Experte über «Der Tinder-Schwindler» «Dating-Apps sind ein Gottesgeschenk für Betrüger»

Von Manuel Kellerhals

10.2.2022

Auf Netflix schlagen derzeit zwei Produktionen über Hochstapler hohe Wellen. Psychologe Felix Hof ordnet die Fälle ein und verrät, wie man sich am besten vor solchen Betrügern schützt. 

Von Manuel Kellerhals

10.2.2022

Faszination Betrug: Am 2. Februar erschien die True-Crime-Dokumentation «Der Tinder-Schwindler» auf Netflix. Der Film beleuchtet den Fall von Simon Leviev, der als falscher Millionär mehrere Frauen um Hunderttausende Franken betrog. Am 11. Februar erscheint ausserdem «Inventing Anna» – ein Drama, das die Betrugskarriere von Anna Sorokin beleuchtet. Die Deutsch-Russin gab sich ebenfalls als Millionärin aus, um sich in die New Yorker High Society zu schleusen – und dort insgesamt um die 200'000 Franken zu erschleichen. 

In der Schweiz ist «Der Tinder-Schwindler» seit seinem Erscheinen beinahe durchgehend auf Platz 1 der meistgestreamten Filme auf der Plattform. Ein Erfolg, der «Inventing Anna» nach der Veröffentlichung am Donnerstag teilen dürfte. Doch wie ticken die Menschen hinter diesen gigantischen Betrugsplänen überhaupt? Und was für Schwächen nutzen sie aus? Der Zürcher Psychologe Felix Hof klärt auf. 

Herr Hof, sowohl Simon Leviev als auch Anna Sorokin betrieben jahrelangen Aufwand, um sich durch ein Lügengebilde finanziell zu bereichern. Was sind das für Menschen, die zu so etwas fähig sind? 

Felix Hof: Das sind Menschen mit einer sehr starken narzisstischen und manipulativen Komponente. Das heisst, dass sie sich selbst eine Rolle zulegen können, in der sie brillieren können – auch wenn sie nichts mit der Realität zu tun hat. Sie haben sich das Lügen antrainiert, weil sie mit diesem Verhalten zuvor zu ihrem Ziel kamen. Das Streben nach Belohnung und Aufmerksamkeit kann für sie schliesslich fast zu einer Sucht werden.

Wie viel Planung steckt in so einer Betrugsmasche?

Oft eskalieren solche Pläne über die Jahre. Am Anfang können Betrugs-Manöver noch unbewusst verlaufen. Doch sobald die ersten Gewinnmomente kommen, werden die Strategien verfeinert. Je grösser der Erfolg, desto gezielter gehen sie vor. Irgendwann ist es dann so, dass solche Hochstapler gar nicht mehr aus ihrer Rolle kommen können. Sie verlieren sich selbst in ihren eigenen Lügen.

Damit richten sie auch immensen Schaden an. Stört es sie nicht, dass sie mit ihren Lügen Leben zerstören?

Das System, das sich solche Betrüger aufbauen, lässt es gar nicht zu, dass sie Mitgefühl für ihre Opfer empfinden. Sie sind nur auf ihr eigenes Glück fokussiert. Solange sie profitieren, ist alles gut. Grob ausgedrückt: Das ist eine gefühlsmässige Verwahrlosung.

Welche Schwächen nutzen Betrüger aus?

Ihre Opfer sind häufig unsichere Menschen, die bereits Schwierigkeiten haben, Anschluss zu finden. Wie der Fall Anna Sorokin zeigt, ist das aber nicht immer der Fall. Manchmal nutzen solche Täter einfach auch das angeborene Vertrauen der Menschen aus. Wir hinterfragen selten das, was wir sehen. Und wenn jemand seine Rolle überzeugend genug spielt, sieht man keinen Grund für Vorsicht.

Der Trailer zu «Der Tinder-Schwindler».

Quelle: YouTube

Der «Tinder-Schwindler» hätte ohne die sozialen Medien oder Online-Dating-Sites nie so viele Opfer erreichen können. Wie helfen Apps wie Instagram oder Tinder Betrügern?

Für Betrüger sind sie ein Gottesgeschenk. Solche Apps öffnen Tür und Tor für sie. Die Interaktionen durch die sozialen Medien oder Dating-Apps beschränken sich meist auf Chats. Über Bilder und Videos kann man ausserdem Fantasiewelten erschaffen, die nur sehr schwierig zu durchblicken sind.

Zur Person: 
Psychologe Felix Hof
ZVG

Felix Hof ist ein Zürcher Psychotherapeut und Psychologe. Nach seinem Werkstudium in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich arbeitete er unter anderem mehrere Jahre als Chefpsychologe des Rekrutierungszentrums Rüti ZH der Schweizer Armee. 

Wie schützt man sich am besten davor, Opfer von Menschen wie Anna Sorokin oder Simon Leviev zu werden?

Man muss sich eine grundsätzliche Vorsicht antrainieren, besonders, wenn man im Netz unterwegs ist. Wer schnell von Menschen fasziniert ist und etwas in seinem Leben vermisst, muss sich bewusst werden, dass man das auch ausnutzen könnte. Man sollte im Endeffekt lieber eine Frage zu viel stellen, als eine Frage zu wenig.

«Der Tinder-Schwindler» sahen weltweit Millionen von Menschen. Auch «Inventing Anna» dürfte ein grosses Publikum erreichen. Wie sehen Sie solche Produktionen?

Es ist eine unglaublich destruktive Art, mit solchen Fällen umzugehen. Sie dürfen nicht vergessen, dass hinter diesen Verbrechen eine narzisstische Persönlichkeit steckt. Auch wenn die Aufmerksamkeit negativ ist, sonnen sie sich darin. Auf eine Art und Weise werden sie damit in ihrer ausgedachten Grösse bestätigt und dürften so sogar ermutigt werden. Ich finde das sehr verwerflich. Vor allem, weil dabei oft nur beiläufig an den Opferschutz gedacht wird.