Ballaufs Psycho-«Tatort» Ballaufs Psycho-«Tatort»: Sieht man nach einem Trauma wirklich Tote?

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17.5.2020

Wenn Ermittler seelisch leiden: Im Kölner «Tatort: Gefangen» begaben sich die Kommissare nicht nur in die Abgründe einer psychiatrischen Klinik – Ballauf tauchte auch in die Tiefen seiner traumatisierten Psyche ein.

Dass der Wahnsinn des Verbrechens und das Wahnsinnigwerden der Ermittler eng miteinander verwoben sind, buchstabierten bereits viele Krimiformate aus.

Gerade im Kölner «Tatort» befand sich der Zuschauer immer nah am emotionalen Zustand der beiden Kommissare, oft inmitten ihrer Verzweiflung über die eigene Hilflosigkeit. Im aktuellen Fall von Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) erfuhr diese Nähe nun einen vorläufigen Höhepunkt. «Gefangen» lautete der Titel der Episode, und gefangen schienen nicht nur die Patienten der psychiatrischen Klinik, in der ermittelt wurde; gefangen schien nach einer traumatischen Erfahrung auch ein von Schuldgefühlen geplagter Ballauf.

Worum ging es?

Der anerkannte Psychiater Professor Krüger wurde in seinem eigenen Wohnzimmer erschossen, den Mörder muss er selbst hereingelassen haben. Ballauf und Schenk ermitteln zunächst in seiner psychiatrischen Klinik – und begeben sich mitten in die Abgründe der geschlossenen Abteilung, wo sie Krügers zwielichtig wirkende Stellvertreterin Dr. Maren Koch (Adina Vetter) über den Tod ihres Chefs informieren. Zugleich kommt Ballauf in Kontakt mit der Patientin Julia Frey (Frida-Lovisa Hamann), die ihm gegenüber behauptet, gegen ihren Willen eingesperrt zu sein. Ärztin Koch rechtfertigt die Massnahme: Borderlinerin sei die Frau, samt schizophrener Psychose, ausgelöst durch eine ungewollte Schwangerschaft.

Worum ging es wirklich?

Eindeutig um Ballauf und sein Trauma. Der Plot in der Psychiatrie diente vor allem dazu, die eigenen psychischen Abgründe es Ermittlers zu spiegeln. Wohl noch nie sah man Ballauf so neben sich stehen, noch nie so abwesend. In vielen Momenten starrte der Kommissar einfach nur ins Leere, bisweilen lag er regungslos da, ja, fast wie eine Leiche. Regisseurin Isa Prahl porträtierte ihn und sein traumatisches Erleben in fast intimen Aufnahmen, rückte ähnlich dicht an ihre Protagonisten heran wie in ihrem bemerkenswerten Film «1000 Arten Regen zu beschreiben». «Du musst dich der Sache stellen, Max», redete seine Psychologin auf ihn ein. «Du kannst das nicht ewig mit dir rumtragen», meinte Kollege Schenk.

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Worunter litt Ballauf?

Die «Sache» – das war jener gezielte und tödliche Schuss auf die Polizistin Melanie Sommer (Anna Brüggemann) im Finale der dramatischen «Tatort»-Folge «Kaputt», die letzten Juni Premiere feierte. Dass Ballauf die zur Täterin gewordene Kollegin erschoss, selbst wenn er damit das Leben einer anderen Frau rettete, liess ihn nicht los. Die Therapie half dem sonst so resolut wirkenden Ermittler kaum, und – das Schlimmste – immer und überall erblickte er die Erschossene. Sie verfolgte Ballauf bis an den Beckenrand des Schwimmbads – und sprach in manchen Szenen gar: «So sieht man sich wieder.» Das Trauma, es wog schwer.

Laufen Traumata wirklich so ab?

Ballauf ballerte am Schiessstand seinen Schmerz weg – prompt erschien das Abbild der erschossenen Kollegin: «So funktioniert das nicht. Ich bin schon tot.» Doch können durch Traumata wirklich Tote erscheinen – die dann auch noch sprechen? Nun ja. So plastisch, wie Ballauf die Tote vor sich sah, geht es wohl selten vonstatten. Doch: Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), so der Fachbegriff für psychische und somatische Krankheitserscheinung in Folge katastrophaler Ereignisse, geht sehr wohl mit einem Wiederbeleben der traumatischen Erinnerungen einher.

Neben Übererregbarkeit, Hilflosigkeit und emotionaler Taubheit, die man auch im «Tatort» bei Ballauf beobachten konnte, gehören sogenannte Flashbacks laut Definition zu den Grundsymptomen. Heisst: In einem alptraumhaften (Wieder-) Erleben des Traumas können in der Tat Bilder, Vorstellungen und Gedanken entstehen, die so heftig und real wirken, als geschähe das Ganze in der Gegenwart.

Was machte diesen Kölner «Tatort» so anders als die bisherigen?

Seine über allem schwebende Traurigkeit und seine in bisweilen unerträglicher Nähe gefilmten Bilder verliehen dem «Tatort: Gefangen» weniger den Anschein eines klassischen Krimis als eines psychologischen Dramas um Schuld und Hilflosigkeit. So hielten sich die pointierten Dialoge des sonst recht kernigen Ermittler-Duos diesmal in Grenzen («Ein Kind macht glücklich!» – «Und jede Menge Probleme, einen Arsch voll Sorgen!»). Ausgelotet wurden zur Abwechslung die seelischen Untiefen Ballaufs, der sonst immer eine pragmatische Lösung zur Hand hat. «Gefangen» war er jedoch diesmal in seiner eigenen Psyche, sprachlos und wie ein Häufchen Elend. Zum anderen barg der «Tatort» so manche Überraschung, was den Täter anging ...

Welche Charaktere überzeugten neben Ballauf?

Im Grunde alle. Da wäre die geheimnisvoll wirkende Stellvertreterin und Nachfolgerin des Ermordeten in der Klinik. Da wäre der Pfleger mit seinem Hang zum Perversen. Da wäre der Tennisfreund des Opfers – gespielt von einem wie immer fantastischen, diesmal zur Abwechslung aber als geschniegelter Rechtsanwalt auftretenden Andreas Döhler. Da wäre dessen Ehefrau, verkörpert von Franziska Junge als Ersatzmutter mit Hintergedanken. Und natürlich wiederum deren Schwester, jene junge Frau also, die nicht nur Ballauf und die Polizei, sondern auch die Zuschauer lange zum Narren hielt. Während sie den erschöpften Ermittler einlullte, verheimlichte sie ihre eigene Agenda, die von langer Hand darauf ausgelegt war, die arme Gefangene zu geben. Selten war die Fallhöhe vom Opfer zur Täterin so gross – und selten wurde sie so bravourös inszeniert.

Der «Tatort: Gefangen» lief am Sonntag, 17. Mai, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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