Das Wetter hat die Premiere der Oper «Madame Butterfly» bei den Bregenzer Festspielen vom Mittwochabend zu einer emotionalen Achterbahnfahrt werden lassen. Ensemble, Orchester und Crew haben die Herausforderungen mit Bravour gemeistert, allen voran die Titelheldin.
Keystone-SDA, gn, sda
21.07.2022, 14:14
SDA
Als die ersten Geister, die beinahe mit dem Hintergrund verschmelzen, auf die Seebühne huschen, geht ein leises Raunen durch das Publikum. Die Openair-Premiere der 76. Bregenzer Festspiele findet statt, auch wenn zwei Stunden zuvor noch ein heftiger Regenschauer über der Stadt am Bodensee niedergegangen ist.
Die Oper von Giacomo Puccini handelt von der japanischen Geisha Cio-Cio-San genannt Butterfly, die auf ein besseres Leben hofft, und von dem amerikanischen Marineleutnant Pinkerton, der nie an eine ernsthafte Ehe-Verbindung dachte.
Der Gesang auf der Bühne und das Orchester im Festspielhaus sind technisch hervorragend aufeinander abgestimmt. Die Wiener Symphoniker beginnen mit einer Fuge. Darin wird bereits deutlich, wie Puccini in der Oper ein exotisches musikalisches Thema auf westliche Weise verarbeitet.
Der irisch-amerikanische Bariton Brian Mulligan als Konsul Sharpless warnt Pinkerton (Edgaras Montvidas) mit wuchtiger Stimme vor einer leichtfertigen Heirat mit dem Geisha-Mädchen. Nach dem Duett wird das westliche Kolorit durch ein japanisches abgelöst, als der Heiratsvermittler Goro mit den Frauen eintrifft. Inmitten der Geishas erscheint Madame Butterfly (Barno Ismatullaeva) auf der Bühne.
Zuvor zogen die rund 40 Geishas in einer langen Prozession über den obersten Rand des Bühnenbilds und dann in Serpentinen hinab, durch die Falten eines riesigen, zerknüllten Blattes Japanpapier.
Kompromisslose Heldin
Das Bühnenbild von Michael Levine wirkt schwerelos. In Wirklichkeit wiegt das «Blatt Papier», das auf einer Stahlkonstruktion aus dem Wasser in den Himmel ragt, 300 Tonnen. In luftiger Höhe von bis zu 23 Metern erschufen Kascheure mit Kletterausbildung eine japanische Berglandschaft, die im Lauf der zweistündigen Inszenierung mit Projektoren bespielt werden soll.
Das Bühnenbild ist auch eine Metapher für den Zustand von Butterflys Seele. Nach der Hochzeit wechselt sie dem Ehemann zuliebe ihren Lebensstil, ihren Glauben und ihre Träume. Ihre Vorfahren wird sie aber nicht los: Immer wieder geistern sie in schlohweissen Gewändern über die Bühne.
Auch die Szenerie rund um die Festspielbühne spitzt sich zu: Erst setzt Regen ein, die Sturmwarnung kündigt Windböen an und dann zucken immer häufiger Blitze am Horizont. Das Publikum wird unruhig, nicht nur die Regenpellerinen rascheln, inzwischen schlagen auch immer höhere Wellen an den Bühnenrand.
Regisseur Andreas Homoki, Intendant des Opernhauses Zürich, inszeniert «Madame Butterfly» als Emanzipationsgeschichte, die Titelfigur sieht er als «grosse, kompromisslose Heldin». Barno Ismatullaeva meistert die anspruchsvolle Aufgabe bravourös, auch wenn sie die Geschichte der verkauften und missbrauchten 15-Jährigen nicht neu erfinden kann. Die usbekische Sopranistin füllt die riesige Bühne nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihrer Energie bis in die hintersten Ränge des 7000 Plätze fassenden Tribüne.
Orchester hautnah erleben
Nach einer Stunde ist bereits Schluss: Nachdem die Wetterfront mit Blitz und Donner im Anmarsch ist, wird die Aufführung der Oper ins Festspielhaus verlegt. Ein Teil der Premierengäste – rund 1600 – erleben dort eine Hausversion des Stücks.
Die Inszenierung abschliessend zu beurteilen, ist nach nur einer Hälfte auf der Seebühne und den fehlenden (Unterwasser-)Effekten, nicht fair. Trotzdem: Nicht nur für das Spiel auf dem See will perfekt orchestriert sein, auch eine Regenabsage braucht Regie.
Die Umbaupause dauert keine halbe Stunde. Das Orchester, seit 2006 nur noch über Lautsprecher zu hören, verschmilzt mit den Sängerinnen und Sängern. Das emotionale Kammerspiel kann im Festspielhaus seine intime Kraft voll entfalten.
Butterfly, inzwischen sitzengelassen mit einem Kind von Pinkerton, gibt sich noch lange der Illusion der ersehnten Rückkehr hin. Drei Jahre sind vergangen, als der lang vermisste Ehemann mit einer neuen Frau aus Amerika zurückkehrt.
Als er ihr das Kind wegnehmen will, begeht Butterfly Selbstmord. Dirigent Enrique Mazzola spielt und leidet am Orchesterpult mit. Im Hintergrund eingeblendet das leere Bühnenbild, verlassen und in Flammen aufgegangen.
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