Interview Dieter Hallervorden: «Ich habe unheimlich viel Schwein gehabt»

tsch

6.5.2019

Wenn ein grosser, ein gestandener Künstler wie der 83-jährige Dieter Hallervorden über das Älterwerden, die Liebe und das Leben spricht, sollte man das nicht verpassen.

Es bedarf keiner allzu grossen Menschenkenntnis, um auf den ersten Blick zu sehen: Dieter Hallervorden ist glücklich – und mit sich und der Welt im Reinen. Das mag zum einen an der vergleichsweise frischen Liebe zu seiner Lebensgefährtin Christiane Zander liegen: Die 49-Jährige steht seit vier Jahren an seiner Seite und erscheint auch mit ihm zum Interview. Zum anderen ist der 83-Jährige, der mit seinen blau blitzenden Augen und dem verschmitzten Lächeln gut 15 Jahre jünger wirkt, endlich auch beruflich dort angelangt, wo er seiner Meinung nach hingehört.

Dank seinen Darbietungen in Filmen wie «Sein letztes Rennen» oder «Honig im Kopf» wird er, der für viele immer nur «Didi» war, auch von der breiten Masse als ernst zu nehmender Charakterdarsteller wahrgenommen. Seine feine Schauspielkunst demonstriert Hallervorden, der Komiker, Kabarettist, Schauspieler, Synchronsprecher, Sänger, Moderator, Buchautor und Theaterleiter ist, nun auch in der ZDF-Tragikomödie «Mein Freund, das Ekel». Hier gibt er den titelgebenden Griesgram- ein Typ Mensch also, der so ganz anders als er selbst ist, wie Hallervorden betont.

Herr Hallervorden, Sie spielen einen verbitterten und besserwisserischen Menschen, der alle um sich herum vergrault. Können Sie es nachvollziehen, dass jemand so wird?

Es kommt natürlich darauf an, ob man generell dazu neigt, so griesgrämig zu sein, oder ob Schicksalsschläge einen treffen, wie es bei diesem Olaf Hintz der Fall ist. Die Frau ist gestorben, mit der Tochter hat er keinen Kontakt mehr, mit der Schwester versteht er sich nicht. Dann Schlaganfall, krankheitsbedingt entlassen worden, seiner Meinung nach viel zu früh aus dem geliebten Berufsleben geschieden. Da kann es schon passieren, dass die Summierung all dieser negativen Fakten einen unlustig werden lässt.

Würden Sie angesichts solcher Schicksalsschläge auch so reagieren wie er?

Nein, ich gehöre zu den Menschen, die sagen, Schicksalsschläge sind allenfalls dazu da, um überwunden zu werden. Glücklicherweise stimmt der Ausdruck «Die Zeit heilt alle Wunden». Da bleiben vielleicht Narben, aber wenn es wirklich so wäre, dass der Verlust eines geliebten Menschen einen bis auf ewig so belasten würde wie am ersten Tag, dann wäre das Leben ja überhaupt nicht mehr lebenswert.

Sie sind ja auch schon 83, aber Sie strotzen vor Lebensfreude, gehen also mit dem Thema Alter ganz anders um als Hintz. Woher nehmen Sie diese Energie?

Das ist erstens eine Frage, wie man generell zum Leben eingestellt ist, und zweitens, welche Gene man mitbekommen hat. Ich bin glücklicherweise völlig gesund. So mancher 30 Jahre jüngere Arzt hat schon gesagt: «Ich hätte auch gern solche Werte wie Sie, Herr Hallervorden.» Das heisst, ich hab da einfach Schwein gehabt. Dazu kommt, dass ich mich in meinem Leben immer viel bewegt habe. Und dann habe ich vor etwas mehr als vier Jahren diese wunderschöne Frau hier kennengelernt, das hat mir nochmal so einen richtigen Schub gegeben.

Die Liebe als Jungbrunnen ...

Die Liebe ist etwas, das einen ja anspornt, und das Leben ist viel schöner, seit ich sie kenne. Wenn ich morgens aufwache, habe ich schon die Sonne neben mir. Das macht unheimlich viel aus, weil ich – das war zwischenzeitlich etwas versandet – diese Lebenslust, die ich früher hatte, wieder entwickelt habe. Da brauche ich keine Vitamine mehr zu nehmen. Es macht schon sehr viel aus, wenn man in seinem Privatleben glücklich ist.

Trotzdem – wären Sie gern noch mal jung?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich sage immer: Das Leben ist endlich. Und ich habe nie, auch nicht, als ich 50 wurde, den Gedanken gehabt: «Schon so alt!» Sondern immer: «So, das hab ich schon mal geschafft, mal sehen, was jetzt noch drin ist.» Und genauso denke ich heute noch. Ich steuere an, am 5. September hoffentlich 84 zu werden. In meinem Herzen und in meinem Kopf denke ich: «Die 100, das muss doch zu schaffen sein.»

Vielleicht auch mehr, bei Ihrer Konstitution ...

Ob das wirklich gelingt, weiss man ja nicht. Aber erst mal muss man doch positiv rangehen. Deswegen: Noch mal 20 sein, nö, hätte ich, ehrlich gesagt, kein Interesse dran. Ich finde das, was ich erlebt habe, ganz schön, und ich bin auch in meinem tiefsten Herzen weitgehend Kind geblieben.

«Generationenstreit und Unverständnis hat es immer gegeben»

Glauben Sie, dass die Kluft zwischen den Generationen in den letzten Jahren grösser geworden ist, als es früher noch der Fall war?

