Interview Bernard Thurnheer: «Der härteste Schnitt kam mit der Coronakrise»

Von Carlotta Henggeler

30.7.2020

Beni National alias Bernard Thurnheer kehrt für einen kurzen Moment an den Bildschirm zurück. Er ist in der Doku «Geboren am» zu sehen. Ein Steilpass, um über doppeltes Glück, gloriose «Benissimo»-Zeiten und Corona zu sprechen.

Sein kurzes Fernseh-Intermezzo ist ein perfekter Steilpass, um mit Bernard Thurnheer über gloriose «Benissimo»-Zeiten und sein Verhältnis zu Mäni Weber zu reden. Und wie er Fussballspiele mit weniger Zuschauer im Stadion findet. 

‹Mit Glück wurde ich gleich doppelt gesegnet›, haben Sie kürzlich in einem Interview gesagt. Wie meinen Sie das?

Mir lief es schon immer gut, schon seit der Primarschule. Zum Beispiel musste ich nie Hausaufgaben zu Hause erledigen. Bei uns war das damals so, dass unser Lehrer uns zehn Minuten vor dem Schul-Aus Zeit für Hausaufgaben geschenkt hat. Das reichte mir immer.

Sie Glücklicher!

Ja, im Gymnasium wurde es dann ‹zächer› und später dann – mit der Berufswahl – war ich überfordert. Ich habe Jus studiert aus dem Grund, dass es ein breites Studium ist und danach viele Möglichkeiten offenlässt. Ich wollte schon immer Fussball-Radio-Reporter werden, das war eigentlich mein grosser Traum. Dass dieser in Erfüllung gehen könnte, war so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Und dann kam der Radio- und Fernsehwettbewerb. Da habe ich mitgemacht im Glauben, dass sowieso nichts daraus wird.

Aber es kam anders …

Ja, ich habe gewonnen. Der Preis war eine Halbtagesstelle beim Radio. Und von da an lief es rund. Ich wollte eine Festanstellung und klacks, ich habe eine erhalten – ohne ein Wort darüber verloren zu haben. Dann wollte ich neben dem Radiomachen auch ins Fernsehen – und klacks, schon wurde ich angefragt. Nie musste ich ‹ellbögle› oder mich um eine Stelle bewerben.

Unglaublich.

Das ging immer so weiter. Ich musste nur denken, ich wolle Sport im Fernsehen kommentieren oder Quizmaster werden, den ‹Eurovision Song Contest› oder eine grosse Samstagabendshow moderieren und man hat es mir angeboten. Es passierte viel zu schnell. Das ist doch die Erfüllung des Lebens, wenn du genau das machen kannst, was du gerne machen möchtest.

Jetzt verstehe ich Ihren Spruch übers doppelte Lebensglück.

Wenn junge Leute mich fragen, was sie tun sollen, damit sie Sportreporter werden können oder zum Fernsehen wollen, gebe ich gerne ein paar Ratschläge. Aber was du brauchst, ist zu 50 Prozent Glück.

Ihre Eltern waren aber gegen Ihre Medienkarriere.

Ja, weil der Radio- und TV-Wettbewerb während meiner Jus-Ausbildung lief, wollten sie, dass ich mich auf den Jus-Abschluss konzentriere.

Und auch hier fiel es Ihnen wieder leicht. Sie meisterten Job und Universität mit Bravour. Sie haben das Studium mit magna cum laude – also der zweithöchsten Uni-Auszeichnung – abgeschlossen.

Ja und war zu dieser Zeit erst auch noch Sportkommentator. Im Sport würde man sagen, ich hätte das Double geschafft, also den Cup und die Meisterschaft zusammen zu gewinnen.

Am Anfang Ihrer Karriere begegneten Sie TV-Legende Mäni Weber (1935–2006).

Ja, genau! Er war der erste Schweizer Fernseh-Superstar und arbeitete zeitgleich mit mir in der Radio-Sportabteilung – er in Basel, ich in Zürich. Bei den monatlichen Sportsitzungen war er jeweils dabei. Ich habe ihn schon früh kennengelernt, da war ich noch sehr jung. Er war mein Sportreporter-Kollege. Es war immer ein Highlight, wenn Mäni bei der Sitzung auch dabei war.

Hat er Sie geprägt?

Ja, Mäni hat die Jungen gefördert. Er musste einen Platz auch nie verteidigen oder sich gegen neue, aufkommende Stars wehren. Solche Leute habe ich am Karriere-Anfang ebenfalls noch erlebt.

Er hat Sie also unterstützt?

