Exklusiv-Interview Rega-Pilot: «Das Schlimmste ist, wenn wir Kinder retten müssen»

von Nathalie Röllin, Redaktorin

2.9.2016

Philipp Simmen ist seit 12 Jahren Pilot für die Rega.
Philipp Simmen ist seit 12 Jahren Pilot für die Rega.
SRF/Marcus Gyger

«Bluewin» durfte exklusiv hinter die Kulissen der «DOK»-Reihe «Rega 1414 – Hilfe naht» schauen und mit einem Jet-Piloten reden.

Nicht nur in der Schweiz ist die Rega täglich im Einsatz – sondern auch weltweit: 800 Mal ist im letzten Jahr einer der drei Jets der Rettungsflugwacht in Zürich gestartet, um Patientinnen und Patienten in die Heimat zurückzuholen. Einer der Piloten ist Philipp Simmen. Die fünfteilige SRF-«DOK»-Serie «Rega 1414 – Hilfe naht» begleitete unter anderem den 38-Jährigen bei seiner Arbeit. «Bluewin» hatte die Möglichkeit, den Jet-Piloten persönlich zu treffen.

«Bluewin: Sie sind ja jetzt schon 12 Jahre Pilot bei der Rega, was war Ihre bislang weiteste Rettung?

Philipp Simmen: Ein Einsatz nach Sydney. Wir mussten einen Teenager zurückholen, der eine Weltreise machte. Er hatte sich den Fuss relativ unglücklich übertreten, worauf sich eine schlimme Entzündung bildete und eine Amputation drohte.

Was ist denn der häufigste Grund, warum der Rega-Ambulanzjet startet?

Meistens sind es Krankheiten, die eine Behandlung in der Schweiz erfordern – oder Stürze, bei denen sich die Verunfallten komplizierte Brüche zugezogen haben. Auch Auto- oder Töff-Unfälle in der Ferne sind leider häufig.

Gab es – trotz der ernsten Umständen – einen Augenblick, von dem Sie sagen, es war einer der schönsten?

(überlegt) Wenn wir Kinder an Bord haben, das ist natürlich immer speziell – und wenn es dann natürlich auch noch gut ausgeht… Einmal mussten wir von Kangerlussuaq in Grönland ein Baby nach Dänemark in eine Kinderklinik ausfliegen, weil es dort besser betreut war. Das war sicher ein besonderer Moment.

Dann holen Sie nicht nur Patienten zurück in die Schweiz?

Nein, wir fliegen manchmal auch für weltweite Auftraggeber. Das heisst, wenn unsere drei Flugzeuge nicht ausgelastet sind, zum Beispiel in den Wintermonaten, weil Herr und Frau Schweizer weniger reisen, nehmen wir auch Aufträge von Dritten an. Von diesen Einnahmen profitiert letztlich die ganze Gönnerschaft.

Was war einer der schlimmsten Augenblicke Ihrer Karriere?

Das ist nur wenige Wochen her, als wir ein neunjähriges Mädchen zurückholen mussten mit Krebs im Endstadium. Sie ist dann auch wenige Stunden nach der Ankunft in der Schweiz verstorben. Das ist schlimm, auch wenn man dann die Eltern sieht und weiss, dass es nicht gut herauskommen wird.

Kommen Sie denn als Jet-Pilot überhaupt in Kontakt mit den Patienten oder den Angehörigen?

Ja, aber relativ kurz. Wir sind fürs Ein- und Ausladen zuständig, aber man schaut natürlich auch zu den Angehörigen, besorgt ihnen etwas zu trinken oder redet mit ihnen, wenn man merkt, dass es ihnen schlecht geht. Doch der Kontakt beschränkt sich halt auf die Flugzeit. Das ist auch ein Vorteil, weil dann die Zeit für den Aufbau einer Beziehung fehlt und man sich gut davon lösen kann – vor allem, wenn es etwas Tragisches ist.

Fällt es Ihnen einfach, Abstand zu gewinnen und abzuschalten?

Grundsätzlich ja, das ist eigentlich nicht so ein grosses Problem. Ausser bei Kindern ist es nochmals etwas Anderes – ich habe selbst Kinder und da kann man natürlich besser nachvollziehen, was Eltern in solchen Fällen durchmachen müssen.

Fliegen Sie immer nur Flughäfen an? Oder kommts auch mal vor, dass Sie auf einer Schotterpiste oder einem Feld landen müssen?

