«Eden für jeden» Rolf Lyssy: «Ich fühle mich wie der König von Frankreich»

Von Carlotta Henggeler

1.10.2020

«Schweizermacher»-Regisseur Rolf Lyssy (84) über sein neues Familiendrama, unbezahlbare Lebensgeschenke und Schrebergärten – der Inbegriff des Bünzlitums?

Am diesjährigen Zurich Film Festival feiert Rolf Lyssys Drama «Eden für jeden» Premiere. Einer der erfolgreichsten Filmemacher der Nation hat auch den «Career Achievement Award» für sein Lebenswerk erhalten. Im Interview mit «blue News» im Zürcher Restaurant Commercio nippt er tiefenentspannt Kräutertee.

Rolf Lyssy, heute ist ein intensiver Tag für Sie. Wie geht es Ihnen?

Ja, ich fühle mich wie der König von Frankreich, der hier thront, bei dem die Minister vorbeikommen und mit ihm diskutieren, wie man das Land regieren wolle. Es könnte mir nicht besser gehen.

Wir aber reden über Ihren neuen Film. Die Geschichte von ‹Eden für jeden› erzählt ein Alzheimer-Drama, das im Schrebergarten spielt.

Nein! Ich habe mit Drehbuchautor Dominic Bernet ein Familiendrama erfunden, das aber nicht zwingend im Schrebergarten spielen muss. Die Familiengeschichte kann irgendwo stattfinden, am Bodensee oder auch im Ausland. Es ist eine zeitlose, allgemeine Story über einen Familienknatsch. Der Schrebergarten ist der eigentliche Mittelpunkt.

Wie kam es dazu?

Nach dem Dokumentarfilm von Mano Khalil ‹Unser Garten Eden› wollten wir einen Spielfilm machen. Wir haben uns dann auf die Suche nach Geschichten gemacht, denn ein Dokumentarfilm kann gar nicht getoppt werden, das sind ja alles Originalfiguren aus dem Leben.

Ich hatte schon gedacht, Sie inszenierten ‹Eden für jeden› in einem Schrebergartenverein, damit das Alzheimer-Drama durch den skurrilen Schrebergarten-Kosmos an Leichtigkeit gewinnt.

Ja, dieser Gedanke stimmt schon. Ich wurde in letzter Zeit oft gefragt, woran ich gerade arbeite. Ich habe dann nicht ausgeholt und gesagt, ich würde einen Film im Schrebergarten drehen. Dabei hat jeder gelacht.

Zur Person
© Andreas Rentz/Getty Images for Zurich Film Festival

Rolf Lyssy wurde 1936 in Zürich geboren und absolvierte eine Ausbildung zum Fotografen. Seine filmische Karriere begann 1964: Er arbeitete bei Filmen von Reni Mertens und Walter Marti sowie von Alain Tanner mit. Erste Anerkennung als Regisseur und Autor fand er 1975 mit «Konfrontation», der Geschichte eines Attentates auf einen NSDAP-Gruppenleiter in Davos. Mit «Die Schweizermacher» (1978) schuf Rolf Lyssy den erfolgreichsten Schweizer Film der letzten 60 Jahre.

Auch diesmal arbeiten Sie wieder mit Ihrem Sohn Elias zusammen. Er ist Kameramann. Ein erprobtes Duo. Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, mit meinem Vater zu arbeiten. Eine lustige Vorstellung.

Ja, aber Sie sind eine Frau. Das ist schon etwas anderes – und ich meine das nicht despektierlich. Ein Mann und seine Tochter bei der Arbeit, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe – das ist ein komplett anderes Verhältnis.

So habe ich mir das noch nie überlegt.

Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mit meinem Sohn zusammenzuarbeiten. Es ist grossartig. Aber das betrifft uns beide. Ich will nicht sentimental werden oder übertreiben. Aber für mich ist das ein unbezahlbares Geschenk, dass ich in meinem hohen Alter – ich darf das so sagen – mit meinem Sohn Filme drehen kann. Es ist unser dritter gemeinsamer Film. Nein, stimmt nicht, da gab es auch Dokumentarfilme.

Wie viele waren es dann?

Jetzt müssen wir erst mal zählen. Er ist ja schon lange dabei. 1989 hat Elia an der Filmschule in New York studiert, dort lebt er bis heute. 1989 habe ich ‹Leo Sonnyboy› gedreht, da hatte er gerade Semesterferien und hat bei uns als Stagiaire beim Licht geholfen. 1991 habe ich ein Porträt über meinen Bruder gedreht mit dem Namen ‹Ein Trommler in der Wüste›. Elia war da Kamera-Assistent. Seit 1991 hat er den Bachelor und arbeitet seit 32 Jahren als Freelance-Kameramann in New York.

Das Lyssy-Duo: Eine schöne, lange und erfolgreiche Familiengeschichte.

1998 erlitt ich eine Depression. Als ich wieder gesund wurde, habe ich anschliessend den Film ‹Eine Liebe zur Chemie› über den Valium-Erfinder Leo Sternbach realisiert. Wir haben in Nutly und Montclair (New Jersey), wo Leo Sternbach arbeitete und wohnte, gedreht. Es war die erste Zusammenarbeit mit Elia an der Kamera. 

Ein breites Themenspektrum bei den Lyssys.

Wir haben auch beim Dokumentarfilm ‹Ursula – Leben im Anderswo› 2011 zusammengearbeitet und beim Spielfilm ‹Die letzte Pointe› vor vier Jahren. Und jetzt bei ‹Eden für jeden› – das ist wunderbar!

Zurück zum Thema Schrebergarten. Das ist doch als Location der Inbegriff des Bünzlitums.

Jetzt muss ich fast ein Plädoyer für den Schrebergarten halten und dieses Bild korrigieren. Diese Vorstellung ist zwar richtig, aber 20 Jahre alt. Das ist heute nicht mehr so. Bei der Rekognoszierung habe ich fast alle Schrebergärten Zürichs kennengelernt. Gedreht haben wir in Albisrieden, hinter dem Friedhof Sihlfeld, ein toller Garten. Wir haben viele jüngere Hobbygärtner kennengelernt.

Gutes Argument.

Jene Leute, die uns für den Dreh ihr Häuschen zur Verfügung gestellt haben, hatten nichts Spiessiges. Klar, wir haben nicht alle da kennengelernt, zwei oder drei davon wird es schon auch geben.

Die so kleinkariert sind wir Ihr Schrebergarten-Präsident Franco in ‹Eden für jeden›?

Franco ist ja lustigerweise ein Italiener. Er nimmt’s eben genau. Es gibt assimilierte Ausländer, die päpstlicher sind als der Papst.

Letzte Frage: Würden Sie eine Schrebergarten-Parzelle wollen?

Nein! Ich bin in Herrliberg in einem Mehrfamilien-Haus aufgewachsen und zu jeder Wohnung gehörte ein Gartenabteil. Als Bube musste ich öfters im Garten umstechen, ‹Rossbölle› zum Düngen holen und so weiter. Ich habe mein Praktikum als Schrebergärtner hinter mir.

‹Eden für jeden› läuft ab heute in den Kinos.

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