Er hat mich gefördert, wie er nur konnte. An Anlässen hat er mich immer allen Leuten als den jungen Thurnheer vom Fernsehen vorgestellt. Er ist mir deshalb mehr als lieber Mensch denn als Superstar in Erinnerung geblieben.

Sie haben viel von Mäni Weber gelernt.

Genau, auch, was man nicht machen soll. Das klingt jetzt vielleicht etwas zynisch. Er war ja ein Pionier. Der ‹Blick›, also die Boulevardzeitung, kam da gerade auf. Mäni hat immer probiert, dem zu entsprechen, das die Zeitung über ihn geschrieben hat. So wurde er etwa als unglaublicher Frauenheld dargestellt oder als einer, der alles weiss. Heute ist klar: So viel kann ein Mensch gar nicht leisten. Als Star wurde er vergöttert und versuchte, diesem künstlichen Bild gerecht zu werden. Er hat sich auch so benommen – und dann ist es schiefgegangen.

Traurig.

Wie bereits gesagt: Mäni bleibt mir mehr als Mensch denn als Star in Erinnerung.

Sie sind heute 71 Jahre alt und schon ein Weilchen pensioniert. Denken Sie noch oft an Ihre TV-Zeit zurück?

Nein, ich mache ja immer noch ein paar Mediensachen. Nicht mehr so viel wie früher und nicht am TV. Doch das ist immer noch mein Leben. Die Pensionierung war kein harter Schnitt. Was mich aber schon erstaunt: ‹Benissimo› gibt es seit acht Jahren nicht mehr, aber täglich werde ich heute noch für ein Selfie angehauen. Man macht Sendungen mit mir oder über mich. Ich dachte, in der Pension wird es ruhiger – das ist überhaupt nicht der Fall.

Als Sie vor der Pensionierung standen, sagten Sie, beim Fernsehen aufzuhören sei ein bisschen wie ein Drogenentzug.

Ja, das habe ich gemeint. Allerdings habe ich den Übergang auch gut gelöst (lacht).

Wie denn?

Ich habe das schon länger geplant. Ich habe bei Kollegen, die ein paar Jahre vor mir in Pension gegangen sind, gesehen, dass die Pensionierung ein grosses Problem ist. Deshalb habe ich nicht alles mit 65 Jahren ‹gheie la›. Ich habe schon früh die Matchs der Fussballnationalmannschaft nicht mehr kommentiert, dann das ‹Sportpanorama› nicht mehr moderiert, auch ‹Benissimo› war schon weg. Ich habe langsam alles abgegeben, so konnten Projekte ausserhalb des Fernsehens gedeihen. Der härteste Schnitt kam mit der Coronakrise.

Wieso?

Bei Corona ist es so: Bist du über 65, bist du also alt. Leute ab diesem Alter muss man unterstützen, zu Hause oder im Altersheim. Dadurch gibt es viel weniger Berührungen zwischen den Generationen. Das hat mich beschäftigt. Zum Glück habe ich ein Haus mit Garten und ich muss auch keine Angst haben, meine Stelle zu verlieren.

Stimmt.

Sechs Jahre nach meiner Pensionierung hat es Corona doch noch geschafft, dass man den Effekt, den ich vermeiden wollte – nämlich, dass zwischen Jung und Alt unterschieden wird – nun eintrifft.

Im Lockdown, gingen Ihre Kinder für Sie einkaufen?

Genau, meine Kinder gingen für mich einkaufen. Einkaufen ist kein grosser Lebensinhalt für mich. Ich gehe einfach einmal die Woche für die ganze Familie Besorgungen erledigen. Ich habe realisiert, dass ich den ganzen Laden auswendig kenne. Meine Kinder hatten gute Direktiven – ich habe ihnen nicht nur genau gesagt, was ich will, sondern auch gleich, wo es im Laden steht.

Ich habe auch für meine Eltern eingekauft. Und fand es emotional schwierig. Man bringt den Einkauf und geht gleich wieder, weil Umarmungen oder sonstige Berührungen nicht mehr angesagt sind.

Du kannst nicht mehr verdrängen, dass du älter wirst. Das zu denken, liegt nicht im Wesen des Menschen. Schlimm ist das nicht, es zwingt dich einfach dazu, die Realität zu akzeptieren.

Und Sie mussten alle beruflichen Termine absagen.

