Im Check Lolita-Szenen, Korruption, Sex im Knast – zu viel Klischee im «Tatort»?

tsch

18.3.2018

Endlich wieder intensive Konflikte: Die Kölner Kommissare Schenk und Ballauf stossen im «Tatort: Mitgehangen» in ein familiäres Wespennest. Und streiten sich so schön wie lange nicht.

Mit seinem hochgelobten Bürgerwehr-«Tatort» «Wacht am Rhein» liess Regisseur Sebastian Ko im vergangenen Jahr aufhorchen - behandelte dieser doch in politisch sensiblen Zeiten ein heikles Thema. Kos neuer Kölner «Tatort» mit Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) ging es nun weitaus weniger polarisierend an: Unter dem schönen Titel «Mitgehangen» wandelte sich ein konventioneller Krimi mit Mord im Tuning-Umfeld schnell zum Familiendrama mit allerlei Konfliktpotenzial. Doch wie nachvollziehbar waren die Ermittlungen zwischen Reifenwerkstatt und Familienbande?

Was war los?

Wie im schönsten US-Thriller wird eine Leiche im Kofferraum eines versenkten Autos gefunden. Schauplatz: Ein Kölner Baggersee. Der Tote: ein junger Mann namens Florin Baciu, seines Zeichens autoverrückter Tuning-Fan. Das erste Wort, das im neuen «Tatort» fiel war: «Scheisse». Da der Tote frischer Teilhaber eines Reifenhandels war, ermittelten Schenk und Ballauf die meiste Zeit dort. Und siehe da: Der Familienbetrieb von Matthes Grevel (Moritz Grove) verzeichnete dank der reichhaltigen Kontakte des Opfers in die Tuning-Szene jede Menge Gewinn. Vor allem auch, weil Baciu dabei nicht immer ganz legal vorging. Bei den Mitarbeitern galt er als wenig beliebt. Wen wunderte es da noch, dass die Ermittler herausbekamen, dass der Mann offensichtlich in der Werkstatt getötet wurde?

Worum ging es in Wirklichkeit?

Um die liebe Familie! Aus dem recht lahmen Kriminalfall wurde schnell ein wahres Familiendrama. Welch komplizierte familiäre Verflechtungen einen Menschen letztlich zum Äussersten treiben können, vor allem wenn es auch noch ums Geschäft geht, zeigt Regisseur Sebastian Ko, der im vergangenen Jahr auch den gelobten Bürgerwehr-«Tatort» «Wacht am Rhein» inszenierte. Firmenchef und Familienvater Grevel, dessen Geschäftspartner das Opfer war, geriet schnell unter Mordverdacht und kommt in Untersuchungshaft. Die Familie des Verdächtigen begab sich fortan in eine emotionale Tour-de-Force.

Wurde die Familie glaubhaft dargestellt?

Durchaus! Das lag vor allem an den Darstellern: Kinostar Lavinia Wilson wusste als Mutter der Familie ebenso zu überzeugen wie Alvar Goetze als Sohn Simon - und vor allem die fantastische Nachwuchsdarstellerin Letizia Caldi, die als Tochter der Familie einige wundervolle Ausbrüche spielte: «Scheiss Geburtstag, scheiss alles!» Überhaupt, am emotionalen Abgrund bewegte sich die ins Visier geratene Familie laufend - mit schönsten Ausrastern: «Halt die Fresse, halt die Fresse», brüllte der Verdächtige seinen Anwalt an. Sein Sohn gibt sich «subtiler»: «Wir sind scheissnormale Leute», schrie er die Ermittler an, nachdem er einen Typen von der Leiter gestossen hat.

Wie realistisch ging es zu?

Für die Familie und fürs Geschäft: Die beiden wohl verbreitetsten Motive für Mord vereinte dieser «Tatort». Auf dem Papier ziemlich realistisch. Viele Details, mit denen der Film vollgepackt war, klangen dann aber doch klischeehaft: Kindeserpressung mit gewagten Lolita-Szenen, Korruption und Sex im Knast (Aufseherin: «Die meisten wären mit ner Professionellen besser bedient») - und nicht zuletzt die geleakten Pornocollagen der Ehefrau. Ballauf: «Solche Bilder von meiner Frau - ich glaub, ich würde zum Tier!»

Wie waren die Kommissare in Form?

So herrlich streitsüchtig wie lange nicht! Diesmal neckten sich Schenk und Ballauf nicht nur in lustiger Kölscher Manier, sondern zofften sich mal wieder richtig ernst. Kein Wunder: Das Thema Familie liess auch die Ermittler nicht kalt. Gerade wenn sich einer davon (Ballauf) ohne selbige recht einsam durchs Leben schlägt - während der andere (Schenk) in einer Tour darauf hinweisen muss. Sogar gegenüber dem Verdächtigen! Die verständliche wütende Reaktion von Ballauf: «Muss man jetzt Frau und Kinder haben, um vernehmen zu dürfen?» Zur Versöhnung hilft - konventionell wie wunderbar - die Currywurst. Und die grosse Einigkeit darüber, dass der neue Assistent eine ziemliche Null ist.

Wer ist eigentlich der Neue?

Norbert Jütte heisst der neue Assistent von Schenk und Ballauf, der den zuletzt still abgetretenen Publikumsliebling Tobias Reisser (Patrick Abozen) ersetzt. Das neue Gesicht im Kommissariat wird verkörpert von Roland Riebeling, der von «SOKO Köln» bis «Grossstadtrevier» schon Krimierfahrung sammeln konnte. Nun also seine «Tatort»-Premiere - die ihn allerdings zum leicht naiven Trottel macht. «Jetzt habt ihr ja mich», wollte Jütte die Ermittler besänftigen, die ihren alten Kollegen vermissen. Und schob nach: «Einarbeiten dauert natürlich!» - Könnte zum Kölner Running Gag werden.

Wie gut war der «Tatort»?

Die Geschichte des aktuellen Falls ist so konventionell, dass dem konservativsten «Tatort»-Liebhaber das Herz aufgeht: Keine Visionen, keine Politik, keine Experimente! Aber: In seiner Konventionalität war «Mitgehangen» konsequent und überzeugend inszeniert. Ein logisches Drehbuch, eine packende Familiengeschichte und tolle Darsteller reichen manchmal schon. Nicht zu vergessen: der packende Soundtrack zwischen Jazz und cheesy Pop! Wir vergeben eine Fünf.

Der neuste «Tatort» lief am Sonntag, 18. März, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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