SRG-Ombudsmann besorgt SRG-Ombudsmann besorgt: «Sehr viele meinen, dass das SRF permanent lügt»

Cilgia Grass (Interview), Nathalie Röllin (Fotos, Video)

26.11.2018

Roger Blum ist der Ombudsmann der SRG – als solcher kümmert er sich um Beschwerden von TV-Zuschauern und Radiohörern. Wie viel er zu tun hat, was ihm zu denken gibt und wie seine Bilanz für 2018 ausfällt, erzählt er im Gespräch mit «Bluewin».

Vergangenen Donnerstag, 9 Uhr, an der Schweizer Hochschule für Angewandte Wissenschaft ZHAW in Winterthur: Es ist Journalismus-Tag. Branchenvertreter treffen sich und diskutieren über das, was die Szene bewegt. Wir sind nur an einem der Besucher interessiert: an Roger Blum, 73. Der Ombudsmann der SRG ist für die Tagung aus Köln angereist, wo er mit seiner Frau, der deutschen Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing, lebt. Bevor der Journalisten-Tag losgeht, nimmt sich Roger Blum aber Zeit für unsere Fragen.

Sie mussten gerade erst wegen Roger Schawinski aktiv werden. Eine Zuschauerin hatte beanstandet, dass er sich Frau Martullo-Blocher gegenüber nicht neutral verhalten habe. Sie gaben der Zuschauerin recht. Hatten Sie danach Roger Schawinski am Telefon?

Nein. Und die Forderung war nicht, dass er neutral sein muss, sondern dass er sie gleich behandelt wie die Strassburger Richterin Helen Keller, die er zuvor in der Sendung hatte. Beide haben zur Selbstbestimmungsinitiative Auskunft gegeben. Aus zwei verschiedenen Positionen. Er hat die beiden Sendungen miteinander in Beziehung gebracht. Er hat in der Sendung mit Helen Keller darauf hingewiesen, dass eine Woche später Frau Martullo-Blocher kommt. Und bei der Sendung mit Frau Martullo-Blocher erwähnt, dass Frau Keller bereits in der Sendung war. Deshalb geht es nicht, dass er bei der einen Person die Boxhandschuhe auspackt und bei der anderen die Samthandschuhe anzieht.

Dann hat er also zu scharf geschossen?

Ich musste schon relativ viele Sendungen von Roger Schawinski beurteilen, und praktisch immer habe ich gesagt, es ist korrekt, er darf scharf sein, er darf eine Gegenposition einnehmen. Das gehört dazu, gehört zum Journalismus. Aber es ist anders, wenn zwei Sendungen vor einer Abstimmung sind. Dann müssen beide gleich sein. Wenn er auch gegenüber Frau Keller aggressiv gewesen wäre, dann wäre es kein Problem gewesen.

Sie bezeichnen in Ihrem Bericht das Vorgehen von Roger Schawinski als «vorurteilsgeladen», «aggressiv», «erregt», «wütend» und «hämisch». Das dürfte ihm nicht gefallen haben …

Ich nehme nicht an, dass er erfreut war. Er hat aber natürlich nicht erst durch die Medienberichte davon erfahren, sondern schon vorher. Der Schlussbericht geht immer zuerst an die entsprechende Sendung.

Kommt es vor, dass sich Fernsehmacher bei Ihnen melden, um sich über einen Entscheid zu beschweren?

Relativ selten. Bei der SRG und vor allem bei SRF ist die Ombudsstelle gut akzeptiert. Natürlich nehmen die Fernsehmacher das, was da kommt, manchmal mit Unwillen entgegen und finden, dass ich nicht recht habe, beharren auf ihrer Position. Aber sie fangen nicht an, mit dem Ombudsmann zu fechten. Das tun eher Leute aus dem Publikum. Wenn jemand einen Schlussbericht bekommt, in dem seine Beanstandung von mir nicht unterstützt wird, kann es vorkommen, dass die Person noch einmal schreibt und sagt, ich solle es mir noch einmal überlegen. Das passiert meistens schriftlich, selten telefonisch. Mit Beanstandern, die von der Richtigkeit ihres Standpunkts sehr überzeugt sind, habe ich es ziemlich oft zu tun.

Werden Sie auch unter der Gürtellinie angegriffen?

Das kommt vor. Der schlimmste Fall war ein Beanstander, der Radio und Fernsehen generell kritisiert hat. Er sagte, alle seien korrupt, sprach von einer Saubande. Er hat verlangt, dass man mich, Doris Leuthard und die Journalisten von SRF in einem Konzentrationslager im hinteren Gasterntal BE einsperrt. Gegen ihn habe ich geklagt – mit Erfolg: Er wurde gebüsst. In der Regel nehme ich es sonst einfach hin. Vor allem auf Twitter gibt es viele bissige Bemerkungen mir gegenüber, das lese ich und zitiere es dann im Jahresbericht.

