Geniale «Tatort»-Idee oder Flop? Wenn Schauspieler Schauspieler spielen

tsch

2.2.2022

Vier Jahre nach der Verurteilung eines Kollegen gesteht ein anderer Schauspieler einen Mord. Die Kölner Kommissare Ballauf und Schenk ermittelten in der Szene professioneller «Rollenspieler». Warum wurde das bisher so selten gemacht?

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2.2.2022

Im Kölner «Tatort: Vier Jahre» wurde viel mit doppeltem Boden gespielt. Die Schauspieler Thomas Heinze, Martin Feifel und Max Hopp spielten drei ehemalige Schauspielfreunde, die das «Drehbuch» zu einer Mordgeschichte unter sich immer wieder veränderten. Nina Kronjäger verkörperte die Frau des eigentlich verurteilten Täters (Heinze) – die beiden Schauspieler waren auch im wirklichen Leben ein Paar.

Populär war die Schauspielerin, die Kronjäger im «Tatort» verkörperte, weil sie lange eine beliebte TV-Kommissarin spielte. Die nun wiederum von den Schauspielern Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt verhört wurde, die im Kölner «Tatort» bekanntlich die Kommissare Freddy Schenk und Max Ballauf geben. Zu kompliziert – oder genial?

Worum ging es?

Schauspieler Moritz Seitz (Thomas Heinze) erfreute sich als Tierarzt grosser Beliebtheit beim TV-Publikum. Auch seine Ehefrau Carolin (Nina Kronjäger) war in der Rolle einer Serienpolizistin gut im Geschäft. Gemeinsam mit der fast erwachsenen Tochter Lene (Sarah Buchholzer) bewohnte man eine schicke Kölner Villa mit Pool. In der Silvesternacht 2017/18 wurde dort das neue Jahr mit einer wilden Party begrüsst.



Dabei kam der nicht wirklich willkommene Theatermime Thore Bärwald (Max Hopp) ums Leben. Mit einem in den Pool gestürzten Filmscheinwerfer wurde der Provokateur «gegrillt» – und anschliessend mit weiteren Mordwerkzeugen bearbeitet. Für die Tat gab es einen Zeugen: Nachbar Urs Keller (Manfred Böll) hat den Hausherren Moritz Seitz beobachtet – und der sitzt nun seit vier Jahren in Haft. Doch dann meldete sich Ole Stark (Martin Feifel), der mit Moritz und Thore einst auf die Schauspielschule ging, und sagte: Der Zeuge habe sich geirrt – er selbst habe die Tat begangen.

Worum ging es wirklich?

Um die Frage: Sind Schauspieler die besseren Lügner, wenn es um Mord geht? Schliesslich ist man es ja gewohnt, in Rollen zu schlüpfen. Beispielsweise in die des unschuldigen Opfers oder – im Falle von Ole Stark – eines Täters, der in Wirklichkeit nichts getan hat, über seine «Rolle» jedoch Sühne für eine andere Schuld leisten will. Dabei ist es Teil der Krimispannung, dass die Kommissare dem wohl falsch Geständigen nicht glauben, der vermeintliche Täter aber dennoch auf freien Fuss gesetzt werden musste.

Dass der «Tatort: Vier Jahre» von reiferen Schauspielern Mitte 50 erzählt, ist wohl ebenfalls kein Zufall. In diesem Alter beginnen viele, kritisch auf das eigene Lebenswerk zurückzuschauen. So auch die Schauspieler-Charaktere dieses Krimis, die sich fragen, ob im Leben auch alles hätte anders kommen können. Dass sich die Bewertung ihrer Wege und Karrieren in der Analyse einer Mordnacht verdichtet, von der immer wieder neue Versionen auf den Tisch kommen, ist ein ziemlich cleverer Schachzug.

Sind Schauspieler als Figuren unbeliebt?

Drehbuchautor Wolfgang Stauch, der schon viele starke «Tatorte» geschrieben hat, zum Beispiel die Stuttgarter Galafolge «Anne und der Tod», hielt lange geheim, dass sein neuer Fall in der Schauspielszene spielt. «Schauspieler sind, ähnlich wie Sportler, keine Film-Charaktere, nach denen man hierzulande sich allzu sehr sehnt», sagt er.



«Aber dann haben sie sich doch ins Drehbuch hineingeschlichen – und man hat gesehen, wie dankbar dieser Mikrokosmos im Krimi ist, wenn er nicht selbstreferenziell wird: Schauspieler können viel besser lügen als der gemeine Durchschnittsbürger, das Spiel mit der Wahrheit kriegt dadurch, so hoffe ich, noch mal einen ganz anderen Kick. Wie der kleine Polizist im Film fragt: ‹Was ist bei euch eigentlich echt?›»

Gibt es andere «Tatorte», die in der Schauspielszene spielen?

Vielleicht weil fiktionales Fernsehen die Illusion erzeugen soll, dass sich das, was man sieht, echt anfühlt, sind derartig doppelbödig angelegte Krimis wie «Vier Jahre» äusserst selten. Wenn sie dann doch realisiert werden, handelt es sich meist um «experimentelle Ware» wie den Ludwigshafener Impro-«Tatort: Babbeldasch» von 2017, der vom Mord in einer Amateur-Theatergruppe erzählt (von der Kritik weitgehend verrissen).

Ein weiteres Beispiel ist der vielleicht ambitionierteste «Tatort» aller Zeiten, die Ulrich Tukur-Folge «Wer bin ich?» aus dem Jahr 2015. Darin verkörpert Tukur nicht nur seine Rolle als Kommissar Felix Murot, sondern er in einer Doppelrolle auch den Schauspieler Ulrich Tukur, der auf seine Arbeit in diesem Film blickt.

Im Gegensatz zu diesen Beispielen funktioniert «Vier Jahre» auch als ganz normaler, klug ausgedachter Krimi prima. Insofern könnten Zuschauende des ARD-Premium-Krimis den doppelten Boden des Films auch problemlos ignorieren.

Wo steht die tolle Villa mit Pool?

Im «Tatort: Vier Jahre» markiert die geschmackvolle Villa des Schauspielerpaares das Zentrum der Geschichte: Hier geschah der Mord, hier werden die Geschehnisse der Silvesternacht immer wieder durchgespielt, viele Ermittlungen und Befragungen finden dort statt. Das Haus steht tatsächlich in Köln und wird aktuell auch bewohnt.

«Die echten Bewohner sind bei der Silvesterparty übrigens als Statisten dabei», verrät Drehbuchautor Wolfgang Stauch. Für ihn stellt der Pool zudem ein zentrales Motiv dar: «Er steht stellvertretend für das Leben von Moritz, Aufstieg und Fall. Und der winterliche Dreh im kalten Wasser war auch nicht ganz ohne ...»