Eines ist klar, Generationenstreit und Unverständnis hat es immer gegeben. Der Unterschied ist eigentlich nur, dass man früher trotzdem anerkannt hat, dass die älteren Leute bestimmte Erfahrungswerte haben, auf die man ganz gut zurückgreifen könnte. So dass man früher dem Alter gegenüber noch einen gewissen Respekt hatte. Und der ist heute nun gar nicht mehr da. Das Unverständnis ist noch immer gross, aber der Respekt ist total verschwunden.

Apropos Erfahrung – Sie sind ja auch schon sehr lange in diesem Geschäft. Welche Phase war für Sie die bedeutendste?

Es gibt ja Phasen, die nicht bloss bestimmt werden von dem, was man tun will, sondern von dem, was man tun muss. Die Figur «Didi» ist beispielsweise nur daraus entstanden, dass ich mit meinem Kabarett Die Wühlmäuse umgezogen war in ein Haus, das ich selbst umbauen musste, damit es als Theater funktionierte. Ich hatte als 30-Jähriger 250'000 Mark Schulden, und zwar selbstschuldnerisch, ohne irgendwas zu besitzen.

Und in dieser Situation kamen Sie ausgerechnet auf Didi?

Dadurch, dass ich damals nicht einmal die Zinsen abzahlen konnte, musste ich mir etwas einfallen lassen, um irgendwie an Geld zu kommen. So ist Didi quasi aus der Not heraus geboren. Heute bin ich froh, dass ich das gemacht habe, denn es hat mich bekannt gemacht. Und es hat mir genau das Geld ins Portemonnaie gespült, mit dem ich in der Lage war, später das Schlosspark Theater aus eigenen Mitteln zu sanieren, das hat immerhin 1,7 Millionen Euro gekostet.

Womit Sie auch ein ziemliches Risiko eingegangen sind. Warum haben Sie das getan?

Aus jahrzehntelanger Liebe zum Theater! Ich wollte auch gerne zeigen, dass ich eine Bandbreite habe, dass ich andere Dinge spielen kann, und das ist durch das Theater möglich. Wir spielen dort «Vor Sonnenuntergang» von Hauptmann, spielen Lessing, Molière. Jede Hausfrau wird verstehen, dass wenn man gerne in der Küche hantiert, es keinen Spass macht, sein Lebtag nur Kohlrouladen zu machen. So geht es mir als Schauspieler auch. Ich möchte gerne unterschiedliche Dinge anbieten, weil ich glaube, dass ich es auch kann. Ich wollte nicht ein Leben lang als Schauspieler nur Didi sein.

«Ich hätte meine Christiane gern 20 Jahre früher kennengelernt»

Sie haben mit Didi aber auch die Gabe gehabt, viele Leute zum Lachen zu bringen. Was ist Ihnen wichtiger: dass Sie die Menschen zum Nachdenken oder zum Lachen bringen?

Es kommt darauf an, was ich spiele. Jedes Produkt hat unterschiedliche Möglichkeiten. Der Film «Sein letztes Rennen» zum Beispiel übermittelt die Philosophie, dass es wichtig ist, ein Ziel zu haben und diesem Ziel gegen alle Widerstände treu zu bleiben. Bei Hauptmanns «Vor Sonnenuntergang» berührt einen eher die Tragik des Schicksals der Hauptfigur. Für mich ist es im Grunde aber egal. Die Leute möchten unterhalten werden, und das kann man mit einem Krimi oder auch mit Thomas Manns «Zauberberg». Je nachdem, worauf man Lust hat.

Und Didi?

Bei Didi ist es die reine Unterhaltung. Wobei in den Sketchen selbst, wenn man das mal analysiert, auch sehr viel Anarchistisches drin war. Wenn man nicht nur die rein äusserliche Komik mit der dicken Brille oder dem Schielen betrachtet, sondern auch an den Inhalt denkt, dann sieht man, dass das Ganze sehr vielschichtig ist. Und Didi hat auch viele Züge von mir, ich bin auch sehr ungeschickt (lacht).

Glauben Sie, dass diese Art von Humor heute noch funktioniert?

Naja, einmal ist es so, dass unsere Zeit schnelllebiger geworden ist. Das merkt man auch am Schnitt von Filmen. Bei «Nonstop Nonsens» würde ich heutzutage manches anders schneiden. Dazu kommt noch, dass durch die Privaten gewisse Hemmschwellen gefallen sind. Das heisst, es spielt sich vieles unterhalb der Gürtellinie ab. Aber im Bereich der guten Unterhaltung gibt es auch viele Könner, Kebekus zum Beispiel oder Anke Engelke. Sagen wir es einmal so: Es gibt sehr viele Hoffnungsträger, und es gibt noch sehr viel mehr Eintagsfliegen.

Wenn Sie zurückblicken – gibt es irgendeine Entscheidung, die Sie bereut haben? Etwas, das Sie gern anders gemacht hätten?

Nö. Ich habe einfach unheimlich viel Schwein gehabt. Ich habe mich oft in grosse Risiken begeben, innerhalb des Berufs und auch innerhalb dessen, was ich mit dem Geld, das ich verdient habe, gemacht habe. Aber es ist alles gut gegangen. Deswegen: Nö! Das einzige, was ich bedauere: Ich hätte meine Christiane gern 20 Jahre früher kennengelernt!

«Mein Freund, das Ekel» läuft am Donnerstag, 9. Mai, um 20.15 Uhr auf ZDF. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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