London im Krönungsfieber «Heute kam Charles auf der Strasse vorbei und plauderte mit uns»

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

5.5.2023

Drei Tage lang feiern die Brit*innen an diesem Wochenende die Krönung von König Charles III. Auch unfreiwillige Komik und Gleichgültigkeit gehören zum Programm. Ein Augenschein vor Ort.

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

5.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • An diesem Samstag findet in London ein Jahrhundertereignis statt: die Krönung von König Charles III. und seiner Ehefrau Camilla.
  • London ist wegen der Feierlichkeiten seit Tagen im Ausnahmezustand.
  • Ein Augenschein von blue News vor Ort zeigt: manch eine*r ist wenig begeistert vom Pomp: «Die Zeit der Unterwürfigkeit ist endgültig vorbei.»

Wie schade! Wir hatten uns alle so gefreut. Die einzige offizielle Krönungsparty im Quartier ist abgesagt worden.

Vielleicht hätte man das Malheur voraussehen müssen. Schliesslich lieferte schon die Adresse ein gefährliches Omen: Princess Road. Wo doch gerade eine Möchte-nicht-gern-Prinzessin und ihr Prinz – Harry und Meghan – dem neuen König zuletzt solches Ungemach beschert haben.

Die Möchtegern-Organisatorin der Party ist beileibe keine Monarchistin. Sie ist schlicht eine gemeinschaftlich eingestellte Frau, die dem Wunsch ihrer im grossen Ganzen auch nicht monarchistisch eingestellten Nachbarschaft nachzukommen versuchte, eine «ähnlich fabulöse Fete steigen zu lassen wie letztes Jahr beim Platinjubiläum der Queen».

Viele Helfer*innen haben etwas Besseres vor

Der Plan scheiterte aus zwei Gründen: Erstens stellten die Behörden die Warntafeln für die Strassensperre zu spät auf. Und zweitens hatten dann ganz viele Bürgerinnen und Bürger, die sich als freiwillige Helfer*innen eingeschrieben hatten, plötzlich doch noch etwas Besseres vor.

Zum Autor: Hanspeter «Düsi» Künzler

Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussball-Spezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie blue News und die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».

Jetzt wird die Princess Road zwar abgesperrt sein, aber leider ohne Fest.

Somit beschränken sich die Feierlichkeiten im Nordwestlondoner Quartier Kilburn auf einen Vortrag in der Lokalbibliothek über die Bekleidung im Königshaus im 18. Jahrhundert und ein paar Pubs, die King-Charles-Fähnchen in ihre Blumentöpfe gesteckt haben.

«Gleichgültigkeit», so lautet der Tenor auch unter den Hundehaltern, denen ich beim Spaziergang mit Dennis (einem King Charles Spaniel übrigens) im Paddington Old Cemetery begegne.

«Die leben noch im 17. Jahrhundert! Selbstherrliche Idioten!»

«So ein Quatsch!», fulminiert Simon, 74, der einst das englische Poster für die LP «You Gotta Say Yes To Another Excess» (ha!) der Zürcher Kombo Yello entwarf.

Besonders sauer stösst ihm die Aufforderung an die allgemeine Bevölkerung auf, während der Krönungszeremonie ihre Treue zum König zu schwören. «Die leben noch im 17. Jahrhundert! Selbstherrliche Idioten!»

«Ich bin weder besonders dafür noch besonders dagegen», meint Debbie, 25, die im Theater tätig ist. Etliche von ihren Freunden und Freundinnen sei die Sache indes wichtig genug, dass sie vergangene Woche an einer Anti-Royals-Demo teilgenommen hätten und dies bestimmt auch am Samstag wieder tun würden.

«Gleichgültigkeit», so lautet der Tenor unter den Hundehaltern, denen blue News Autor Hanspeter «Düsi» Künzler beim Spaziergang mit Dennis, seinem King Charles Spaniel, begegnet.
«Gleichgültigkeit», so lautet der Tenor unter den Hundehaltern, denen blue News Autor Hanspeter «Düsi» Künzler beim Spaziergang mit Dennis, seinem King Charles Spaniel, begegnet.
Bild: Hanspeter «Düsi» Künzler

Selbst Michael, 59, ein Finanzberater, der sein Leben lang für die Partei der Tradition gestimmt hat, die Conservatives alias Tories, zeigt wenig Begeisterung für den Pomp: «Die Zeit der Unterwürfigkeit ist endgültig vorbei.»

Die Reaktionen widerspiegeln die gesellschaftliche Zusammensetzung von Kilburn (dem Quartier) und Brent (dem Stadtbezirk).

250 Millionen Pfund werden für Souvenirs ausgegeben

Kilburn wurde der vielen hier lebenden Iren wegen früher auch Little Dublin genannt. Heute bilden Menschen aus dem Balkan, vom indischen Subkontinent und aus Afghanistan einen wohl grösseren Bevölkerungsanteil. Aber auch der trendige, supercoole Mittelstand ist gut vertreten – lauter Segmente, die mit den Royals wenig am Hut haben.

