Geiseldrama von Gladbeck Regisseur Kilian Riedhof: «Ich will nicht vordergründig verurteilen»

von Dorit Koch, dpa

6.3.2018

Am 16. August 1988 überfallen zwei maskierte Männer eine Bankfiliale im nordrhein-westfälischen Gladbeck und kidnappen zwei Bankangestellte. Obwohl sie das geforderte Geld bekommen, fliehen sie mit ihren Geiseln quer durch Deutschland. Kilian Riedhof (46) hat das Verbrechen als TV-Zweiteiler inszeniert. Ein Interview.

54 Stunden dauerte 1988 das Geiseldrama von Gladbeck. Kilian Riedhof hat seine Verfilmung in 2 x 90 TV-Minuten gepackt. Knapp 60 Tage lang drehte er für das aufwendige Projekt. «Es war nicht immer eine Freude, diesen Film zu machen. Aber es war notwendig», sagt der Regisseur und erklärt im Interview der Deutschen Presse-Agentur, warum.

Als es zum Geiseldrama von Gladbeck kam, waren Sie 17 Jahre alt. Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie noch daran?

Da ist auf der einen Seite der Horror, den ich empfand, als ich die Bilder von den Interviews mit den Tätern in der Kölner Innenstadt gesehen habe - das hat mich nie wieder losgelassen. Und auf der anderen Seite ist es das Mitgefühl, sind es aber auch die Wut und Ohnmacht, die die Bilder von Silke Bischoff und ihrem Schicksal in mir ausgelöst haben. Und doch gibt es in uns immer wieder ein Verlangen nach diesen Bildern, weil sie - ob wir es wollen oder nicht - eine grausam-sensationelle Wirkung haben. Diese ambivalente Erfahrung ist einer der Gründe, warum uns dieses Verbrechen nicht loslässt.

Warum war es Ihnen wichtig, die Ereignisse von damals als Spielfilm zu inszenieren?

Es gibt einen Raum, den die Dokumentarfilme über Gladbeck nicht ausfüllen, der uns aber sehr wichtig war: Wir wollten einen Film über die Geiseln und ihre Familien machen. In den Dokumentaraufnahmen wird den Tätern Raum geboten, weil es eben vor allem sie waren, die abgefilmt wurden. Wir wollten ihnen aber keine weitere Plattform liefern, sondern die Ohnmacht der Geiseln erlebbar machen. Was ist diesen Menschen angetan worden? Warum stand ihr Schicksale jahrzehntelang im Schatten der Täter? Warum ist den Angehörigen der Opfer nie wirklich die entsprechende Entschuldigung von staatlicher Seite zuteil geworden?

Für die Recherchen haben Sie selbst auch Betroffene aufgesucht. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Ich habe mit Beamten geredet, die in den Einsatzleitungen sassen oder beim finalen Zugriff dabei waren - für diese Polizisten ist Gladbeck ein Trauma, das sie bis heute verfolgt. Keinen von ihnen hat das je losgelassen. Ich habe auch mit Udo Röbel gesprochen, der damals als Journalist zu den Tätern ins Auto gestiegen ist. Mir geht es im Film nicht darum, vordergründig zu bewerten und zu verurteilen. Der Zuschauer soll sich selbst fragen: Was würde ich in dieser Situation machen? Und das ist gar nicht immer so einfach zu beantworten. Denn plötzlich sind wir mit dem tatsächlichen Dilemma der handelnden Reporter und Polizisten vor Ort konfrontiert.

Wie werden die Ereignisse von damals heute auf Zuschauer wirken, die mit dem Thema nicht vertraut sind?

Teilweise sehr bizarr. Wenn Degowski Silke Bischoff mit der Waffe im Anschlag vor die Blitzlichter zerrt und dann noch ein Interview mit den beiden geführt wird, fragen sich manche, vor allem jüngere Zuschauer mit Sicherheit, ob das wirklich so passiert ist. Die schreckliche Antwort lautet: Ja. Bis ins Detail. Und wir müssen uns fragen: Ist das von unserer Realität heute wirklich alles so weit entfernt? Während der Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg habe ich direkt vor meiner Haustür im Schanzenviertel erlebt, wie nahe wir dem sind, was ich da gerade verfilmt hatte.

Welche Parallelen sehen Sie da?

Ich habe Anarchie in meinem eigenen Viertel erlebt, gemerkt, wie es ist, wenn die Polizei nicht eingreift. Ich habe gespürt, wie mich das anwidert, wenn Leute sofort ihre Handykameras zücken, reales Geschehen in Windeseile medial verwursten. Wenn sie gar nicht mehr das Schreckliche sehen, das gerade passiert, sondern sofort den Handyfilter dazwischenschalten und Selfies vor den brennenden Barrikaden machen - all das ist in Gladbeck schon angelegt wie in einem Nucleus und bis heute vorhanden. Wir glauben immer, dass unser humanes Verhalten so stark und stabil ist, aber das ist ein dünner Firn - und darunter lauert das Animalische. Wir verlieren die Menschlichkeit viel schneller, als wir denken.

Worin lagen bei den Dreharbeiten die grössten Herausforderungen für Sie und was lag Ihnen besonders am Herzen?

Wichtig war mir, den Tätern nie die klassische Nahaufnahme von vorne zuteilwerden zu lassen. Wir erzählen nicht aus ihrer Sicht - sie sind für uns keine Identifikationsfiguren. Der Film soll zeigen, wie das Animalische auf Journalisten, auf Polizisten und vor allem auf die Geiseln wirkte. Es brauchte damals nicht viel und in 54 Stunden verwandelte sich die unschuldige Bundesrepublik in ein anarchisches, animalisches Feld. In den grausamen Räumen dieses Verbrechens fast 60 Tage lang zu leben, war eine grosse Herausforderung während des Drehs. Ich war froh, als sie vorbei war. Es war nicht immer eine Freude, diesen Film zu machen. Aber es war notwendig.

ZUR PERSON: Kilian Riedhof, Absolvent der Hamburg Media School (1994-96), hat für seine Filme diverse Auszeichnungen erhalten, darunter den Grimme-Preis für «Homevideo» (2011). Er schickte im Kino Dieter Hallervorden auf «Sein letztes Rennen» und drehte für die ARD «Der Fall Barschel». Davor führte Riedhof unter anderem Regie bei einer Münsteraner «Tatort»-Folge und der TV-Serie «Bloch».

Der erste Teil von «Gladbeck» läuft am Mittwoch, 7. März, um 20.15 Uhr auf ARD. Der zweite Teil folgt am Donnerstag zur gleichen Zeit auf den gleichen Kanal. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendungen bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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