Hunderttausend-Volt-Dirigent Seiji Ozawa ist tot

Von Lars Nicolaysen, dpa

9.2.2024 - 22:21

Der japanishe Dirigent Seiji Ozawa starb im Alter von 88 Jahren.
Der japanishe Dirigent Seiji Ozawa starb im Alter von 88 Jahren.
Archivbild: dpa

Er strotzte nur so vor Energie: Bis ins hohe Alter begeisterte der geniale japanische Dirigent Seiji Ozawa Fans der klassischen Musik in aller Welt. Jetzt ist der «Hunderttausend-Volt-Dirigent» tot.

DPA, Von Lars Nicolaysen, dpa

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  • Der weltberühmte japanische Dirigent Seiji Ozawa ist tot.
  • Der frühere Musikdirektor der Wiener Staatsoper starb bereits am 6. Februar in seinem Haus in Tokio an Herzversagen.
  • Er wurde 88 Jahre alt.

Der weltberühmte japanische Dirigent Seiji Ozawa ist tot. Der frühere Musikdirektor der Wiener Staatsoper starb bereits am 6. Februar in seinem Haus in Tokio an Herzversagen, wie sein Management am Freitag japanischen Medien mitteilte. Er wurde 88 Jahre alt. 

Der kleine, drahtige Japaner mit den vielen Lachfalten wurde oft als «Energiebündel» oder als «Hunderttausend-Volt-Dirigent» beschrieben. Jahrzehntelang dirigierte der Maestro nur wenige Opern, dann aber mit grossem Erfolg. 

Als Leiter des Boston Symphony Orchestra von 1973 bis 2002 setzte Ozawa Massstäbe. Sein breites Repertoire begeisterte ebenso wie die klangliche Brillanz, die der Japaner mit dem Orchester erreichte. 

Als Musikdirektor der Wiener Staatsoper widmete er sich dann vor allem seiner lange heimlich gehegten Liebe Oper und stellte seine breite Kennerschaft von Mozart bis Krenek unter Beweis. Zuletzt plagten den Japaner jedoch zunehmend gesundheitliche Probleme.

Der Bariton Paolo Gavanelli lobte den japanischen Pultmeister einmal: «Ozawa ist nicht nur ein Musikgenie, sondern auch menschlich eine einmalige Erscheinung. Mit ihm zu musizieren, bedeutet Glück.» 

Kinder sind ein kritisches Publikum

Dieses Glück teilte der Japaner auch besonders gern mit Kindern. Schon in Wien vermochte Ozawa die Kleinen mit seiner musikalischen Energie anzustecken. «Sie hören ganz intensiv zu. Aber wenn es langweilig ist, dann schiessen sie mit Gummibändern auf uns», sagte er einmal einer japanischen Tageszeitung. «Daher haben wir uns immer gesagt: Wir müssen unser Bestes geben, sonst kriegen wir Gummibänder ab.»

Geboren 1935 in Hoten in der damals japanisch besetzten Mandschurei, dem heutigen Nordostchina, kam Ozawa schon früh mit verschiedenen Kulturen und Einflüssen in Berührung. Sein Vater, ein Zahnarzt, war Buddhist, seine Mutter Christin. Sie war es, die ihren Sohn mit westlicher Musik vertraut machte. Als die Familie nach dem Krieg nach Tokio zog, erhielt Ozawa seinen ersten Klavierunterricht. Ein Sportunfall, bei dem er sich vier Finger brach, setzte seinem Traum von einer Pianisten-Laufbahn jedoch ein jähes Ende.

Ozawa sattelte auf Komposition und Dirigieren um und wurde schon bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im Alter von 24 Jahren mit dem Japan Philharmonic Orchestra als grosses Talent gefeiert. 

Musik mit der Seele begreifen

Der Erste Preis beim Internationalen Dirigentenwettbewerb 1959 in Besançon wurde zum Sprungbrett in den klassischen Musikbetrieb, auch wenn sich Ozawa noch lange gegen das Vorurteil behaupten musste, als Japaner könne er die europäischen Klassiker «nur gelernt» haben und sie nie «mit der Seele begreifen». Doch schon damals in den 1960er-Jahren bewies er Kraft und Zähigkeit und setzte sich im klassischen Musikbetrieb durch. 

In Tanglewood, der berühmten Sommer-Musikakademie für Nachwuchsmusiker im US-Bundesstaat Massachusetts, gewann der aufstrebende Maestro auf Anhieb den Kussewizki-Wettbewerb. Er arbeitete als Assistent bei Leonard Bernstein in New York, in Berlin nahm ihn Herbert von Karajan unter seine Fittiche. 

In rascher Folge wurde er Orchesterchef in Chicago, Toronto und San Francisco. 1970 übernahm er mit Gunther Schuller die Leitung des Tanglewood-Festivals, das er über Jahrzehnte prägte und das ihm 1994 die «Ozawa-Halle» widmete. Ozawa wird ausserdem zugeschrieben, dass das Boston Symphony Orchestra unter seiner 29 Jahre währenden erfolgreichen Leitung zu Weltruhm aufgestiegen sei. 

In seiner japanischen Heimat gründete Ozawa, den man wegen seiner erfolgreichen Arbeit mit den weltberühmten Orchestern auch den «Ozawa der Welt» nennt und der zum Wegbereiter unter japanischen Dirigenten auf der Weltbühne wurde, 1992 das Saito Kinen Festival. Später wurde es in Seiji Ozawa Matsumoto Festival umbenannt. 

Mit dem Praemium Imperiale geehrt

Ozawa erhielt die Ehrendoktorwürde der Harvard University und setzte sich für die Ausbildung von Musikern der nächsten Generation ein. Im Jahr 2004 gründete der Maestro die Seiji Ozawa International Academy Switzerland in Genf, wo er junge Musiker kostenlos unterrichtete.

2011 wurde Ozawa, der im Lauf seiner langen Karriere Hunderte von Schallplatten und CDs aufnahm und zum meist gefeierten Dirigenten seines Landes wurde, mit dem Praemium Imperiale des japanischen Kaiserhauses ausgezeichnet. Die Ehrung gilt als eine der weltweit wichtigsten Kunstauszeichnungen. 

Nachdem ein Jahr zuvor bei ihm Speiseröhrenkrebs festgestellt worden war, gab Ozawa seinen Posten des Musikdirektors der Wiener Staatsoper auf und zog sich aus dem Konzertbetrieb zurück, kehrte aber schon 2013 an das Dirigentenpult zurück. Doch seine gesundheitlichen Probleme zwangen den Maestro in den vergangenen Jahren zunehmend, Konzerte und Auftritte bei Musikfestivals abzusagen.