Schweizer in L.A. «Wir haben zwei völlig neuartige Beatmungsgeräte entwickelt»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

7.6.2020

Das Coronavirus offenbarte einen weltweiten Mangel an Beatmungsgeräten. Ein Team von NASA-Ingenieuren entwickelte darauf in Kürze VITAL, ein neuartiges und kostengünstiges Gerät für Covid-19-Patienten. Mit dabei: Der St. Galler Nano-Wissenschaftler Florian Kehl.

Als Mitte März der Lockdown in Kalifornien begann, packte NASA-Wissenschaftler Florian Kehl (36) sein halbes Büro zusammen und stellte sich wie die meisten seiner 7'000 Arbeitskolleginnen auf Monate im Homeoffice ein.

Aber es kam anders.

Plötzlich gehört er zu den rund 100 Angestellten, die in dringender Mission weiterhin im Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena ein und ausgingen. Er wurde ins Team um Ingenieur David Van Buren rekrutiert, das sich zum Ziel setzte, einfach und schnell produzierbare Beatmungsgeräte für Covid-19-Patienten zu entwickeln.

«Die Beatmungsgeräte in Spitälern sind der Rolls-Royce-Standard: Sie müssen allerlei Krankheitsbilder abdecken und jahrelang standhalten, denn sie kosten mehrere zehntausend Franken», erklärt der St. Galler via Skype von seiner Veranda in Pasadena.

«Unser Gerät sollte hingegen ausschliesslich auf Covid-19-Patienten zugeschnitten sein und schnell, billig und in grossen Massen hergestellt werden können, ohne die Bestandteil-Lieferkette für herkömmliche Beatmungsgeräte zu strapazieren.»

Der Nano-Wissenschaftler hat in Basel und Berkeley studiert und an der ETH Zürich doktoriert. Nebst seinen Kenntnissen in Flusssensoren und Pneumatik konnte er eine weitere, etwas speziellere Referenz für das Projekt vorweisen.

«Ich habe einst als Praktikant im Schweizer Zentrum für Elektronik und Mikrotechnologie CSEM an Beatmungsgeräten für Kamele und Pferde mitgearbeitet», sagt er schmunzelnd. «Bei der Anästhesie dieser Tiere können die Lungen oft kollabieren, deshalb entwickelten wir für unsere Zweigstelle in den Vereinigten Emiraten ein spezielles Atmungsgerät für Renn-Kamele und -Pferde.»

Erste Hürden

Ein erster Versuch mit herkömmlichen Atemtherapie-Geräten wurde schnell verworfen. Eine weitere neue Herausforderung für die Forscher: «Normal entwickeln wir einen Prototyp und vielleicht zwei, drei Exemplare eines Geräts. Hier planten wir in Stückzahlen von zehntausenden bis einer halben Million. Wir fanden perfekte Bestandteile, die aber nicht in diesen Stückzahlen kurzfristig lieferbar waren. So mussten wir wieder neue Lösungen suchen.»

Viele der letztlich verwendeten Komponenten stammen aus der Unterhaltungselektronik und der Autoindustrie – und dank Kehls Kontakten ist auch ein Flusssensor der Zürcher Firma Sensirion dabei.

In 37 Tagen entwickelte das Team zwei völlig neuartige Beatmungsgeräte: Eines mit Druckluft-Anschluss für die Intensiv-Station und eines mit internem Kompressor, das man in improvisierten Feldspitälern nutzen kann.

«Und das mit nur einem Siebtel der sonst üblichen Komponenten und mindestens zehnmal billiger», sagt Florian Kehl stolz. In der Rekordzeit von einer Woche segneten die Staatsbehörden das VITAL-Gerät (Ventilator Intervention Technology Accessible Locally) darauf ab.

Gratis-Lizenzen vergeben

Ende Mai wurden 21 Lizenzen an interessierte Hersteller aus aller Welt gratis vergeben. Für den Ostschweizer ist es ein schönes Gefühl, global etwas Sinnvolles im Kampf gegen das Coronavirus beitragen zu können. Schon zu Beginn der Krise räumten die JPL-Labore ihre Lager und schickten ihre Vorräte an Masken und Schutzausrüstung an die lokalen Spitäler.

