Demontage eines Superstars:R. Kelly seit einem Monat vor Gericht
Von Christina Horsten, dpa
17.9.2021 - 09:17
Pop-Superstar R. Kelly hat die Missbrauchsvorwürfe gegen sich lange zurückgewiesen. Seit einem Monat werden sie aber vor einem Gericht in New York detailliert vorgetragen.
DPA, Von Christina Horsten, dpa
17.09.2021, 09:17
dpa/uri
Vergewaltigung, sexuelle und körperliche Misshandlung, Erpressung und Kidnapping: Die Vorwürfe gegen Ex-Pop-Superstar R. Kelly wiegen schwer. In allen Details werden sie jetzt vor Gericht ausgebreitet, seit einem Monat inzwischen. Am 18. August begann im New Yorker Stadtteil Brooklyn der Prozess gegen den 54-jährigen «I Believe I Can Fly»-Sänger mit den Auftaktplädoyers. Das Verfahren ist – nach Fällen wie denen von Filmproduzent Harvey Weinstein und Komiker Bill Cosby – die nächste in den USA und weltweit viel beachtete juristische Aufarbeitung der #MeToo-Ära.
Als «Twilight Zone» (deutsch: Ort im Zwielicht) bezeichnet Anthony Navarro – einer von mehreren früheren Angestellten des Sängers, die im Prozess bislang ausgesagt haben – das Umfeld seines Ex-Arbeitgebers. «Man ist durch das Tor gegangen und war in einer anderen Welt, einfach ein merkwürdiger Ort», zitierten ihn US-Medien.
Sehr junge Frauen seien in dieser Welt festgehalten und ihr Verhalten bis ins kleinste Detail kontrolliert worden, sagte Kellys frühere Assistentin Diana Copeland. Die Frauen hätten keinen Kontakt zu anderen Männern haben dürfen. Wenn sie ein Taxi gerufen und ein Mann am Steuer gesessen habe, hätten sie ein anderes mit einer Frau als Fahrerin rufen müssen.
«Am Anfang hatten wir immer Spass»
Als eine von den Frauen kurz nach Florida habe reisen wollen, um dort an ihrer High-School-Abschlussfeier teilzunehmen, schrieb eine weitere von Kellys früheren Angestellten, Alesiette Mayweather, seinem Stylisten per SMS: «Wenn sie nach Florida kommt, sollte sie weglaufen und nie wiederkommen.» Und in einer anderen SMS: «Irgendetwas ist wirklich sehr merkwürdig daran, wie die Kleine behandelt wird und sich benimmt. Sie wird bestraft.» Andere frühere Mitarbeiter berichteten vor Gericht, wie sie neue Gespielinnen für Kelly organisieren sollten – indem sie beispielsweise immer vorgedruckte Zettel mit seiner Telefonnummer dabei hatten.
In diesem Umfeld seien zahlreiche Verbrechen geschehen, beschrieben mehrere von Kellys mutmasslichen Opfern. Beispielsweise sagte eine heute 28 Jahre alte Frau aus, dass der Sänger sie als Minderjährige im Alter von 16 Jahren sexuell und körperlich misshandelt habe. Sie habe ihn bei einem Konzert in South Carolina kennengelernt. «Das war cool. Wir sind immer ausgegangen und hatten eine gute Zeit. Am Anfang hatten wir immer Spass.» Dann aber sei Kelly, der zur gleichen Zeit auch andere Freundinnen gehabt habe, zunehmend eifersüchtig geworden, habe ihr vorgeschrieben, wie sie sich zu benehmen und zu kleiden habe. Schliesslich sei er immer brutaler geworden – unter anderem habe er sie bewusstlos geschlagen, weil sie gegen seine strikte Regeln verstossen habe.
Sechs Frauen im Zentrum der Anklage
Eine andere Frau gab an, Kelly bei einem Interview kennengelernt zu haben. Sie sei eine junge Radiomoderatorin gewesen und habe sich einen Karriere-Sprung erhofft, aber Kelly habe sie mehrere Tage lang eingeschlossen. Und vergewaltigt.
Im Zentrum der Anklage stehen sechs Frauen, von denen mindestens drei zur Tatzeit minderjährig gewesen sein sollen. Aber auch Männer sollen unter den Opfern gewesen sein. Ein Zeuge schilderte, wie Kelly ihn im Alter von 17 Jahren Hilfe bei seiner Karriere als Rapper versprochen habe. Als Gegenleistung dafür habe der heute 44-Jährige Sex von dem Minderjährigen verlangt.
Auch Kellys später annullierte Ehe mit der Sängerin Aaliyah kam immer zur Sprache. Kelly soll die damals erst 15-Jährige 1994 als volljährig ausgegeben und geheiratet haben, weil er gedacht habe, sie sei schwanger, sagte ein früherer Tour-Manager aus. Der Ausweis von Aaliyah, die 2001 bei einem Flugzeugabsturz starb, sei gefälscht worden. Einer früheren Background-Sängerin zufolge soll Kelly Aaliyah auch sexuell belästigt haben. Weil auch der Tatbestand «Racketeering» (etwa «organisiertes Verbrechen») zur Anklage zählt, können die eigentlich verjährten Geschehnisse aus der Mitte der 90er Jahre vor Gericht eingebracht werden.
Kelly sieht Rufmord-Kampagne
Der seit seiner Festnahme im Sommer 2019 im Gefängnis sitzende Musiker hat alle Vorwürfe immer wieder zurückgewiesen und seinen Kritikern eine Rufmord-Kampagne vorgeworfen. Vor Gericht soll er laut Prozessbeobachtern bisher ruhig und oft ausdruckslos das Geschehen verfolgt haben.
Bei einer Verurteilung in allen Punkten droht ihm eine Haftstrafe von zehn Jahren bis lebenslang. Erste Anschuldigungen gegen den 1967 in Chicago als Robert Sylvester Kelly geborenen Musiker wurden bereits vor rund 25 Jahren bekannt. 2008 stand er wegen des Besitzes von Bildern schweren sexuellen Kindesmissbrauchs vor Gericht – und wurde freigesprochen.
Unabhängig vom Ausgang des New Yorker Verfahrens wird es vor Gericht weitergehen: Der Sänger muss sich auch in weiteren Verfahren in Illinois und Minnesota zu ähnlichen Anklagepunkten verantworten.
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