HomosexualitätOffensiv gegen den Karriereknick – Schauspieler outen sich
dpa/che
5.2.2021 - 14:23
Sie wurde nicht als Mutter gecastet, weil sie lesbisch ist. Wie «Tatort»-Star Ulrike Folkerts geht es vielen Homosexuellen. Zwar zeigt sich die Branche mittlerweile sensibler, doch viele Künstler und Künstlerinnen wagten kein Coming-out – bis jetzt.
Es ist ein beispielloser Aufschrei, der das Zeug zum Donnerhall hat. «Wir sind schon da», schallt es vom Cover des «Süddeutsche Zeitung Magazin» von heute, Freitag. «Wir», das sind 185 Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich in einem Manifest als schwul, lesbisch, bisexuell, queer, nicht-binär und trans outen. Der Titel hat das Zeug, Geschichte zu schreiben. Allein schon, weil er optisch an den «Stern»-Titel mit den Fotos Dutzender Frauen und dem berühmten Zitat «Wir haben abgetrieben» erinnert.
Für die queere Community könnte es ein Durchbruch sein im Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung. Wohl alle Unterzeichnerinnen und Unterzeichner von #actout, wie sie ihre Kampagne nennen, können eine Geschichte erzählen über offene oder zumindest versteckte Homophobie.
Ihr sei gesagt worden, «ich solle im Tatort nicht zu viele Karo-Hemden tragen», erzählt TV-Kommissarin Karin Hanczewski im Interview mit fünf anderen Künstlerinnen und Künstlern dem «SZ Magazin». Das entspricht dem homophoben Stereotyp einer lesbischen Frau, wie ihre Kollegin Eva Meckbach erklärt. Und Mehmet Atesci, Mitglied des Wiener Burgtheaters und Gast am Berliner Gorki-Theater, berichtet: «Ich hatte sogar mal eine längere Affäre mit einem heute sehr bekannten Schauspieler, der immer im Moment, wo eine dritte Person dazukam, die auch eine Öffentlichkeit hat, anfing, mit einer Frau zu flirten oder begehrend über Frauen zu reden, damit man bloss nicht gesehen wird oder in die Richtung rutscht.»
Homosexuellen Darstellern und Darstellerinnen werde oft nicht zugetraut, heterosexuelle Rollen authentisch zu spielen, berichtet Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD), der dpa. Das hat auch Ulrike Folkerts erlebt, bekannt vor allem aus dem Ludwigshafener «Tatort». Der Deutschen Presse-Agentur berichtet sie: «Ich wurde für eine Mutterrolle gecastet, aber als die Regisseurin erfuhr, dass ich lesbisch bin, hat sie mir abgesagt», erzählt die 59-Jährige. «Das ist Diskriminierung. Natürlich kann ich eine Mutter spielen.»
Oft ist der Druck von aussen gross. Selbst Agenten und Agentinnen rieten queeren Menschen, sich lieber nicht öffentlich zu outen – aus Angst, keine Hetero-Rollen mehr angeboten zu bekommen, erzählt Jenny Luca Renner, LGBT-Vertreterin im ZDF-Fernsehrat, der dpa. Auch deshalb haben einige Darstellerinnen und Darsteller abgelehnt, bei #actout mitzumachen, zumindest fürs Erste.
So sind es vorerst 185 Menschen, die eine Debatte anstossen. «Es wird immer angenommen, man gehöre zur Norm», erzählt Godehard Giese («Babylon Berlin»). Dabei seien sie «mit unserer sexuellen Identität in der Öffentlichkeit nicht sichtbar». Von vielen ist bekannt, dass sie lesbisch, schwul, trans oder bi sind. Andere outen sich zum ersten Mal. «Wir sind Schauspieler*innen. Wir müssen nicht sein, was wir spielen. Wir spielen, als wären wir es – das ist unser Beruf», betonen sie in ihrem Manifest. Das gemeinsame Outing hat manchem geholfen, die Angst vor dem Karriereknick zu überwinden. «Die Kraft und den Schutz der Masse genutzt. Grossartig», kommentiert ZDF-Fernsehrätin Renner.
Doch bis zur völligen Akzeptanz ist es noch ein weiter Weg. Schauspieler André Eisermann («Kaspar Hauser») betont, ein Teil der Gesellschaft habe noch immer ein Problem damit, wenn Menschen offen zu ihrer Homosexualität stehen. «Solange es solche Menschen gibt – leider auch in den ‹Fachkreisen› –, wird es nicht gleichgültig sein, ob jemand schwul oder lesbisch ist», sagt er der dpa. Und TV-Kommissarin Folkerts beklagt eine falsche Toleranz. Heterosexuelle erhielten Preise für die Darstellung von Homosexuellen. «Da heisst es dann: Wie mutig! Und dass der oder die sich das traut», sagt sie. «Ich bin ja auch nicht Polizistin, spiele aber eine Kommissarin.»
Auch deshalb nehmen Forderungen zu, dass queere Rollen nur von queeren Menschen gespielt werden sollten. Zuletzt betonte der britische Autor Russell T. Davies («Queer as Folk», «Years and Years»), er besetze Homosexuelle nur noch mit Homosexuellen. Es gehe um Authentizität, sagte Davies. Folkerts sagt, sie sei zwar anderer Meinung, könne aber diese Haltung nachvollziehen. «Das spricht für eine Sensibilisierung allen LGBTI-Menschen gegenüber.» LGBTI steht für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans* und Inter*.
In Hollywood bahnt sich nach jahrelanger Kritik über Mangel an Diversität und Inklusion ein langsamer Wandel an. So gab im vorigen Herbst die Oscar-Akademie neue Standards bekannt, nach denen Bewerber in der Sparte «Bester Film» künftig Vielfaltskriterien erfüllen müssen. Das reicht von Diversitätsquoten für die Rollenbesetzung bis zu LGBT-Inhalten.
Hollywood-Star Scarlett Johansson war 2018 nach langer Kontroverse von dem Film «Rub & Tug» abgesprungen. In dem Biopic sollte sie den Transmann Dante Gill spielen. Dem Magazin «Out» teilte Johansson damals mit, ihr Casting in dieser Rolle sei «unsensibel» gewesen sei. Kürzlich blickte Oscar-Preisträgerin Julianne Moore selbstkritisch auf ihr Casting mit Annette Bening als Lesben-Paar in der Familienkomödie «The Kids Are All Right» (2010). «Alle Hauptakteure waren heterosexuell», sagte sie reumütig dem Filmblatt «Variety».
Heute verfährt man anders. Zahlreiche Kollegen sprachen etwa ihre Unterstützung aus, als «Juno»-Star Elliot Page im Dezember sein Trans-Coming-out in den sozialen Medien verkündete. An seiner Rolle in der Netflix-Serie «The Umbrella Academy» über eine Gruppe von Superhelden hat sich nichts geändert – darin spielt der Kanadier die weibliche Figur Vanya. LSVD-Sprecher Ulrich betont: «Wenn auch geoutete LGBT-Schauspielerinnen und -Schauspieler selbstverständlich für Nicht-LGBT-Rollen gecastet werden, würde sich auch die Diskussion um die Besetzung von LGBT-Rollen erübrigen.»