«Das Ende des Schweigens»Sie wusste sich lange vor #MeToo gegen ihren Chef zu wehren
Von Fabian Tschamper
11.3.2021
Das Schweigen hat ein Ende: Nevenka Fernández spricht in der Netflix-Doku «Breaking the Silence» über den wohl ersten Fall der späteren MeToo-Bewegung.
Von Fabian Tschamper
11.03.2021, 15:05
12.03.2021, 07:40
Fabian Tschamper
Im Jahr 2000 berichtete Nevenka, dass sie von ihrem Chef Ismael Álvarez Rodríguez, dem Bürgermeister einer kleinen Stadt in Spanien, sexuell belästigt wurde. Sogar Drohungen bekam sie von ihm, da sie seine Advancen wiederholt abgeblockt hatte. Ein Jahr später kündigte sie und verklagte Rodríguez. Es war die erste Klage ihrer Art in Spanien und gilt heute als Präzedenzfall.
Nun, 20 Jahre später, spricht Nevenka in «Breaking the Silence» zum ersten Mal seit ihrer Kündigung über das Verfahren.
Die damals 24-jährige Studentin wurde ins Team von Rodríguez aufgenommen, einem charmanten Gastgeber und Kandidaten für das Bürgermeisteramt in einer 70'000-Seelen-Stadt in der spanischen Provinz Léon. Sie studierte Wirtschaft und lernte nach ihrem Abschluss die politischen Verbündeten von Rodríguez kennen: Eine Frauenquote musste damals aufrechterhalten werden und Nevenka passte ins Muster, sie war jung, intelligent – und attraktiv. Ihr Äusseres wurde schnell zu ihrem wichtigsten Attribut, denn Chauvinismus war weit verbreitet im Spanien von 1999.
Nach dem Sieg von Rodríguez sah Nevenka den neuen Bürgermeister als Mann, der seine Macht zwar gern demonstrierte, aber dennoch sehr umgänglich war. Rapide machten Gerüchte über eine Affäre der beiden die Runde: Es wäre doch die einzige Möglichkeit, wie eine solch junge Frau überhaupt in den Stadtrat hätte kommen können. Rodríguez vertraute ihr Persönliches an, als dessen Frau im Sterben lag.
Nach dem Tod seiner Frau wurde der Druck auf Nevenka grösser. Sie ging auf ein paar Dates mit ihm, realisierte aber schnell, dass dies keine gute Idee war. Je mehr sie sich von Rodríguez distanzierte, desto näher wollte er ihr sein – er schrieb Bettel- und Drohbriefe an sie. Als Nevenka ihren Eltern davon erzählte, forderte ihre Mutter den Stadtrat auf, ihre Tochter gehen zu lassen – oder sie würde die Details über den Bürgermeister preisgeben.
Und wie war die Dokumentation nun?
Die Geschichte, die Nevenka in ihrer Doku erzählt, ist leider nicht neu. Der Dreiteiler konzentriert sich auf ihre Perspektive seit der Kündigung 2001. Auch kommen verschiedene Journalist*innen zu Wort, die zur Amtszeit von Rodríguez aktiv waren und wissen, wie der Bürgermeister damals arbeitete.
Es war das erste Mal, dass eine Frau ihren Chef verklagte – weit vor #MeToo. Spanien wusste um die Methoden von Rodríguez, jedoch sorgte erst die Klage von Nevenka 2000 und 2001 für Schlagzeilen, was den Chauvinismus in Spanien fett unterstrich. Die weiblichen Beiträge und Arbeiten in der Gesellschaft galten beinahe als nichtig, wurden als minder wichtig abgetan. Die Situation damals war noch schlimmer als in den USA, deren Kultur bis heute starke sexistische Züge aufweist.
Offensichtlich schlief sich Nevenka nach oben. Offensichtlich waren ihre Keuschheit während der Dates mit Rodríguez und die nachfolgenden Belästigungen ihr eigener Fehler. Sogar als sie König Juan Carlos I. traf, waren die ersten Worte aus dessen Mund, wie schön sie doch sei.
Dieses Verhalten war so tief in der spanischen Gesellschaft verankert, kein Wunder, traute sich keine Frau, gegen ihre mächtigen Unterdrücker vorzugehen. Bis 2001 jedenfalls. Nevenka Fernández machte den ersten, mutigen Schritt. Wer weiss, durch was für eine Hölle sie wirklich gehen musste.
«Nevenka: Breaking the Silence» ist auf Netflix abrufbar.