Nein, wir müssen eine Betonpiste haben, weil das Flugzeug nur so zugelassen ist. Wir können aber auch sehr kurze Pisten anfliegen, wie Lugano oder Bozen im Südtirol. Oder wir können auf Flugplätzen landen, die keine Instrumenten-Landesysteme haben, da sind wir relativ flexibel. Dies erfordert dann einen Anflug nach Sichtflugregeln.

Ist das denn nicht sehr speziell?

Doch, aber auch spannend. Weil wir im Cockpit auf uns alleine gestellt sind und uns nur mit Hilfe der Anflugkarten und dem Blick aus dem Fenster orientieren. So können wir auch noch ein bisschen unsere fliegerische Freude ausleben im Vergleich zu «normalen» Linienpiloten, welche die meisten Anflüge im Autopiloten fliegen.

Was war der schönste Anblick, den Sie je bei einem Landeanflug gesehen haben?

Die Karibik und die Malediven sind immer sehr schön. Oder übers Great Barrier Reef in Australien. Auch Kathmandu ist sehr speziell, weil der Flughafen in einem sehr engen Tal mit hohen Bergen liegt. In der Schweiz ist Samedan einer meiner Lieblingsdestinationen, weil es mitten in den Bergen liegt und der Anflug eine Herausforderung ist – Einsätze in Samedan kommen aber nur sehr selten vor.

Wie sieht Ihr Arbeitsplan aus?

Wir sind 24 Piloten. Jeder arbeitet rund sechs oder sieben Tage am Stück und wechselt zwischen Tages- und Nacht-Dienst.

Das heisst aber nicht, dass Sie immer im Einsatz sind?

Nein. Ungefähr 70 Prozent der Zeit sind wir am Fliegen und 30 Prozent sind wir zu Hause einsatzbereit. Je nach Pikettdienst müssen wir dann innerhalb einer Stunde am Flughafen sein.

Was war der längste Arbeitseinsatz?

Wir haben natürlich eine gesetzlich vorgeschrieben Ruhezeit, die wir einhalten müssen – wie die Linienpiloten auch. Mit vier Piloten an Bord können wir bis zu 30 Stunden fliegen. Von Zürich nach Sydney kommt man dann gerade an diese Grenze, an der man 30 Stunden unterwegs ist. Zwei Piloten sind jeweils im Cockpit, zwei ruhen sich in einer speziell dafür vorgesehenen Koje aus. Und so wechselt man sich ab. Vor Ort in Australien haben wir dann 48 Stunden Ruhezeit, bevor es wieder zurückgeht.

Wie weit schaffen Sie es ohne Zwischenlandung?

6500 Kilometer, das entspricht etwa einer Flugzeit von siebeneinhalb Stunden.

Was war der kurioseste Einsatz, den Sie je gehabt haben?

(überlegt) Der Transport von hochansteckenden Patienten war jeweils sehr speziell. Da mussten wir mit Mundschutz, einer grossen Schürze und einer Haube fliegen – wir sahen aus wie im Operationssaal, befanden uns aber im Cockpit. Wir durften dann auch nichts trinken oder essen. Das war dann anspruchsvoll. Unterdessen hat die Rega für solche Fälle ein neues Transportkonzept entwickelt, die sogenannte Patient Isolation Unit (PIU). In einer Art Hülle werden die Patienten «eingepackt» und bleiben bis zum Zielspital isoliert. So kann die Crew im Jet «normal» arbeiten.

Wie war es von einem Film-Team begleitet zu werden?

Am Anfang sehr speziell – wenn man weiss, dass die Sendung wahrscheinlich mehr als 500'000 Schweizer verfolgen werden. Das hat mich schon leicht nervös gemacht. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich ein bisschen daran. Nicht vollständig – aber ein bisschen. Auch menschlich war die Zusammenarbeit mit dem Film-Team gut. Das ist wichtig, schliesslich ist es sehr eng im Jet. (lacht)

Waren Szenen gestellt – oder wurden Szenen oft wiederholt?

Das ganze Einsatzgeschehen können wir nicht stellen, das ist alles real. Das gefällt mir persönlich auch sehr und macht für mich den Reiz der DOK-Produktionen aus.

Werden Sie auch geschminkt bzw. eingekleidet? Gibt es eine Maske?

(lacht) Nein, nein – völlig ungeschminkt. Und wir haben ja sowieso unsere Uniform an.

Zurück zur Startseite