Provenienzforschung Ausstellung in Bern zeigt Aufarbeitung des Gurlitt-Erbes

hn, sda

14.9.2022 - 10:01

"La Montagne Saint Victoire" von Paul Cezanne ist eines von vielen namhaften Gemälden, die in der Berner Gurlitt-Ausstellung zu sehen sind.
"La Montagne Saint Victoire" von Paul Cezanne ist eines von vielen namhaften Gemälden, die in der Berner Gurlitt-Ausstellung zu sehen sind.
Keystone

Das Kunstmuseum Bern zieht Bilanz über eines der anspruchsvollsten Projekte seiner Geschichte: den Kunstfund Gurlitt. Es tut dies im Rahmen einer Ausstellung, in der die Aufarbeitung des heiklen Erbes im Zentrum steht.

Keystone-SDA, hn, sda

Erstmals bietet sich so ein umfassender Einblick in die vielfältigen Dimensionen der Erforschung des umstrittenen Legats, welches das Kunstmuseum Bern vor rund acht Jahren angenommen hatte.

Die Exponate erscheinen mit den Spuren ihrer Geschichte. Sie dokumentieren Kunstraub- und Handel der Nazizeit, wirken aber auch in ihren ästhetischen Qualitäten als Objekte des Sammelns.

Die Ausstellung will insbesondere aber auch Antworten geben zur Provenienzforschung, zu den Herausforderungen im Umgang mit den Forschungsergebnissen und zudem aufzeigen, wie das Kunstmuseum Bern seine Verantwortungen wahrnimmt.

Die Ausstellung «Gurlitt – eine Bilanz» öffnet am 15. September ihre Tore und dauert bis Mitte Januar 2023.

Raubkunst restituiert

Das Kunstmuseum Bern hat im Zusammenhang mit dem Gurlitt-Erbe Regeln erarbeitet, wie es mit der Problematik von Raubkunst, beschlagnahmter Kunst und Fluchtkunst umgehen will. Es installierte vier Kategorien, also NS-Raubkunst, Hinweise auf Raubkunst, keine Hinweise auf Raubkunst und keine Raubkunst.

Nach mehrjähriger Forschungsarbeit wurden bisher neun Werke als Raubkunst identifiziert und an ihre ehemaligen Besitzer respektive deren Nachkommen zurückgegeben.

Wo kein Verdacht auf Unrecht bestand, übernahm das Kunstmuseum die Werke in seinen Besitz. Das waren über 1600 Werke. Wo Verdacht auf Unrecht bestand, gab das Museum seinen Besitzanspruch auf. Fünf Werke gingen an die Bundesrepublik Deutschland. Zwei Werke wurden den Nachfahren ehemaliger Besitzer freiwillig übergeben, dies im Sinn einer «gerechten und fairen Lösung».

Verhandlungsspielraum

In den meisten Fällen konnte der Besitz der Werke nicht vollständig geklärt werden. «Wir haben die Lücken unterschätzt», sagte am Mittwoch Anwalt Provenienzexperte Marcel Brülhart, der beim Kunstmuseum Bern für das Gurlitt-Dossier zuständig ist.

Bei unklarer Herkunft eines Werks gibt es laut Brülhart «hunderte Gründe», nichts zu tun und die Sache einfach auszusitzen. Doch Bern habe sich bewusst dagegen entschieden und mit den Betroffenen nach fairen Lösungen gesucht. «Es gibt viele Verhandlungsmöglichkeiten, man darf vor der Problematik keine Angst haben», betonte Brülhart mit Blick auf die aus seiner Sicht bisher eher behäbige Haltung vieler Schweizer Institutionen.

Brülhart würde sich wünschen, dass der Dialog über solche Fragen in der Schweiz stärker in Gang kommt. Es gebe einzelne Akteure, die durchaus einiges täten, das seien aber unabgesprochene Einzellösungen.

Schweres Erbe

Mit der Annahme des Legats Gurlitt übernahm das Berner Haus ein Konvolut von weit über tausend Kunstwerken, die der deutsche Kunsthändler Hildebrand Gurlitt zusammengetragen hatte.

Gurlitt hatte im Nazi-Regime eine Rolle als Kunsthändler gespielt – eine facettenreiche, schillernde Figur. Die Werke vermachte er später seinem Sohn Cornelius, der sie bis in hohe Alter in seinen Wohnungen in München und Salzburg unter Verschluss hielt.

Erst durch einen Zufall stiessen die Behörden 2010 auf die Bilder in Gurlitts Wohnungen und beschlagnahmten sie. Zumindest Teile der Sammlung standen unter Raubkunstverdacht.

Der greise Cornelius Gurlitt war eine der ersten Privatpersonen, die 2104 die Washingtoner Prinzipien anerkannten. Diese sind eine rechtlich nicht bindende Übereinkunft, um während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmte Kunstwerke oder Raubkunst zu identifizieren und mit deren Vorkriegseigentümern oder Erben eine gerechte und faire Lösung zu finden.

Kurz vor seinem Tod 2014 vermachte Cornelius Gurlitt das Werkkonvolut überraschend dem Kunstmuseum Bern, das nach einiger Bedenkzeit das schwere Erbe mit der Verpflichtung zur Aufarbeitung annahm. Das Haus baute dazu die schweizweit erste Abteilung für Provenienzforschung auf.

Marcel Brülhart zog am Mittwoch eine aus seiner Sicht positive Bilanz der Aufarbeitung des Gurlitt-Legats. Er glaube, Cornelius Gurlitt wäre damit zufrieden und würde sagen: «die Sache hat ein gutes Ende genommen.»