«Tatort: Falscher Hase» Gewalt und Nacktheit: Wie weit darf der «Tatort» gehen?

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1.9.2019

Im Frankfurter Fall mit dem kulinarischen Titel «Falscher Hase» versuchte sich Drama-Spezialistin Emily Atef an einer «Tatort»-Groteske. Dabei ging der Film bisweilen ziemlich weit.

Schon nach etwa einer Minute war die Mörderin enttarnt, später gab es einen abgeschnittenen Finger in Grossaufnahme und einen gut gebauten, splitternackten Friedrich Mücke (für kurze Zeit «Tatort»-Kommissar in Weimar) zu sehen.

Der neue «Tatort» der Frankfurter Kommissare Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) roch ziemlich nach der schneehaltigen Luft des Coen-Brüder Klassikers «Fargo» – und auch ein bisschen nach Quentin Tarantino.

Was darf ein «Tatort» heutzutage?

Worum ging es?

Das Unternehmer-Ehepaar Hajo (Peter Trabner) und Biggi Lohmann (Katharina Marie Schubert) inszeniert wegen schwerwiegender finanzieller Probleme einen Überfall auf ihre Solartechnik-Firma. Die Versicherung soll für wertvolle «Seltene Erden» zahlen, die aber nur scheinbar entwendet wurden.

Während Hajo an seinen Schreibtischstuhl gefesselt von Biggi angeschossen wird, schliesslich soll das Ganze ja glaubhaft sein, betritt ein Wachmann den Raum. Im Affekt streckt ihn die Kunstschützin mit einem Schuss zwischen die Augen nieder.

Die Probleme des Ehepaares, abseits der Tat als liebe Leute porträtiert, werden nicht kleiner, als eine Gruppe intellektuell eher tieffliegender Gangster (Friedrich Mücke, Godehardt Giese, Ronald Kulkulies) hinter das Geheimnis kommt – und die schlingernden Unternehmer erpresst.

Worum ging es wirklich?

An den Coen-Brüder-Filmklassiker «Fargo» (1996) und die ebenso empfehlenswerte Serienadaption (bei Netflix) erinnerte der Stoff nicht nur deshalb, weil es so kalt war. Der vom Schicksal tragikomisch gekonterte Wunsch der Figuren, ihr Leben durch eine (Straf)tat in bessere, ja ideale Bahnen zu lenken, stand bereits bei den Coens im Zentrum der Erzählung.

Geistig eher minderbemittelte Charaktere sehen sich als Gangster, die das grosse Rad drehen. Grundguten, liebenden Menschen passieren hingegen tragische Dinge, die aber so absurd sind, dass man darüber lachen muss. So brillant wie in diesem «Tatort» wurde schwarzer Humor selten in einem deutschen Krimi umgesetzt.

Nichts für schwache Nerven: Die bizarrsten Leichenfunde beim «Tatort»

Was darf ein «Tatort»?

In «Tatort»-Minute 38 wird einem armen Halunken in Grossaufnahme ein Finger abgeschnitten. Einer der Tatbeteiligten, gespielt von Friedrich Mücke, ist dann in Minute 45 – auch hier ist die Kamera «ganz dicht dran» – längere Zeit erst von hinten, dann auch von vorn im Ganzkörper-Nacktporträt inklusive Gemächt zu sehen. Darf der «Tatort» das zu einer Sendezeit, zu der auch noch jüngere Zuschauer den Fernseher einschalten?

Bei Fernsehfilmen prüfen eigene Richtlinien der Sender, was in Sachen körperliche und psychische Gewalt (oder auch Sex und Nacktheit) zumutbar ist. Bei dem gerade für Jüngere immer entscheidenderen Ausspielweg Mediathek werden Videos, die für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet sind, nur von 22 Uhr bis 6 Uhr angezeigt. Um Sendungen mit Altersbeschränkung vor 22 Uhr zu schauen, muss man – zum Beispiel beim ZDF – sein Alter verifizieren lassen.

Wer entscheidet über den «Jugendschutz»?

In den «ARD-Richtlinien zur Sicherung des Jugendmedienschutzes», die zuletzt 2017 überarbeitet wurden, heisst es: «Die Verantwortung für die Kennzeichnung liegt bei den jeweiligen Redaktionen. Der jeweils zuständige Jugendschutzbeauftragte wirkt auf Anfrage im Rahmen seiner Beratungsfunktion an der Entscheidung mit, ob und gegebenenfalls wie eine Sendung gekennzeichnet wird.»

Dass mittlerweile in Sachen explizite Darstellungen auch im Öffentlich-Rechtlichen «mehr geht» als früher, liegt vermutlich daran, dass Jugendliche über das Internet auch ganz ohne Fernsehen Zugang zu Sex und Gewalt in Wort und Bewegtbild haben.

Auch die Streamingdienste und Pay-TV-Kanäle folgen diesbezüglich einer eher lockereren Politik. Der Erfolg einer Serie wie «Game of Thrones» (vom US-Abosender HBO, hier auf Sky) wäre bei aller inhaltlichen Brillanz wohl nie so gross gewesen, hätte man darin auf explizite Gewalt und Nackheit verzichtet.

Wer war die brillante Ehefrau und Mörderin?

Ab sofort muss Katharina Marie Schubert aufpassen, dass sie – trotz ihrer herausragenden Schauspielkunst – nicht zur Lieblingsverdächtigen aller deutscher Krimi-Drehbuchautoren wird. Schon im (herausragenden) Stuttgarter «Tatort: Anne und der Tod», Mai 2019), spielte die 42-Jährige eine tatverdächtige Altenpflegerin, die es allen recht machen wollte und dennoch tödliche Spuren auf ihrem Lebensweg hinterliess.

Tatsächlich spielt derzeit kaum jemand den durchlässig verzweifelten Gutmenschen mit Hang zum Tragischen besser als Schubert. Seit 2010 ist sie am Deutschen Theater Berlin unter Vertrag. Auch bei der Auswahl ihrer Rollen bewies sie zuletzt eine hohe Trefferquote: «Wellness für Paare», «Zuckersand» und «Ein Geschenk der Götter» waren allesamt preisgekrönte Streifen aus den letzten Jahren mit Schubert in einer Hauptrolle.

Der «Tatort: Falscher Hase» lief am Sonntag, 1. September, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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