«Die Pfalz von oben» «Tatort»: Wie 1991 einer der grössten TV-Skandale entstand

tsch

17.11.2019

Für ihr Dienstjubiläum kehrte Lena Odenthal zu einem der grössten Skandale zurück, die der «Tatort» in 49 Jahren zu bieten hatte. Warum hasste eine gesamte Region Anfang der 90-er die «Tatort»-Macher?

«Die Pfalz von oben» war ein mutiges Comeback der Ludwigshafener «Tatort»-Ermittlerin Lena Odenthal, die in ihrer nun 30 Jahre dauernden Ermittler-Karriere seit Anfang der 90-er ein Pfälzer No-Go war. Das lag an einem Skandal-«Tatort» von 1991. Was war damals geschehen? Und wie bekamen die Macher vom SWR diesmal die Kurve, sodass sie sich wieder in der Pfalz blicken lassen können?

Worum ging es?

Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) kehrt nach 28 Jahren in das pfälzische Dorf Zarten zurück, wo sie damals ihren dritten Fall «Tod im Häcksler» löste. Die zarte Liaison mit dem jungen Polizisten Stefan Tries (Ben Becker), der heute dort als Dienststellenleiter arbeitet, war bereits 1991 Teil der Erzählung. In «Die Pfalz von oben» wurde nun ein junger Polizist aus Tries' Dienststelle bei einer Verkehrskontrolle vom Fahrer eines LKW erschossen. Odenthal und ihre Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) richteten in Zarten eine Soko ein, weil das organisierte Verbrechen mit dem Fall zu tun zu haben schien. Bald wurde klar: Im pfälzischen Dorf scheint auch die Polizei ihr eigenen Süppchen in Sachen Recht und Gerechtigkeit zu kochen.

Worum ging es wirklich?

Das Thema des Krimis «Die Pfalz von oben» war ein ganz anderes als das des ersten Zartener Falles von 1991, in dem es um Mob-artige Jagden der Landbevölkerung auf einen Fremden ging. Diesmal wurde – oberflächlich – von Polizeikorruption erzählt. Eigentlich ging es jedoch ums Altern in der Provinz, den Verlust von Träumen und die Modellierung schicker Reihenhäuser sowie die «Einnahme» von Drogen und sexueller Beziehungsdeals als Trostpflaster für ein Leben ausbleibender Höhepunkte. Auch eine Art Provinzkritik, aber sehr viel subtiler als in «Tod im Häcksler».

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Was geschah beim «Tatort»-Skandal von 1991?

Am 13. November 1991 schauten zwölf Millionen Menschen den «Tatort: Tod im Häcksler». «Es war eine Parabel über Heimat», sagt Drehbuchautor Stefan Dähnert. Für ein Grossbauprojekt soll Land gewinnbringend für die Dorfbevölkerung verkauft werden. Einer der Dörfler, ausgerechnet ein Aussiedler, macht nicht mit, wird von einem Mob zu Tode gehetzt und findet seinen drastischen Tod im titelgebenden Häcksler. Der heutige Bürgermeister von Rathskirchen, dem echten Zarten, hat seitdem keinen «Tatort» mehr geschaut.

Ein armes Dorf wurde darin als geldgierige Mörderbande dargestellt, so der Vorwurf. Was für die Filmemacher ein Märchen war, das an jedem anderen kargen Ort hätte spielen können, war für die Pfälzer der Region ein Affront. Auch, weil man im Film mit dem Finger auf eine reale Landkarte und ihr Dorf zeigt, beschwerten sich die Menschen der Region. Noch Jahre danach wurden Autos des Senders SWF (heute SWR) in der Westpfalz mit Steinen beworfen, erinnert sich Autor Dähnert.

Was lief wirklich zwischen Ben Becker und Ulrike Folkerts?

Ben Becker gibt in der Dokumentation «Die Geschichte des Häckslers» (ARD-Mediathek) zu, sich 1991 wirklich ein bisschen in «Frau Folkerts» verliebt zu haben. Damals war sie 29 und er 26 Jahre alt. «Diese Intensität merkt man dem (alten) Film auch an», erzählt Becker in der Doku von 2019. «Wir Schauspieler reden da von einem emotionalen Gedächtnis. Das bleibt irgendwie drin.» Aus diesen Gründen habe er den neuen Film auch ohne grosses Überlegen zugesagt. Im «Tatort» wie im Leben blieb es jedoch bei zart-romantischen Banden. Vor 20 Jahren «outete» sich Ulrike Folkerts als lesbisch – was sie noch heute als «Kraftakt» bezeichnet, da es damals noch nicht üblich gewesen sei. Seit 16 Jahren lebt die «Tatort-Kommissarin» mit ihrer Partnerin Katharina Schnitzler zusammen in Berlin.

Wo liegt das «Tatort»-Dorf Zarten wirklich?

Der Ort Zarten in der einsamen Westpfalz ist fiktiv. Im Winter 1991 machte man beim Dreh das winzige Rathskirchen zur Kulisse, es liegt etwa auf halber Strecke zwischen Kaiserslautern und Bad Kreuznach. «Pfälzisch-Sibirien, so nennen wir das hier. Wer nicht unbedingt bleiben will, haut ab», sagt Ben Becker im Film zu Ulrike Folkerts. Für die Einheimischen ein ebenso schlimmer Affront wie die Handlung selbst. Auch 28 Jahre später liess sich ein weiterer Dreh hier nicht durchsetzen. Also entstand «Die Pfalz von oben» ein paar Kilometer weiter – in Meisenheim, etwa 20 Kilometer nördlich von Rathskirchen.

Wie reagierten Politik und der Sender SWR auf den Pfalz-Skandal?

Vor dem Hintergrund von realen Menschenjagden und Angriffen auf Asylantenheime Anfang der 90-er in den neuen Bundesländern, aber auch aufgrund der Tatsache, dass Pfälzer Dorfbewohnerinnen im Film von 1991 noch Kopftuch und Kittelschürze trugen, tobte nach der Ausstrahlung von «Tod im Häcksler» ein Sturm der Entrüstung über Rheinland-Pfalz. Sein Ziel: der produzierende Sender SWF. Rainer Brüderle, damals Wirtschaftsminister – und wie Bundeskanzler und «Einheitsheld» Helmut Kohl Pfälzer – zwang die «Tatort»-Macher zu einer medienwirksamen Entschuldigung.

Ulrike Folkerts und er unternahmen eine Wanderung durch die Westpfalz, um zu zeigen, wie schön es dort war. Damals wollte Ulrike Folkerts das Angebot ablehnen, doch der Sender machte Druck. «Ich glaube, Brüderle fasste den Film als persönliche Beleidigung auf», sagt Ulrike Folkerts heute. Die Entscheidung für eine Entschuldigungs-Aktion hält sie heute jedoch für richtig.

Der «Tatort: Die Pfalz von oben» lief am Sonntag, 17. November, um 20:05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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