Das lokale Desinteresse lässt sich in Zahlen demonstrieren: Im ganzen Bezirk Brent werden über das ganze Wochenende nur gerade zehn Strassenpartys steigen. Im nächsten, konservativer ausgerichteten Bezirk Harrow sind es bereits deren 43. Und in klassischen Tory-Hochburgen wie den Grafschaften Kent und Hampshire geht die Zahl in die Hunderte.

Selbst in Kilburn ist ein kapitaler Vorteil der Coronation nicht zu übersehen: Das Geschäft boomt. Überall Wimpel, königlich dekorierte Schaufenster und einmalige Sonderangebote. Sogar Doughnuts tragen jetzt den Union Jack.

Nicht alle in London freuen sich auf die Krönung: Die einzige offizielle Party im Quartier von blue News-Autor Hanspeter «Düsi» Künzler wurde kurzfristig abgesagt.
Nicht alle in London freuen sich auf die Krönung: Die einzige offizielle Party im Quartier von blue News-Autor Hanspeter «Düsi» Künzler wurde kurzfristig abgesagt.
Bild: Hanspeter «Düsi» Künzler

Gemäss der Zeitung «Guardian» werden in diesen Tagen 250 Millionen Pfund für Souvenirs ausgegeben, weitere 120 Millionen Pfund für Bier. Nebst den üblichen Tellern, Tassen, T-Shirts und Gedenkmünzen sind 23 Kilogramm schwere Charles-Büsten aus Schokolade (Marke Celebration), Heinz-Tomaten-Kingchup (sic) oder lebensgrosse Karton-Charleses (Argos) erhältlich.

Der darbenden Wirtschaft kann der Turboschub nur guttun. Dass diese ausgerechnet unter der konservativen Regierung dermassen ins Serbeln geraten ist, hat sich ohne Zweifel auch auf die Haltung der Öffentlichkeit zu den mit konservativen Werten assoziierten Royals ausgewirkt.

Professor Imafidon will dem König Respekt zollen

Zurück zum Hundespaziergang: Endlich jemand, der sich ganz unironisch einfach nur freut. «Wie schön!», ruft Sonia aus, 55, eine Lehrerin, als ich ihr sage, dass ich mich später zum Buckingham-Palast begeben wolle, um mir ein Bild von den Vorbereitungen zu machen.

Es ist erst Dienstag, aber schon hängen über den grossen Strassen im West End die Union Jacks. Je teurer der Laden, desto diskreter – sprich: nicht ganz so «vulgär» – sind die monarchistischen Auslagen gestaltet.

blue News bei den Royals

Wenn König Charles III. am 6. Mai gekrönt wird, bist du mit blue News live dabei. Redaktorin Carlotta Henggeler und VJ Fabienne Berner begleiten das historische Ereignis vor Ort in London mit Videoreportagen, Interviews und einem Newsticker.

Je mehr man sich The Mall nähert, der Paradestrasse, die vom Buckingham-Palast zum Trafalgar Square führt und unter Monarchie-Fans als absolutes Nonplusultra zum Genuss der Feierlichkeiten gilt, desto augenfälliger ist die scharenweise Präsenz von Polizisten, Touristen und Journalisten.

The Mall selber ist abgesperrt, aber auf den breiten Trottoirs, die sie säumen, haben sich bereits ein paar Dutzend zumeist in Fahnen gekleidete Superfans eingenistet. Vor jedem stehen die Reporter Schlange.

Besonders populär ist John Loughtrey, 68, der schon seit der vergangenen Woche hier campiert. Natürlich sei die Hauptsache die, dass man einen historischen Moment erlebe, sagt er. Aber die ganzen Vorbereitungen, wenn man spüre, wie sich die Vorfreude immer mehr steigere, seien genauso toll.

Was ihm hingegen ganz und gar nicht passt, seien Typen wie der – er zeigt auf einen wohlgekleideten Engländer mittleren Alters, der das Tun mit ironischem Schmunzeln verfolgt: «Mit denen rede ich nicht. Die wollen sich nur lustig machen.»

Gemäss der Zeitung «Guardian» werden in diesen Tagen 250 Millionen Pfund für Souvenirs ausgegeben, weitere 120 Millionen Pfund für Bier.
Gemäss der Zeitung «Guardian» werden in diesen Tagen 250 Millionen Pfund für Souvenirs ausgegeben, weitere 120 Millionen Pfund für Bier.
Bild: Hanspeter «Düsi» Künzler

Etwas weiter hinten, abgesondert vom royalen Karneval, hat sich Professor Chris Imafidon aufgebaut. Der genaue professorale Status des seit Dekaden in London lebenden Nigerianers ist im Internet leider nicht zu eruieren. Immerhin existiert die Homepage einer wohltätigen Organisation, deren Gründer und Präsident er sei.

Der Professor sitzt hier, weil er King Charles seinen Respekt zollen will. «Als wir 2011 in Tottenham all diese Krawalle hatten», so erklärt er, «kam von den Politikern kein einziger, auch Premierminister Cameron nicht. Aber Charles war da. Hat mit den Menschen gesprochen. Hat Respekt gezeigt. Ganz abgesehen von seinem Einsatz für die Umwelt. Dafür will ich ihm danken. Übrigens kam er heute Morgen hier vorbei. Hat mit uns geplaudert …»


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