Wie viel Zeit verbringen Sie auf Twitter?

Ich twittere jeden Schlussbericht. Die Schlussberichte gehen ja zuerst an die Beanstander. Dann werden sie auf der Website der Ombudsstelle veröffentlicht. Hunderte von Schlussberichten sind dort veröffentlicht. Ein paar Minuten, nachdem der Bericht aufgeschaltet ist, setze ich einen Tweet ab. Die anschliessenden Diskussionen lasse ich meistens einfach laufen. Da nehme ich nur ganz selten Stellung.

Wie fällt Ihre Bilanz für 2018 aus?

Es war ein spezielles Jahr wegen der No-Billag-Abstimmung. Da war einerseits die Nervosität bei der SRG ziemlich gross. Auf der anderen Seite sind viele Beanstander schon fast triumphierend dahergekommen. Sie sagten: «Jetzt schaffen wir euch ab.» Sie stellten dann auch dezidierte Forderungen, wie das Programm geändert werden müsste. Nach der Abstimmung hat sich die Situation ein bisschen beruhigt. Es ist aber nicht so, dass die Zahl der Beanstandungen zurückgegangen wäre.

Wie viele Beschwerden haben Sie zu prüfen?

Es schwankt. 2017 gab es mit der «Arena» mit Daniele Ganser 500 Beanstandungen zu einer einzigen Sendung. Das hat dazu geführt, dass es am Ende des Jahres 827 Beanstandungen waren. Dieses Jahr gab's im Schnitt eine neue Beanstandung pro Tag. Weil das letzte Jahr so intensiv war, musste ich etwa 60 Beanstandungen aus dem alten Jahr im Januar abarbeiten. Aber nicht alle Beschwerden sind ein Fall für mich. Manche werden an die falsche Stelle geschickt. Kürzlich habe ich eine bekommen gegen Tele Top. Die habe ich dem entsprechenden Ombudsmann, Oliver Sidler, weitergeleitet. Auch habe ich eine bekommen gegen 20 Minuten. Die habe ich an den zuständigen Ombudsmann Ignaz Staub weitergeleitet. Von rund 400 Beanstandungen leite ich etwa 50 weiter. Und es gibt auch solche, auf die man nicht eintreten kann.

Warum nicht?

Weil beispielsweise die Frist längst verstrichen ist oder weil jemand sich nicht konkret zu einer Sendung äussert, sondern sagt, Radio und Fernsehen sind jenseits. Was soll ich da überprüfen?

Bei welchen Sendungen gehen am meisten Beschwerden ein?

Eindeutig bei Informationssendungen. Am häufigsten beanstandet werden «Tagesschau», «10 vor 10», «Rundschau», «Club», «Arena», «DOK», «Kassensturz» und immer wieder auch «Eco». Und im Radio «HeuteMorgen», «Rendez-vous», «Tagesgespräch» und «Echo der Zeit». Es gibt aber aus allen Bereichen Beanstandungen. Zum Beispiel auch im Sport oder bei Unterhaltungssendungen wie «Darf ich bitten?», «SRF bi de Lüüt», «1 gegen 100» und «Mini Beiz, dini Beiz». Dieses Jahr gab es auch Beanstandungen zu den Direktübertragungen der Fussball-WM. Vor allem zu Aussagen der Spielkommentatoren, zum Teil auch zu den Pausen- oder Nachgesprächen. Es ging nicht darum, dass man einen Fussballer nicht hätte zeigen dürfen, weil er schlecht spielte, sondern um die Aussagen der Journalisten.

Letztes Jahr schwang die «Arena» mit Daniele Ganser in Sachen Kritik obenaus. Welche ist es dieses Jahr?

Es gibt keine, die auch annähernd so viele Beschwerden auf sich gezogen hat. Bei der entscheidenden letzten Abstimmungs-«Arena» zu «No Billag» kamen 27 Beanstandungen rein, alle mit der gleichen Stossrichtung: Jonas Projer sei einseitig und arrogant gewesen. Nach gründlicher Überprüfung bin ich zum Schluss gekommen, dass die «Arena» korrekt war.

Was waren die kuriosesten Beanstandungen 2018?

Da gibt es einiges. Sehr kurios und unangenehm war eine Beanstandung mit 9000 Unterschriften. Die kamen einzeln im Sekundentakt rein und haben über ein Wochenende hinaus meine Mailbox zugemüllt. Die Aktion war von Deutschland aus gesteuert und richtete sich gegen die Webserie «Dr. Bock», eine Jugendaufklärungssendung. Die Serie würde die Kinder versauen. Es sei eine Anmassung, dass das Fernsehen sich in die Aufklärung einmische, das sei Sache der Eltern, wurde argumentiert. Ich schaute mir alle Folgen von «Dr. Bock» an und war begeistert. Ich habe die Beanstandung entsprechend behandelt. Ebenfalls kurios: Die «Rundschau» hat zu ihrem 50. Jubiläum eine Sendung wie zu ihren Anfängen inszeniert. Die Moderatoren sagten zu Beginn ausdrücklich: «Damals wurde noch geraucht, wir rauchen deshalb auch.» Hannes Britschgi hat dann eine Zigarre angezündet. Das wurde als unmöglich beanstandet. Dabei war der Rahmen klar. Und es gibt noch einen anderen Fall.

