«Tatort»-Check Nach dem Köln-«Tatort»: So gross ist die Gefahr durch Weltkriegsbomben

tsch

31.3.2019

Und schon wieder keine Stimmung in Köln: «Bombengeschäft» war einmal mehr ein «Tatort» der entsetzten Kommissare und gequälten Protagonistenseelen. Ein Film, der Angst macht: vor Bomben genauso wie vor sozialer Kälte.

Hier wird ein Gebäude geräumt, dort ein Autobahnteilstück gesperrt, und manchmal, wie unlängst etwa in München, Augsburg oder Rostock werden Strassenzüge oder gleich ganze Innenstädte evakuiert: Fast jeden Monat sorgen Weltkriegsbomben-Funde in Deutschland für erschreckende Schlagzeilen. Meistens sind es Bauarbeiter, die auf die Blindgänger stossen – genau wie im Kölner «Tatort», der unter dem Titel «Bombengeschäft» in die Welt der Kampfmittelbeseitungsdienste blendete. Ein Sprengmeister wurde von einer eigentlich gesichert geglaubten Bombe zerfetzt. Der taffe Krimi vom Rhein hinterlässt ein mulmiges Gefühl und wirft Fragen auf.

Worum ging's?

Am Anfang stand ein Bombenfund bei Bauarbeiten für eine Neubausiedlung nahe Köln. Der herbeigerufene Sprengmeister vom Kampfmittelräumdienst wurde bei der Explosion, zu der es erst nach Räumung und Abtransport kam, getötet. Kein Unfall, sondern Mord, fanden die Kommissare Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) alsbald heraus. Der Rest war zum einen relativ öde Ermittlerarbeit, zum anderen wurde aber auch ein durchaus realitätsnah erscheinendes Sozialszenario erzählt, das einen ins Grübeln bringen konnte.

Worum ging es eigentlich?

Der Krimiplot an sich mag nicht sonderlich spannend gewesen sein, umso interessanter waren dafür die Milieus, die dieser «Tatort» von Regisseur Thomas Stiller ausleuchtete. Zunächst waren da die Bombenspezialisten. Wie arbeiten sie, und was sind das überhaupt für Menschen, die von Berufs wegen ihr Leben zum Wohl der Allgemeinheit aufs Spiel setzen? – Darüber erfuhr man einiges. Vor allem über den Druck, unter dem diese Menschen stehen. Tatsächlich ist die Arbeit der Kampfmittelräumdienste extrem gefährlich: Seit 2000 starben im Nachbarland Deutschland elf Mitarbeiter bei Versuchen, Bomben zu entschärfen.

Und dann gab es da die Geschichte von den Immobilienmenschen, von sozialen Aufsteigern und solchen, die es gerne wären – sehr geschickt an der Grenze eines begehrten Neubaugebiets entlangerzählt: Die einen sind drin, die anderen wollen gerne rein, schaffen es aber nicht, und dazwischen sitzen Investoren und Makler mit Anzügen in Containerbüros und spielen ein bisschen Gott für nicht ganz so Arme – doch auch solche Herren haben ihre Probleme. Wie zum Beispiel eine Weltkriegsbombe auf dem Gelände, dessen Erschliessung und Verkauf eigentlich ein irres Millioneninvestment refinanzieren soll ...

Wie gross ist die Bedrohung durch Weltkriegsbomben noch?

Sie ist akut! Reale Bilder aus Rostock erinnerten erst vergangene Woche frappierend an das Szenario, das den Kölner «Tatort» eröffnete: Es waren Fotos von einer eisernen 250-Kilo-Bombe, die nur wenige Meter unter der Erdoberfläche aus dem Sand ragte. Der Fund aus dem Zweiten Weltrieg sorgte am 27. März für einen Ausnahmezustund in der Hansestadt, Tausende Menschen mussten Wohnungen und Büros verlassen, bis die Bombenentschärfer endlich Entwarnung gaben ... Im «Tatort» stiess ein Baggerfahrer bei Erdarbeiten für ein Wohngebiet auf einen ähnlichen Blindgänger (Typ AN M57, 250 Pfund!), der den Kampfmittelbeseitungsdienst auf den Plan rief. Absolut realistisch: In Euskirchen (D) starb vor fünf Jahren ein Baggerfahrer bei einem solchen Vorfall.

2017 haben die Experten der nordrhein-westfälischen Kampfmittelbeseitigungsdienste einem Bericht des WDR zufolge 1'946 Bomben entdeckt und unschädlich gemacht. Im Jahr 2016 seien es 1'392 Bomben gewesen. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nahm dazu unmissverständlich Stellung: «Die Zahlen belegen, dass die Kampfmittelbeseitigung auch 73 Jahre nach Kriegsende noch von höchster Bedeutung ist.» Es werde davon ausgegangen, dass während des Zweiten Weltkriegs etwa 675'000 Tonnen Sprengstoff auf Nordrhein-Westfalen abgeworfen wurden, hinzu kommt noch Munition durch die Kämpfe am Boden. Niemand weiss, wie hoch die Zahl der Blindgänger ist. Und in ganz Deutschland? – Schätzungen zufolge könnte jede Zehnte der Millionen Bomben, die amerikanische und britische Flugzeuge über Deutschland abwarfen, nicht explodiert sein.

Sind Neubaugebiete wirklich so begehrt?

Ja, auch das war realistisch erzählt. Das Interessante ist, dass es heute tatsächlich Wartelisten gibt. Die Zeiten, in denen man einfach die Summe X auf den Tisch legen musste, um seinen Platz im Reihenhaushimmel zu bekommen, sind vorbei. Das Setting des «Tatorts» erinnerte nicht umsonst an ein anderes TV-Ereignis jüngerer Vergangenheit: «Heimatland» hiess die aufsehenerregende Reportage, die im Februar in der ARD ausgestrahlt wurde. Im Beitrag aus der Reihe «Was Deutschland bewegt» ging es um den Zusammenhang von Strukturwandel und Identität, um Ängste und Neid. Um fragwürdige Vorstadtwohnträume für wohlständige junge Familien und den immer teurer und knapper werdenden Lebensraum in den Citylagen. Und darum, was die angespannte Situation mit Stadt, Land und den Menschen und der ganzen Gesellschaft macht.

Im «Tatort: Bombengeschäft» wurde die Sehnsucht nach einem besseren Leben aufs Trefflichste von Alessija Lause verkörpert – sie spielte die schöne Ehefrau des Opfers, mit dem sie den Sprung ins Eigenheim wagen wollte – sowie von Thomas Darchinger, der einen Spielhallenbetreiber mit krimineller Vergangenheit gab. Als er erfuhr, dass sie so einen nicht haben wollen im Neubauviertel, quittierte er es mit dem schönsten Satz dieses Krimis: «Krepiert doch alle an eurer Spiesserscheisse!»

Was sagt der Macher?

Autor und Regisseur Thomas Stiller war sich des aktuellen Kernthemas sehr bewusst. «Das habe ich auch selbst gemerkt», erklärt er: «Als ich auf dem Weg nach Köln war für ‹Bombengeschäft›, musste ich auf der Autobahn einen Umweg nehmen. Ein Teil war gesperrt worden, denn bei einem Fundstück in der Erde befürchtete man, es könne sich um eine Bombe handeln. Und man kann sich ja nie sicher sein, was zu entdecken ist, wenn man mal schaut, was unter der Oberfläche steckt und explodieren könnte – unter der Erde oder in den Menschen.»

Der neuste «Tatort» lief am Sonntag, 31. März, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie Sendungen bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

Die attraktivsten «Tatort»-Kommissare
Zurück zur Startseite