«Als man mich einlud, am VITAL-Projekt mitzumachen, kippte die Besorgnis über das Ungewisse bei mir sofort in Aufbruchstimmung um», erinnert sich Kehl. «Jetzt ging es darum anzupacken und zu versuchen, zehntausende Leben zu retten. Ich hatte meine Rolle in dieser Pandemie gefunden.»

Der aus Buchs (SG) stammende Technologe ist seit viereinhalb Jahren bei JPL, um ein Instrument zu entwickeln, das unter der Mars Oberfläche nach molekularen Bausteinen des Lebens suchen soll. Schon in der Primarschule hielt er einen Vortrag über den Mars-Rover und stellte sich Fragen über den Ursprung des Lebens. Bei JPL fand er einen Traumjob, der ihn für Tests schon in die trockenste Wüste von Chile und den kältesten Norden Alaskas führte.

«Jetzt ging es darum anzupacken und zu versuchen, zehntausende Leben zu retten. Ich hatte meine Rolle in dieser Pandemie gefunden.»

Aber dieser Job ist auch der Grund, warum Florian Kehl und seine Frau Andrea, Psychologin und Wiedereingliederung-Berufsberaterin in Zürich, seit zwei Jahren eine transatlantische Beziehung führen.

«Das ist sicher nicht ideal, aber wir nehmen es vorzu.»

Seine geplanten Trips in die Schweiz für ein ETH-Referat und die Hochzeitsfeier des Bruders fielen Corona zum Opfer. Sein Arbeitsvisum lässt ihn zurzeit auch nicht einfach in die USA ein- und ausreisen.

Zeit für Heimweh hatte er aber auch vor den VITAL bedingten Überstunden kaum: Florian Kehl besitzt eine Pilot-Lizenz und hat sich in der Freizeit auch schon als Raumfahrt-Experte für die von Ridley Scott produzierte TV-Serie «Strange Angel» zur Verfügung gestellt. Schliesslich ist Hollywood ja gleich um die Ecke.

Hoch über den Wolken fühlt sich Wissenschafter Florian Kehl wohl.
Hoch über den Wolken fühlt sich Wissenschafter Florian Kehl wohl.
zVg

Die Serie handelt von der Verbindung der kalifornischen Raketenbauern mit okkultischen Sekten in den 1940er Jahren. Dass sich die Schauspieler die Formeln nicht merken können, die sie an die Tafel kritzeln sollen, kann er gut nachvollziehen: «Es klingt für sie halt wie chinesisch», lacht er.

Mehr Beachtung für Experten

Der Laubbläser auf der Strasse wird lauter. Florian Kehl verlagert sich mit dem Computer vom Garten ins Haus. Er wird nachdenklich: «Ich finde es erstaunlich und bedenklich, wie viele Leute Covid-19 nicht ernst nehmen. Das Coronavirus zeigt zudem schonungslos die Schwächen im System. Ich hoffe, die Lehre aus dieser Krise ist es, dass wieder vermehrt auf Experten und die Wissenschaft gehört wird. Statt in Kriegsmaterial würde man besser das Geld in das Gesundheitswesen, in Forschung und Entwicklung investieren.»

Die derzeitigen Proteste in seiner Wahlheimat sind auch an Florian Kehl nicht vorbei gegangen. Aber er spricht lieber über den SpaceX-Launch Ende Mai als amerikanische Innenpolitik.

«Es stimmt einen zuversichtlich zu sehen, was Menschen gemeinsam erreichen können, wenn sie alle an einem Strick ziehen. Ich wünschte mir, dass sich diese Mentalität auch auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens übertragen würden.»

Er kann es sich gut vorstellen, eines Tages den USA den Rücken zu kehren und sich wieder in die Schweiz niederzulassen. Denn dort gebe es auch eine gute Forschungslandschaft. «Es wäre super, wenn man da bezüglich Weltraum weiter ausbauen würde.»

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