Worum ging es?

Der als Frauenmörder verurteilte Alois Meininger (Martin Leutgeb) ist nach 30 Jahren Sicherheitsverwahrung entlassen worden und hat offenbar einen neuen Mord begangen. Danach ist er in einer geheimen Kellerwohnung untergetaucht. Von diesem «Bunker» sprach Meininger schon während der 80er in den Sitzungen mit seinem Therapeuten Dr. Prinz (Peter Franke), der jedoch mittlerweile dement ist. Die Ermittler glauben, dass Prinz seinen Patienten in jenem «Bunker» damals sogar aufsuchte und behandelte.

Über die Demenzforscher Ralph Vonderheiden (André Jung) und Laura Lechner (Anna Grisebach) versuchen die Kommissare, an die Erinnerung des dementen Zeugen heranzukommen. Dafür hat man dessen altes Behandlungszimmer detailgetreu wieder aufgebaut – um verschüttete Langzeiterinnerungen beim Patienten «anzutriggern».

Worum ging es wirklich?

Im Krimi wissen die Zuschauerinnen und Zuschauer manchmal mehr als die Ermittelnden. Dann nämlich, wenn die Kameras auch die Perspektive des Täters zeigt. Der «Tatort: Flash» machte es anders und bediente sich des Kunstgriffes, dass die Kommissare mehr wussten als die Zuschauenden – was aber erst am Ende herauskommt. So funktionierte die Falle, die man einem Hauptverdächtigen im Film stellte, auch in Bezug auf das Publikum.

Im Mittelpunkt des cleveren Konstruktes (Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner & Sven S. Poser, Regie: Andreas Kleinert) stand aber noch eine «grössere» Frage: Wie zuverlässig oder manipulierbar sind unsere Erinnerungen und Urteile tatsächlich – nicht nur bei an Demenz Erkrankten, sondern auch bei Gesunden?

Gibt es die gezeigte «Reminiszenztherapie» wirklich?

In Deutschland existieren sogenannte «Demenzdörfer» mit Requisiten aus zeitlichen Epochen, in denen die Erkrankten jung waren – um ein vertrautes Ambiente zu schaffen. In den USA gibt es sogar Pflegeheime, die ganze Strassen, Läden und Räume in 50er- oder 60er-Jahre-Manier ausstatten («Memory-Wings»), um Erinnerungen zu «triggern». Natürlich ist es vom Aufwand her kaum zu leisten, alte Lebenswelten individuell auf Biografien zuzuschneiden wie im «Tatort: Flash», wo der Original-Praxisraum eines von Demenz betroffenen Therapeuten nachgebildet wird.

Einfacher geht es mit «virtuellen» Mitteln – was in Deutschland bereits passiert: Im Demenz-Pflegeheim «Villa Rosenstein» in Heubach (Schwäbische Alb) werden mit einem Projektor Bilder und Filme an Wand und Decke der Erkrankten projiziert.

Dies können Aufnahmen von Angehörigen sein, die Familienbilder oder Szenen aus dem Heimatort aufgenommen haben, oder Bilder, die Bewohnerinnen und Bewohner an schöne Ferien erinnern. Die Demenz-Patienten können so in ihre Erinnerungen «eintauchen», was ihnen sichtlich guttut. Auch ein nachgebautes Zugabteil, mit virtuellem «Fenster» in eine vertraute Vergangenheit gibt es in Heubach.

Wo kann man mehr darüber erfahren?

Wer tiefer in das Thema des «Tatort: Flash» einsteigen möchte, hat am Sonntag, 19. Juni (ab 20:15 Uhr), in der ARD Mediathek online sowie am Samstag, 2. Juli, um 19:00 Uhr, auch im BR-Fernsehen die Gelegenheit dazu.

In der Dokumentation «Tatort Gehirn: Wie funktioniert Erinnern und Vergessen?» aus der Sendereihe «Gut zu wissen» wird gezeigt, wie realistisch die Ermittlungsmethoden der Kommissare in diesem Fall sind und wie die im «Tatort» gezeigte Reminiszenztherapie wirklich angewandt wird.

Hier werden auch Therapieszenen aus dem innovativen Demenz-Pflegeheim «Villa Rosenstein» in Heubach gezeigt, in dem die Autorinnen der Doku zum «Tatort» gedreht haben, sowie Interviews und Praxisbeispiele von Demenzforschern und ihren Therapiemethoden.

Was ist Demenz und warum ist sie so verbreitet?

Bei einer Alzheimer-Demenz lagern sich veränderte Eiweisse im Gehirn ab. Die genaue Ursache ist noch nicht vollständig erforscht. Bei einer vaskulären Demenz sind Durchblutungsstörungen im Gehirn die Ursache. Grundsätzlich gelten die gleichen Risikofaktoren wie bei Gefässerkrankungen auch für Demenz: Rauchen, Alkohol, Übergewicht, körperliche und geistige Inaktivität und Diabetes. Das Demenzrisiko steigt deutlich mit dem Alter, was auch die erhöhte Verbreitung erklärt: Unsere Gesellschaft wird immer älter!

In der Schweiz leben laut Schätzungen des BAG etwa 146'500 demenzkranke Menschen. Allein 2021 kamen 31'375 Neuerkrankungen hinzu.

Wie geht es beim Münchner «Tatort» weiter?

Der nächste «Tatort» mit Batic und Leitmayr läuft zur Weihnachtszeit 2022 und wird «Mord unter Misteln» heissen. Batic und Leitmayr sind in ihrem 90. Fall zu einem «Krimidinner» (so lautete auch der Arbeitstitel dieser Folge) beim Kollegen Kalli (Ferdinand Hofer) eingeladen: ein Opfer, sechs Gäste – und jeder oder jede könnte den Mord begangen haben. Vom Münchner Esstisch springt die Handlung direkt ins historische Setting – ein britisches Herrenhaus in den 1920ern, in dem die beiden als «Constable Partridge» und «Chief Inspector Lightmyer» gefordert sind.