Welchen?

Bei «Darf ich bitten?» wurde beanstandet, dass mit Susanne Kunz eine SRF-Mitarbeiterin gewonnen hat. Ja, sie ist von der SRG als Moderatorin und Quizmasterin beschäftigt, allerdings nur teilweise. Sie macht also nicht nur das. Und es ist nicht verboten, dass SRG-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter an der Sendung teilnehmen. Die Jury war zudem unabhängig. Abgesehen davon: Susanne Kunz hat am besten getanzt. In diesem Fall wird auf einem Prinzip herumgeritten, da geht es nur um Neid und Missgunst. Dabei war es ein fröhlicher Wettbewerb, der Freude gemacht hat.

Nervt Sie so etwas?

Mich beschäftigt eigentlich mehr, dass es sehr viele Beanstander gibt, die ganz konsequent der Meinung sind, dass das SRF permanent lügt. Dass die Wahrheit irgendwo anders ist. Dass es anders war bei 9/11, anders ist in Syrien, dass die Amerikaner alle Kriege, die es auf der Welt gibt, als einzige vorbereitet haben. Charlie Hebdo, Bataclan, der Terroranschlag in Boston, der Klimawandel – alles soll anders gewesen sein, als berichtet wird. Diese Positionen sind ziemlich verbreitet. Sie werden stark von Verschwörungstheoretikern gestützt. Und zum Teil auch von Russia Today, das mit seinen Sendern auch auf Deutsch stark präsent ist.

Seit wann ist diese Entwicklung feststellbar?

Das kann ich nicht genau sagen. Aber sie hat 2016 parallel zur Wahl von Donald Trump angezogen. Es kann sein, dass sich die entsprechenden Vertreter durch den Austausch auf Social Media gegenseitig ermuntern und dann noch mehr Beanstandungen kommen. In solchen Fällen kann man nicht wirklich argumentieren. Ich bräuchte einen Stab mit 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, um alle Fakten zu checken und um zu beweisen, was belegt ist und was nicht. Es ist eine Debatte zwischen Wissenden und Gläubigen. Man hat mit sehr vielen Leuten zu tun, die etwas glauben und den Glauben mit Wissen untermauern. Wobei dieses Wissen aber meines Erachtens sehr selektiv und auf bestimmte Thesen ausgerichtet ist.

Das tönt bedenklich …

Meine Aufgabe ist es einfach, immer wieder darauf hinzuweisen, was die Aufgabe von Journalismus ist. Dass für Journalistinnen und Journalisten bei SRF das Entscheidende ist, dass nur berichtet wird, was man mit Fakten belegen kann. Dass darauf geachtet wird, dass man bei umstrittenen Fakten möglichst zwei Quellen hat – oder noch mehr. Dass man sagt, wenn etwas unklar oder nicht gesichert ist. Dass Journalistinnen und Journalisten generell kritisch sind gegenüber Mächtigen und dass sie bestimmte Werte beachten, nämlich die Menschenrechte, die Demokratie und den Verzicht auf Gewalt.

Sie müssen für Ihren Job sehr viele Sendungen schauen. Was schauen Sie sich an, wenn Sie freiwillig wählen dürfen?

Ich habe schon früher relativ wenig ferngesehen. Ich habe immer gewisse Serien verfolgt. «Lüthi und Blanc» habe ich zum Entsetzen meiner Tochter ganz durchgeschaut. Ab und zu mal die «Tagesschau». Früher habe ich regelmässig das «Echo der Zeit» gehört. Das war mein Favorit.

Heute nicht mehr?

Jetzt höre und schaue ich nur noch Sendungen, die ich muss. Das sind ja genug. Es ist aber bereichernd, Sendungen zu sehen, die man sonst nie geschaut hätte. «Mini Beiz, dini Beiz» habe ich immer genossen. Oder «Die Alpenreise», die dieses Jahr stattgefunden hat – von «Schweiz aktuell». Das fand ich sehr interessant, gut gemacht und auch gut gefilmt. Ich habe auch viele «DOK»-Sendungen gesehen, von denen ich die meisten verpasst hätte, wenn ich nicht Ombudsmann wäre. Aber hauptsächlich lese ich Zeitungen und nutze das Internet. Radio und Fernsehen konsumiere ich nur ergänzend.

Falls Sie eine Frage oder Beanstandung haben, was das Programm der SRG angeht, können Sie sich beim Ombudsmann Roger Blum melden unter www.srgd.ch/de/uber-uns/ombudsstelle.

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