Ja, genau. Alle Sportinterviews, Lesungen und die Rotary-Anlässe. Anfang bis Ende Jahr hatte ich 35 solcher Termine. Ein bis zwei Sachen pro Woche, die sind auf null zusammengesackt. Und die geplanten Ferien fallen weg. Zum ersten Mal seit 40 Jahren habe ich keine entsprechende Reservation gemacht. Während meines Berufslebens war es schwierig – mit Europacup und anderen Wettkämpfen, den Olympischen Spielen. Wenn ich in den Sommerferien war, habe ich gleich die Skiferien gebucht. Jetzt habe ich zum ersten Mal im Leben nichts geplant. Null. Das empfinde ich schon als Umstellung, jedoch nicht als eine negative.

Wie meinen Sie das?

Klar, die Krankheit und die Todesfälle sind unschön und nicht wegzudenken. Nichtsdestotrotz gibt die Krise einem die Möglichkeit übers eigene Leben nachzudenken. Was mache ich im Leben? Und viele werden festgestellt haben, dass sie in einem Hamsterrad rennen. Jetzt wurde man gezwungen, zu bremsen. Und viele haben gemerkt, dass das schön ist. Ich habe zahlreiche Kollegen, die sagen, Homeoffice sei super. Man muss nicht mehr so früh aufstehen und kann auch mal im Pyjama vor dem Compi sitzen.

Wie sieht es denn mit den abgesagten Sportler-Interviews aus?

Rund die Hälfte wird nachgeholt. Es ist so: Wenn dann alles abgesagt werden würde, gleicht ein Tag dem anderen. Und ich mag Abwechslung – aber auch das kann man aktiv steuern.

Wie sorgen Sie für mehr Abwechslung?

Ich gehe jetzt zum Beispiel oft mit Freunden Essen, anstatt zu chatten oder auf WhatsApp lange Dialoge zu führen. Quasi wieder ‹Back to the Roots› – weg vom SMS-Dialog hin zur realen Begegnung. Dafür habe ich Zeit und das diversifiziert den Alltag.

Spielt Fernsehen noch eine Rolle in Ihrem Leben?

Ja, allerdings schaue ich Fernsehen, wie wenn ich Radio hören würde: eher nebenbei. Ich schalte ihn ein und zappe dann. Wenn mich was packt, schaue ich, sonst schalte ich aus.

Gibt es denn kein Lieblingsformat?

Doch! Ich bin immer noch Sportreporter, ich schaue alles, was mit Sport zu tun hat.

Wer wird eigentlich Schweizer Fussballmeister?

Ich glaube immer noch Sankt Gallen, auch wenn es momentan nicht so gut aussieht. Das ist eine Meisterschaft, bei der jeder jeden schlägt. In dieser Situation kann eigentlich nur der FC St. Gallen Schweizermeister werden. YB ist der Favorit. Aber in einer abnormalen Meisterschaft gibt es auch keine normalen Gewinner. St. Gallen muss mit viel weniger Geld als YB oder Basel auskommen und trotzdem mischen sie an der Spitze mit.

Wie finden Sie Fussball mit weniger Zuschauern?

Es ist nicht dasselbe. Es geht ja nur darum, die Fernsehgelder einkassieren zu können. Was mir aufgefallen ist, ist, dass trotz der 700 Zuschauer – momentan sind ja total 1000 Leute im Stadion zugelassen – für Stimmung gesorgt werden kann. Ich war erstaunt, wie stimmungsvoll die Matches sind – vom Ton her, vom Auge her nicht. Man sieht eine Wüste aus leeren Sitzplätzen.

Man spürt Ihre Leidenschaft für den Sport noch immer.

Ja, die Spiele, die neuen Spieler, die Strategien interessieren mich noch immer. Ich habe meinen Job nicht gemacht, um berühmt zu werden.

Wehmut beim Zuschauen?

Nein, im Gegenteil. Ich hatte auch wieder Glück und für den Rücktritt den richtigen Zeitpunkt erwischt. Wenn ich höre, dass SRF die Champions League nicht mehr zeigen und kommentieren kann – das muss hart sein für meine Kollegen.

Und früher waren es andere Zeiten. Da sass die ganze Familie vor dem Fernseher und schaute zusammen ‹Benissimo›. Heute undenkbar.

Über dieses Phänomen habe ich in meinem Buch ‹Hauptsache es flimmert› geschrieben. Darin wird der Aufstieg und Fall des Fernsehens beschrieben. Streaming und Internet lösen das klassische Fernsehen ab. Es wird viel mehr übers Handy konsumiert. Mein Sohn hat gar keinen Fernseher mehr. Zu meiner Zeit, war das allererste, das du in einer neuen Wohnung platziert hast, der Fernseher. Die Polstergruppe wurde so hingestellt, dass man gut auf den Apparat sehen konnte und dann hat man den Rest der Wohnung eingerichtet. Die Bedeutung des Fernsehers nimmt ab.

