Serie über Nahost-Konflikt Quoten-Hit mit trauriger Realität

von Aron Heller, AP

24.5.2018

Eine Netflix-Serie über den Nahost-Konflikt entwickelt sich in der Region überraschend zum Strassenfeger. Von arabischer Seite hagelt es aber auch Kritik.

Anfangs waren die Schöpfer der Netflix-Serie «Fauda» von Zweifeln geplagt. Würde eine Reihe über den endlosen Nahost-Konflikt eine Chance bei den Zuschauern haben? «Warum sollte sich jemand in seiner Freizeit etwas im Fernsehen anschauen, was sich direkt vor seiner Tür abspielt?», fragte sich der israelische Journalist Avi Issacharoff. «Wir wollten, dass die Serie realistisch wird, aber wir wussten nicht, ob es Leute interessieren würde, die rund um die Uhr mit diesem Mist leben.»

Doch selbst mit seinen überwiegend arabischen Dialogen wurde «Fauda» zum Hit in Israel. Die Serie erhielt zahlreiche Preise und lobende Kritiken für ihre einfühlsame Darstellung sowohl der israelischen als auch der palästinensischen Seite.

Selbst bei Palästinensern und anderen Arabern stiess die Produktion überraschend auf Begeisterung. In Hollywood wurde sie für die Veranschaulichung des dramatischen Konflikts und seiner Opfer auf beiden Seiten gewürdigt. Auch Thriller-Autor Stephen King lobte auf Twitter das Niveau der Serie.

Der Streamingdienst Netflix, der keine Angaben über Zuschauerzahlen veröffentlicht, bezeichnet «Fauda» als «weltweites Phänomen». Die Reihe ist in 190 Ländern verfügbar, die zweite Staffel startet am 24. Mai.

Tabu einer israelisch-palästinensischen Romanze

Die erste Staffel erzählt die Abenteuer einer israelischen Undercover-Spezialeinheit, die nach einem palästinensischen Terroristen fahndet. Der Mann wird für eine Serie von Selbstmordanschlägen verantwortlich gemacht. Neben Schiessereien und Verfolgungsjagden taucht die Erzählung auch ein in die politische Lage sowie das Privatleben der Figuren, das oft aus teilnahmsvoller Perspektive geschildert wird.

Obwohl sich die Erfinder als zionistische Juden bezeichnen, schrecken sie nicht davor zurück, auch hässliche Seiten der israelischen Besetzung des Westjordanlands und den Kampf der Gegenseite zu zeigen. Sogar das Tabu einer israelisch-palästinensischen Romanze bringen sie ins Spiel.

Dank der Serie die Komplexität besser verstehen

Mitentwickler Lior Ras sieht hierin ein Erfolgsgeheimnis. «Jeder kann einen Bezug zu der Geschichte aufbauen und etwas finden, womit er sich identifiziert», sagt Ras, der auch eine der Hauptrollen in «Fauda» spielt. «Eine Frau aus der Türkei hat mir geschrieben, dass sie israelische Soldaten gehasst hat, aber dass sie jetzt die Komplexität besser versteht, und ein paar Israelis haben auch angefangen, die Palästinenser besser zu verstehen.»

Fiktive Handlung mit Realitätsbezug

Obwohl die Handlung fiktiv ist, spiegeln viele Elemente Ras' eigenes Leben wider. Auch er gehörte einmal einem verdeckten Kommando an, das ähnliche Operationen wie in der Serie ausführte. Während seines Wehrdienstes hatte er – wie einer der «Fauda»-Charaktere – eine Freundin, die von einem palästinensischen Angreifer getötet wurde.

Ras arbeitete zunächst als Leibwächter von Arnold Schwarzenegger und wandte sich dann der Schauspielerei zu. Bei einer zufälligen Begegnung mit seinem Kindheitsfreund Issacharoff entstand die Idee für die neue Serie, in die beide Männer ihre persönlichen Erfahrungen einbringen wollten. Anfangs war kein israelischer Vertreiber interessiert. Schliesslich sagte das Satellitennetzwerk YES zu und strahlte zunächst ein paar Folgen von «Fauda» aus. Nachdem diese zu einer lokalen Sensation wurde, wurde die Laufzeit verlängert.

«Narcos» hat Tür für nicht-englischsprachige Programme geöffnet

Ras erzählt, seine grösste Hoffnung sei ein US-Spinoff wie bei Serienhits wie «Homeland», «Hostages» und «Der Therapeut» gewesen, die auf israelischen Produktionen basieren. Doch Netflix ging noch einen Schritt weiter und strahlte die Serie in ihrer originalen hebräisch-arabischen Form aus. Ras führt das auf den Erfolg der Reihe «Narcos» zurück, die die Tür geöffnet habe für nicht-englischsprachige Programme in den USA. Netflix hat Ras und Issacharoff schon mit zwei weiteren neuen Produktionen beauftragt.

«Unter dem Strich ist es gutes Fernsehen»

Der Fernsehkritiker Einav Schiff von der Tageszeitung «Jediot Acharonot» führt den Erfolg von «Fauda» nicht nur auf auf ein natürliches Interesse an der Thematik in Israel und im gesamten Nahen Osten zurück. «Unter dem Strich ist es gutes Fernsehen», sagt er. «Es ist etwas, das man von amerikanischen und britischen Produktionen erwarten würde. So sollte eine Action-Serie aussehen.»

Kritik nimmt zu

Doch die Beschäftigung mit derart sensiblen Themen bleibt auch nicht ohne Kritik. Die radikalislamische Hamas-Miliz hat «Fauda» als zionistische Propaganda verdammt. Die anti-israelische Boykott-Bewegung BDS spricht von einem Versuch, «die Besatzung zu beschönigen» und rief Netflix auf, die Serie aus dem Programm zu nehmen. Angesichts des jüngsten Blutvergiessens an der Grenze zum Gazastreifens mit Dutzenden Toten dürfte solche Kritik weiter zunehmen.

Selbst moderatere arabische Akteure reagierten verstimmt auf den Hype um «Fauda» (arabisch für «Chaos»). Der Kolumnist Sajed Kaschua schrieb, die Serie verleihe Israelis ein Gefühl von Überlegenheit, indem sie behaupteten, «Fauda» komme bei Arabern gut an. Dabei diene die Reihe nur dem israelischen Narrativ.

«Sie haben schon militärische Siege und die kulturelle Kontrolle bei der Vermarktung der israelischen Besatzungspolitik: Geben Sie den Palästinensern wenigstens die Option, 'Fauda' zu hassen», schrieb er in der Zeitung «Haaretz». «Nichts in 'Fauda' erzählt von der Realität in den (palästinensischen) Gebieten.»

«In Wirklichkeit gibt es keine Superhelden»

Der gesuchte Terrorist in der ersten Staffel der Serie, Abu Ahmad, ist angelehnt an Scheich Ibrahim Hamed, einen palästinensischen Extremisten, der wegen Mordes an 54 Israelis verurteilt wurde. Doch von Vergleichen zum aktuellen Konflikt hält der arabisch-israelische Darsteller des Terroristen, Hischam Suliman, wenig. «Ich glaube, einige Leute sind verwirrt», sagt er mit einem Glucksen. «Das ist Kunst. Das ist nicht echt. In Wirklichkeit gibt es keine Superhelden.»

Die zweite Staffel von «Fauda» ist ab Donnerstag, 24. Mai, auf Netflix abrufbar.

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