«Tatort»-Check Das ist das reale Vorbild des Berliner «Tatorts»

tsch

15.3.2020

Gibt es das «perfekte Verbrechen»? Der Berliner «Tatort» näherte sich einer ungeheuerlichen Frage auf den Spuren eines realen Mordfalls. 1997 erschütterte der Tod der Studentin Marta Russo die Menschen in Italien.

«Per aspera ad astra» – «Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen». Das war in der Tat kein unpassendes Motto für den neuen «Tatort» mit den Berliner Kommissaren Karow (Mark Waschke) und Rubin (Meret Becker). Ohne Grosses Latinum war man doch ziemlich verratzt zwischen «Probatio», «Conclusio» und anderen altphilologischen Preziosen. Was allerdings auch ohne humanistische Gymnasialausbildung erkennbar war: Ein Mord ist ein Mord und als solcher erschreckend banal. Auch dann, wenn ihn übergeschnappte Elitestudenten des Nervenkitzels wegen begehen.

Seit Dostojewski («Schuld und Sühne», 1866) ist die Erkenntnis im Literaturkanon angekommen, seit Hitchcock («Cocktail für eine Leiche», 1948) auch in der Populärkultur. Der Reiz des «perfekten Verbrechens», wie der neue RBB-Krimi umschweiflos titelt, scheint aber unsterblich zu sein.

Hier also stand ein Jungmänner-Geheimbund angehender Juristen im Verdacht, eine willkürlich ausgewählte Kommilitonin aus dem Hinterhalt erschossen zu haben, nur um sich selbst die eigene Überlegenheit vor der Strafverfolgung zu demonstrieren. Ein Mord als intellektuelles Gesellschaftsspiel. Ein ungeheuerliches Szenario. Doch ist es nicht allein der Fantasie des Drehbuchautors Michael Comtesse entsprungen.

Als sich Karow und Rubin auf dem Berliner Gendarmenmarkt zur Sicherung der Tatspuren einfinden, klingt im «Tatort»-Krimi der Regisseurin Brigitte Maria Bertele der Name Marta Russo an. Es ist ein authentischer Fall, der in Italien hohe Wellen schlug, und vielleicht das berühmteste Beispiel jüngeren Datums für ein «perfektes Verbrechen». Zumindest für ein versuchtes.

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Berlusconi stärkt den Angeklagten den Rücken

Am 14. Mai 1997 erschütterte der Tod der italienischen Jurastudentin Italien. Der damalige Tathergang erinnert frappant an das Szenario des neuen Hauptstadt-«Tatorts»: Die 22-jährige Marta Russo überquerte um 11:34 Uhr mit einer Freundin den Hof der juristischen Fakultät der Universität Rom, als sie urplötzlich zusammensackte. Ein Projektil vom Kaliber 22 hatte die junge Frau in die Schläfe getroffen, sie fiel ins Koma und verstarb vier Tage später.

Eine weitere Parallele zum Berliner «Tatort»: Die Fakultät der Uni Rom verhielt sich verschwiegen und wenig kooperativ, so kamen die Ermittlungen nur zäh voran. Dann aber eröffneten zwei römische Studenten den Behörden, die beiden Dozenten Giovanni Scattone und Salvatore Ferraro, damals 30 und 31 Jahre jung, hätten in den Wochen vor der Tat in einem Seminar über die Möglichkeit eines perfekten Verbrechens philosophiert. Die beiden hätten die These vertreten, dass ein Mord nicht aufzuklären sei, wenn es kein Tatmotiv gebe und die Tatwaffe nicht gefunden werde. Fast sollten sie Recht behalten.

Die Waffe, mit der auf Marta Russo geschossen wurde, konnte nie sichergestellt werden, auch kannten Scattone und Ferraro das mutmassliche Zufallsopfer nachweislich nicht. Eine Sekretärin belastete die Dozenten der Rechtsphilosophie schwer, verstrickte sich aber später in Widersprüche und verweigerte fortan jede Aussage. So entwickelte sich noch ab demselben Jahr ein komplizierter Indizienprozess gegen die beiden Akademiker, der für internationales Aufsehen sorgte. Auch, weil Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Angeklagten öffentlich den Rücken stärkte.

Kein Mord, sondern fahrlässige Tötung

Erst 2003, nach sechs Jahren Prozessdauer, folgte der Schuldspruch für die Angeklagten. Allerdings lautete er nicht auf Mord, sondern auf fahrlässige Tötung. Scattone und Ferraro, die stets ihre Unschuld beteuerten, wurden zu siebeneinhalb respektive fünf Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Nach Marta Russo wurden Schulen, Parks und Strassen benannt. War der Gerechtigkeit Genüge getan?

Wie sehr der Fall die italienische Öffentlichkeit nachhaltig aufgewühlt hat, zeigte sich zuletzt im Jahre 2015. Giovanni Scattone, der seine Haftstrafe verbüsst hatte, war im Begriff an einem römischen Gymnasium als Lehrer in Festanstellung anzufangen – der Oberste Gerichtshof in Rom hatte zuvor sein Berufsverbot aufgehoben.

«Einer wie er darf arbeiten, wenn er seine Strafe verbüsst. Aber er darf doch keine jungen Menschen mehr unterrichten. Es ist ein Unrecht, was hier geschieht!», empörte sich die Mutter der getöteten Marta Russo, und mit der Meinung stand sie nicht alleine. Nach landesweiten Protesten verzichtete Scattone darauf, die Stelle anzutreten.

Der «Tatort: Das perfekte Verbrechen» lief am Sonntag, 15. März, um 20:05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.


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