Genau. Und viele bekannte TV-Gesichter sind von SRF abgewandert. Zum Beispiel Steffi Buchli oder jüngst Nik Hartmann.

Jeder Fall ist einer für sich. Nik Hartmann ist so einer, wie ich es war. Alles, was er moderieren wollte, hat er moderiert. Es ist ihm halt langweilig geworden. Und dazu kommt, dass man, wenn man im Fernsehen auftritt, nicht Millionär wird. Bei SRF darf man keine Werbung machen. An Veranstaltungen darfst du auftreten und noch was dazuverdienen. Aber wenn es bei SRF ums Geldverdienen geht, musst du in der Chefetage sein. Jene, die bei SRF gegangen sind, also Buchli und Hartmann, haben bei einem anderen TV-Unternehmen einen Chefposten erhalten und verdienen mehr. Von SRF wegzugehen ist in erster Linie eine finanzielle Frage. Bei SRF muss man viel sorgfältiger mit dem Geld umgehen – da es Konzessionsgelder sind – als bei privaten Medien.

Wurden Sie nie für eine Chefstelle angefragt?

Doch, früher schon. Ich wurde angefragt, ob ich im Radio und dann später im TV Sportchef werden wolle. Ich habe bereits nach zehn Sekunden abgelehnt.

Wieso?

Die Begründung war immer dieselbe: Ich will ins Stadion und nicht an Sitzungen. Mehr Geld war nie eine Motivation für mich, ich hatte immer genug. Ich wollte nie einen Ferrari, eine Yacht in Saint Tropez oder ein Häuschen in Sankt Moritz. Mir geht es gut, wie es ist, ich brauche keine Millionen, um gut zu leben.

Lieber mit der Bratwurst im Stadion stehen und einen coolen Match schauen?

Ja, wobei: Mit dem Alter ist es anders geworden. Ich gehe nur noch an Open-Air-Konzerte, wenn ich sitzen kann. Beim FC Winterthur stehe ich immer noch am Rand der Bierkurve. Manchmal sitze ich aber gerne auf der Tribüne, das hat auch mit der Prominenz zu tun. Beim Stehplatz werde ich oft angequatscht und irgendwann reicht es.

So wie auch Ihr Übername ‹Schnuri der Nation› Sie nerven soll.

Ja, es gibt seit 40 Jahren kein Interview, indem ich nicht darauf angesprochen werde. Auch jetzt wieder passiert. Für mich ist es brutal langweilig, darauf zu antworten.

Verstehe, dann schlage ich einen Themenwechsel vor. Sie haben bereits mehrere Bücher geschrieben. Ist ein neues angedacht?

Ja, bin an einem dran. Ich glaube aber nicht, dass es jemand verlegen will, es ist ‹echli hochgstoche›. Es geht um Philosophie. Es ist eine Idee, die in dieser Coronazeit entstanden ist. Ich habe ein Buch geschenkt bekommen, mit den 50 grössten Philosophen der Weltgeschichte. Ich habe mir dann überlegt, wie man das anders schreiben könnte – und zwar so, dass jeder drauskommt. Ich bin da am Schreiben, weiss aber wirklich nicht, wer das publizieren soll. Bücher schreiben, die dann keiner liest, das ist auch dröge. Reine Arbeitstherapie bringt es nicht.

Doppelt mit Glück gesegnet. Haben Sie noch einen grossen Wunsch?

Ja, ich bin schon in 98 Länder gereist und würde gerne auf 100 kommen. Aber in den nächsten zwei Jahren sehe ich das nicht. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und hoffe, dass ich mit 75 nochmals auf Reisen kann. Geht das mit Corona und werde ich körperlich und geistig fit sein? Das ist ja das A und O: die Gesundheit. Mit dem Alter schmerzt dann das Knie immer mehr. Die Gefahr, dass man in der Mobilität eingeschränkt ist, wächst.

Bei der Reiseplanung sind Sie sich schnell einig mit Ihrer Frau Kathrin?

Nein, nicht so. Ich mag es lieber warm, sie bevorzugt die nordischen Länder. Zum Schluss gibt es einen Kompromiss. Das geht so weit, dass ich mal alleine eine Woche auf Kreuzfahrt gehe. Wenn sie damit beschäftigt ist, die Enkelkinder zu hüten. Wir waren schon in Alaska und Island. Im Hinterkopf haben wir die Hurtigruten in Norwegen. Das hat allerdings zwei Nachteile. Es ist wieder im Norden und Norwegen ist kein neues Land für mich. Aber eben: Momentan diskutieren wir keine Reisepläne.

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