Katheryn Winnick aus «Vikings» «Meine russischen Fans wollen diesen Krieg nicht»

Von Marlène von Arx

7.5.2022

Sie spielte die kriegerische Schildmaid und Königin Lagertha in der Kult-Serie «Vikings». Jetzt kämpft die ukrainischstämmige Schauspielerin Katheryn Winnick für das Land ihrer eigenen Vorfahren.

Von Marlène von Arx

7.5.2022

Sie sind in Kanada geboren, aber mit der ukrainischen Kultur Ihrer Eltern aufgewachsen. Wie darf man sich das vorstellen?

Da meine Grosseltern nur Ukrainisch sprachen, bin ich in einem zweisprachigen Haushalt aufgewachsen. Wir sind sehr stolz auf unsere Kultur und Sprache. Als Kind bin ich samstags in die ukrainische Schule, und ich war Mitglied der ukrainischen Pfadfinder. Ostern und Weihnachten nach dem alten Kalender wurden bei uns grossgeschrieben. Unsere Familie hat sogar ein eigenes Volkslied, das Vinitsky-Lied, das über Generationen weitergegeben wurde. Einmal im Jahr gibt es ein grosses Familientreffen und dann singen wir es.

Wie kam Ihre Familie nach Kanada?

Meine Grosseltern mussten während des Zweiten Weltkriegs flüchten und ihr Land aufgeben. Mein Vater war einiges jünger als seine Schwester und sie musste ihn einmal als ihren Sohn ausgeben, um Checkpoints zu passieren. Ich kann mich erinnern, wie meine Grossmutter ihr Geld unter dem Teppich im Schlafzimmer versteckte, statt es auf die Bank zu bringen. Ihre Vorstellung der Welt war leider von Erlebtem geprägt.

Haben Sie noch Familie in der Ukraine?

Ja, die näheren Verwandten sind nach Polen geflohen. Ich habe meine Eltern zu ihrem 50. Hochzeitstag auf eine Reise in die Ukraine eingeladen. Wir haben ihre Dörfer besucht. Mir fehlen die Worte zu beschreiben, was jetzt in unserer alten Heimat passiert. So viele Frauen und Kinder haben ihr Zuhause verloren. Frauen und Mädchen werden vergewaltigt, es gibt Sexhandel. Wir müssen wirklich alle unseren Teil dazu beitragen, dass der Krieg aufhört.

Deshalb haben Sie die Winnick-Stiftung ins Leben gerufen?

Ja, als der Krieg anfing, war ich noch an der zweiten Staffel von «Big Sky». Ich fühlte mich machtlos und war enttäuscht, dass am Anfang niemand etwas tat. Es ist furchtbar am Fernsehen zu sehen, was passiert. Es fragten mich auch viele Kolleginnen und Kollegen, wie sie helfen konnten. Und so gründete ich die Winnick Foundation – so weiss ich auch, dass das Geld direkt zu Präsident Selenskyj und seinem Team geht.

Ist Ihre Familie beteiligt?

Ja, meine Mutter hilft mir. Sie ist seit Jahren im ukrainischen Kongress in Kanada und hat Erfahrung mit Philanthropie. Sie hat nun krebskranke Kinder nach Toronto gebracht, damit sie dort ihre Behandlungen weiterführen können. Mein Bruder ist in Kanada im Militär. Er hilft mit, kugelsichere Westen in die Ukraine zu schicken. Der Mann einer Cousine ist Arzt und arbeitet gerade in einem Flüchtlingszentrum. Und wir wollen Familien aufnehmen. Wir versuchen alle unseren Teil zu tun.

Sie waren letztes Jahr in Kiew und haben Präsident Selenskyj getroffen. Wie kam es dazu?

Anlässlich der 30 Jahre Unabhängigkeit wollte Präsident Selenskyj Prominente mit ukrainischen Wurzeln zur Feier einladen. Ich hatte einen Film in den USA mit einem ukrainischen Produzenten gemacht, der das dann koordinierte. Wir waren in der Oper und an der Militärparade. Ich habe ein Heimatmuseum besucht und bin in die Küche des Landes eingetaucht. Es war eine tolle Erfahrung. Was mir besonders auffiel: Das ganze Volk feierte die 30-jährige Unabhängigkeit. Sie sind unglaublich stolz, eine unabhängige Nation zu sein.

Welchen Eindruck hatten Sie von Selenskyj?

Mein erster Eindruck war, dass er ein starker und inspirierender Mann ist. Aber ich denke nicht, dass er damals schon wusste, was auf ihn zukommen und aus ihm ein Held für die Welt werden würde. Die einen nennen ihn einen jungen Winston Churchill, für mich ist er wirklich ein Held und Leader.

Sie spielen gern und überzeugend Kämpferinnen – wie die mächtige Schildmaid und Vikinger-Königin Lagertha aus der Serie «Vikings» oder die taffe Detektivin Jenny Hoyt in der Serie «Big Sky». Glauben Sie, dass Ihre Rollenwahl etwas mit Ihren Wurzeln zu tun hat?

Absolut, zu 100 Prozent! Die ukrainische Kultur hat mich zur Frau und zur Künstlerin gemacht, die ich bin. Bei «Vikings» wurde ich ursprünglich nur für ganz kurz engagiert, aber ich habe dann mit dem Serienschöpfer Michael Hirst intensiv gearbeitet, um Lagertha zur Kämpferin und Leaderin zu formen, die sie wurde. Widerstandskraft, den Familienzusammenhalt und zu kämpfen, wofür man glaubt – mit all dem bin ich aufgewachsen. In Hollywood werden Ukrainer*innen als Unterkategorie von Russen und Russinnen betrachtet, aber das ist falsch. Das verstehen die Leute jetzt.

Welche Einstellung haben Sie jetzt zu Russen und Russinnen?

Ich habe viele russische Fans und ich weiss, dass sie diesen Krieg nicht wollen. Sie haben leider nicht die richtigen Informationen. Wenn wir sie erreichen und sie sehen könnten, was wir sehen, wären sie damit ganz sicher nicht einverstanden. Jedenfalls die Mehrheit der Bevölkerung nicht. Ich glaube ans Gute im Menschen und dass das russische Volk aufbegehren kann.

Gibt es Filme, die Sie und Ihre Weltsicht besonders beeindruckt haben? Könnten Sie sich vorstellen, nun ähnliche Filme mit Ukraine-Bezug zu machen?

Da kommen mir spontan die Weltkriegsfilme «Sophie's Choice» und «Schindler's List» in den Sinn. Meryl Streep muss in «Sophie's Choice» zwischen zwei Kindern wählen. Wie grausam! Filme können Geschichte aus einer anderen Perspektive zeigen. Über die ukrainische Kultur gibt es noch viel zu erzählen. Ich habe eine Produktionsfirma gegründet, um frauen-fokussierte Geschichten zu erzählen – darunter ist auch eine über eine Ukrainerin.

Werden Sie auch Regie führen?

Ja, das würde ich gern. Ich habe bei «Vikings» Regie geführt und dafür einen Preis bei den Women’s Image Awards gewonnen. Ich hoffe, ich habe in Zukunft mehr Zeit, Regie zu führen und damit ein Licht darauf zu werfen, was in der Ukraine passiert.

«Vikings» ist auf Prime Video und Netflix abrufbar. «Big Sky» streamt auf Disney+. Weitere Informationen zur Winnick-Stiftung.